„Dieses Buch erzählt vom Verfolgen eines Traums und der Einsicht, dass man Träume nicht erreichen kann.“ Als einer der ersten europäischen Comiczeichner bekam Igort Anfang der 90er Jahre die Gelegenheit, für einen japanischen Verlag zu arbeiten. In der Graphic Novel Berichte aus Japan [Eine Reise ins Reich der Zeichen] erzählt er von seiner Zeit in Tokio, er erzählt vom Raumgefühl in winzigen Appartements und Hotelzimmern, von geradezu sinnlos erscheinenden Aufträgen, bis zum nächsten Tag einen Comic zu zeichnen, zu dem der Auftraggeber dann nichts sagt und einen weiteren Comic verlangt. Eine Zeitschleife. Sein Kreativitätspool sind Karteikarten, die er sich inspiriert von Brian Enos Oblique Strategies angefertigt hat. Igort erzählt von seiner Suche nach Sinn auf Spaziergängen in Azaleengärten, der Bedeutung kleiner Risse im Innern von Teetassen, von Chrysanthemen, der Tradition der Sumo-Ringer und von Episoden aus der japanischen Geschichte, die es nie in die Schulbücher schaffen: Verruchte Gestalten, die mit Konventionen brechen und Berühmtheit erlangen. Der rote Turm in Asakusa. Die Burakumin: Menschen, die durch ihren Beruf mit Blut in Berührung kamen, waren Ausgestoßene, und heute noch beliefern Agenturen Unternehmen mit Stammbaumdaten: Wer von den Burakumin abstammt, wird nicht eingestellt. Geschichte lagert sich an Orten ab. Vor allem aber erzählt Igort von der japanischen Arbeitswelt der Comic- und Mangaenthusiasten, die auch Filmbegeisterte sind, denn auch im Film geht es darum, wie erzählt wird, wie Bilder perspektivisch gemacht und geschnitten sind. „Ich habe endlos Zeit damit verbracht, seine Filme [die von Seijun Suzuki, M.W.] aufzutreiben. Selbst Kopien von Kopien, nur um zu sehen, wie er dreht, wie er erzählt.“ Verschiedene Erzählebenen bildet Igort in unterschiedlichen Zeichenstilen ab. Springt irgendwo ein Funke über? Ich habe mir einige Titel notiert: „Nachtasyl“ von Kurosawa (ein Film über die Burakumin), „Die letzten Glühwürmchen“ von Hayao Miyazaki, „Mein Nachbar Totoro“ von Isao Takahata (großer Antikriegsfilm), Shigero Mizuki: „Kitaro vom Friedhof“ (ein Manga. Japaner glauben an das Unsichtbare, schreibt Igort, und in diesen Geschichten fände sich ein Zugang dazu). Die Skizzenbücher von Hokusai Katsushika: für Igort wie Reisen. „Naji-Shiki“ (deutsch: „Mit einer Schraube“) von Yoshiharu Tsuge, der Titel „Mann ohne Fähigkeiten“. Igort traf Art Spiegelman und David Mazzucchelli und sie sprachen über Tusges Arbeiten. Er lebte sehr zurückgezogen. Auf Deutsch erschien sein Hauptwerk „Der nutzlose Mann“ und 20 graphic Kurzgeschichten unter dem Titel „Rote Blüten“, über die Alexander Braun in Deutschlandfunk Kultur sagte, sie seien „ein wenig mysteriös“ und „in einer anderen Erzählweise, als wir es aus westlichen Kontexten kennen“. Hier springt ein Funke über.
2022 18 Mrz
Japanese Jewels – Ein italienischer Comiczeichner in Tokio
von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 3 Comments
3 Comments
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Olaf Westfeld:
Ich glaube, der Glühwürmchen Film ist der Antikriegsfilm. Mein Nachbar Totoro ist ein gelungener Zeichentrickfilm, aber etwas, was auch 8 jährige gut schauen können. Dieser Glühwürmchen Film ist wohl brutal und traurig.
Es gibt tolle Mangafilme, viele sind glaube ich auf Netflix zu sehen. Totoro, Ponyo, Arietty, das wandernde Schloß …. Mein Favorit ist Chihiro. Zielgruppe sind Kinder, die genannten kann man aber auch als Erwachsener gut schauen. Eben weil es eine andere Erzählweise ist, als wir sie kennen, andere Bilder… zauberhaft und unheimlich.
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Martina Weber:
Für mich sind an Graphic Novels immer noch die von Daniel Clowes die faszinierendsten. Das sind Bilder und Storys, die ich immer wieder lesen kann.
Sicher hab ich mich in meinen Notizen vertan und die Titel verwechselt, Olaf. Letztlich glaube ich, dass mich die asiatische (japanische) Weltanschauung nur begrenzt (aber ein wenig eben doch!) anspricht. Wabi-Sabi beispielsweise, eine spezielle japanische Ästhetik und Weltanschauung, habe ich über ein Interview mit der Fotografin Stefanie Schneider kennengelernt. Sie setzt das Wabi-Sabi in ihren Arbeiten um, indem sie mit abgelaufenem Polaroidmaterial arbeitet.
Über Igort gelange ich zu Yoshiharu Tsuge und habe mir die Kurzgeschichten „Rote Blüten“ bestellt, Red Flowers. Bin gespannt auf die Erzählweise. „Zauberhaft und unheimlich“ klingt vielversprechend. So sind auch die Filme aus meiner kleinen Asia-Abteilung: Stray Dogs von Tsai Ming-Iiang.
Igort, der italienische Zeichner, hat einige Reisebücher gemacht, unter anderem auch eins über die Ukraine.
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Uli Koch:
Danke für den unglaublich inspirierenden Text. Seitdem ich in meiner Jugend den Weg über Asterix und Co. hinaus gefunden habe, bin ich fasziniert von den Bilderwelten, die manche Autoren da entwerfen. Das waren erst Moebius (immer noch ein absoluter Favorit von mir. Habe gerade erst kürzlich sein Werk mit Jodorowski: Lust & Glaube, ein bizarr entgleisende Entwicklungsreise eines Philosophieprofessors aus der Sorbonne mit Sex & Drugs und jeder Menge unerwarteter Wendungen, mal wieder verschlungen), dann Druillet, Caza und kam dann erst langsam zu den Graphic Novels.
Aber die Japaner blieben mir graphisch lange fern. Das lag einerseits an den Mangas, von denen viele zwar gute Ideen haben aber doch u sehr auf Fortsetzung ausgelegt sind und dann, ganz doof eigentlich, weil mich das „von hinten anzufangen“ nicht gefiel.
Die Filme von Hayao Miyazaki hingegen liebe ich sehr, besonders „Prinzessin Mononoke“ und „Chihiros Reise ins Zauberland“.
Musste mir gleich Igort’s „Kokoro: Der verborgene Klang“ und Tsuges „Rote Blüten“ bestellen und bin schon sehr gespannt…