Seit 20 Jahren schon produziert Franck Vigroux Alben, viele davon als facettenreicher Gitarrist in unterschiedlichen Zusammenarbeiten u.a. mit improvisierenden Musikern wie Elliott Sharp, Joey Baron oder mit Reinhold Friedl. Ein wichtiger Meilenstein in seiner Diskografie war 2015 das Duoalbum Peau Froide, Léger Soleil mit Mika Vainio, denn es verschaffte Vigroux ein großes neues Publikum, eben im Bereich der (experimentellen) elektronischen Musik bis hin zum Noise mit Industrial-Einschlag. Franck Vigroux’ Musik lässt sich auch seither nur mit Gewalt(!) in eine Schublade pressen, schafft eben vielmehr Verbindungen zwischen der Grenzbereiche einplanenden, auch mal ins Abstrakte reichenden Klangforschung in der Tradition des (leider zu früh verstorbenen) Meisters Mika Vainio einerseits und kraftvoll eingängigen Darkwave-Techno-Stücken andererseits, zwischen atmosphärischen Soundcollagen von schwebendem Drone/ Dark Ambient hier und zeitgenössischen Sound-Art-Stücken dort.
Nicht alle seine Alben erfahren die gleiche Aufmerksamkeit oder sind in gleichem Maße erhältlich, auch weil sie bei vielen unterschiedlichen Plattenfirmen erschienen. Ballades Sur Lac Gelé erschien 2020 schließlich bei einem der international renommiertesten Labels, dem Chemnitzer Raster-Media, wo Vigroux’ Musik so perfekt hinpasste, dass man sich fragte, warum es so lange gedauert hatte, bis er diese Aufmerksamkeit erfuhr. Ballades war von allen nach 2015 erschienenen – allesamt rückhaltlos zu empfehlenden – Alben (sowie einigen kaum weniger famosen Vinyl-EPs) Vigroux’ vielleicht bestes Album bislang, für mich im Rückblick eines der beiden besten Alben jenes Jahres (neben dem „Jubiläums-Comeback“ der Einstürzenden Neubauten).
Atotal knüpft dort nun direkt an, wenngleich weniger mit vorwiegend „Voll auf die 12“-Power-Tracks, sondern mit größerer Dynamik zwischen dräuenden Ambient-Stücken und brachialen
In den letzten Jahren arbeitet Vigroux für seine Performances eng mit Antoine Schmitt zusammen, welcher extrem kraftvolle abstrakte „Visuals“ beisteuert, kongenial die Energien einiger Stücke aus den elektronischen Gerätschaften ins Publikum übertragend. Als die beiden im Rahmen eines „Raster 25th Anniversary“-Wochenendes mit verschiedenen elektronischen Konzerten Ende 2021 für eine Performance nach Berlin kamen, drängte ich mich auf, dabei fotografieren zu dürfen, und dabei sind (u.v.a.) die Foto auf dieser Seite entstanden. Dort präsentierte Franck bereits einige der Stücke dieses Albums (sowie einige weitere, die demnächst auf einem Raster-Album erscheinen sollen, das zwar fertig ist, aber noch nicht vorliegt). Er erläutert:
Atotal war zunächst eine audiovisuelle Live-Performance, die dann zum Album wurde. Das Konzept befasst sich mit Totalitarismus, weshalb ich es für passend hielt, mich mit solchen dystopischen Bildern zu beschäftigen … [Für den Titel]haben wir nach einem Neologismus gesucht.
Dieses Album knüpft an meine vorhergehenden Alben an; ich habe einfach versucht, die Qualität meiner Produktion zu verbessern, und aus verschiedenen Gründen ist es auch viel melodischer geworden – was auf dem nächsten Album noch mehr der Fall sein wird…
Das Cover – es ist von Mostafa Khaled aus Cairo – des Albums finde ich besonders faszinierend. Es erinnert, aufgrund des wilden Rehs an das (lustige) Covermotiv von Peau Froide, Léger Soleil, aber es trifft auch die Energie der elf Stücke der Platte ganz hervorragend. Bis jetzt ist Atotal mein #1-Album des laufenden Jahres. Ich hoffe, dass das erwähnte Raster-Album auch noch in diesem Jahr erscheint.