(Ein bisschen wie in Eric Rohmers alten Filmen geht es hier zu. Ein wenig langweilig also, ihr seid gewarnt. Alles spielt 1971, nein, 1972.) Die Erinnerung schrumpft mit den Jahren ein wenig zusammen, ich könnte mich hypnotisieren, und ein paar weitere Details wachrühren, aber wenn ich alle Jahre wieder (von irgendeinem Trigger getriggert) auf diese drei Wochen in der Hafenstadt Sète zurückblicke, drängeln sich einige Szenen immer wieder nach vorne, und sie tuen das wahrscheinlich aus gutem Grund. Mit mir im Zimmer war der Sohn der grossartigen Chefin des Düsseldorfer „Kommödchens“, und wir entwendeten eines Abends an der Kaimauer (er hiess auch Kai, glaube ich) ein Boot und paddelten zu einem Dampferkoloss, einmal um das Ungetüm herum, und kamen uns vor wie in einem Abenteuerroman. Es passierte allerdings nichts. Nachmittags tranken wir gerne mal einen Pernod, und aus der Jukebox kam dieser simple, rein instrumentale Synthi-Hit, der ungefähr diese Lautfolge hatte: pak pak pak pak pak pak pak. Kein „pak“ zu wenig, und wer ahnt, um welchen Track es sich handelt, kann die perfekte Modulation dazu liefern. (Jan Reetze, übernehmen Sie!) Unvergessen die ausladenden mehrgängigen Gelage am Mittagstisch bei der Arbeiterfamilie, in deren Etage wir wohnten, der Rotwein floss in Strömen, und wir krachten danach regelmässig auf unsere Betten. Im Nachbarzimmer waren in dieser sehr geräumigen Etagenwohnung zwei Girls untergebracht, und all meine Erinnerungen an den Film „Zur Sache, Schätzchen“ wurden wachgerufen. Wir fummelten, aber die grosse Urlaubsliebe blieb ein Traum, was auch daran lag, dass ich die Zeichen der jungen Sprachlehrerin nicht verstand, und lieber, wie ein literarischer Vollsnob, mit ihr über die Finessen des Absurden Theaters stritt, in bestem Schulfranzösisch. Statt in ihrem Bett landete ich am letzten Tag neben ihr auf dem Sand, ein paar Schritte vom Meer entfernt, es war die Abschlussparty von EF-Ferienreisen, und Monique Veranne (den Namen werde ich nie vergessen, und könnte ich gut zeichnen, würdet ihr sie hier alle zu sehen bekommen, so sehr hat sich diese finale Szene in mein Gedächtnis gebrannt) strich mit einer kleinen Geste, die aus dem Nichts kam, sanft mit zwei Fingern über meine Lippen, kniff mich in die linke Wange, und flüsterte in mein Ohr (natürlich auf französisch) die Worte: „Du süsser, kleiner Idiot!“ In diesem Moment begriff ich, was ich wohl verpasst hatte, und hätte zu gerne das Rad der Zeit ein paar Tage zurückgedreht: wir sassen in einem überhitzten Bus, auf der Fahrt ins Hinterland, und Monique ein paar Reihen vor mir, rechts neben dem Fahrer, ich sah ihre herrlich ranken Beine, hörte ihr weiches Lachen, und als wir um Montpellier herumkurvten, sah ich ein Plakat, das ein Konzert von José Feliciano ankündigte. Das liess mich kalt, ich hielt den guten José für einen Schmalzspieler, doch an jenem letzten Abend, als Monique mir, wie heisst es so nett, „einen eingeschenkt hatte“ („ich bin ja so doof“, war mein profanes Mantra, noch Wochen später), konnte ich mir endlose Minuten lang nichts Schöneres vorstellen, als zu den süssen Sounds seiner Konzertgitarre von dieser hinreissenden Lehrerin der Sprache (und wohl auch des Herzens) eine Nacht lang durchgevögelt zu werden.
2022 3 Jan
Ferien im Süden Frankreichs
von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 10 Comments
10 Comments
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Jan Reetze:
Popcorn.
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Michael Engelbrecht:
Stimmt. Sollte eigentlich auch zum Unvergesslichen zählen, der Titel – Popcorn, Moog only. Habe ich gestern, nach dem Schreiben, suchen müssen … Gerahon Kingsley: Music to Moog by. War das wohl auch der Song, der 71 in den Jukeboxen und im Radio zu hören war? Es gab ja Versionen …
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Jochen:
Wir hatten eine fünfköpfige Band mit organ, drums, e-bass, clarinet. I was about 14 and played e-guitar. Wir spielten auf Hochzeiten, Schützenfesten, Gottesdiensten, Partys. Organist und Klarinettist waren richtig gut, wir anderen hinkten etwas hinterher. Die Melodie von „Popcorn“ konnte ich nur langsam spielen, der Song war mir zu schnell.
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Uli Koch:
Finde aber die erste gerade wunderbar „jungfräulich“, was der kleine Clip von Top of The Pops atmosphärisch bestes unterstreicht:
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alex:
Das Stück in der Version von Hot Butter stieg wohl im August 1972 in die deutschen Charts ein. Das war die erste vollelektronische Musik, die ich gehört habe, lange vor Autobahn. Damals fing ein neues Zeitalter an. Bis gerade eben kannte ich nicht mal den Titel, erst jetzt fällt mir auf, dass die schnell gespielte Melodie sich ja wirklich ein bisschen wie aufploppendes Popcorn anhört. Wobei bei Popcorn ja die meisten Körner fast gleichzeitig aufplatzen, die Geschwindigkeit also langsam ansteigt, dann in ein Staccato übergeht und dann nur noch vereinzelte Plops kommen. Popcorn haben wir das erste Mal an einem Samstag gemacht, da lief gerade Raumschiff Enterprise. Muss auch so ca. 1972 gewesen sein, ich war so etwa neun. Damals sah die Zukunft irgendwie besser bzw. spannender aus als wie sie dann geworden ist. Insbesondere für einen Noch-Nicht-Teenager.
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Michael Engelbrecht:
Es kann sein, dass es auch der Sommer 72 war, und also die Version von Hot Butter lief – in dieser ganzen Story geht es ja um Ränder der Erinnerung, mehr oder weniger scharf umrissen. Ich sehe die Bar, den Pernod, und die Jukebox sehr genau vor mir.
Diese Geschichte, so fluffig wie erzählt, ist ja auch ein Dokument des Scheiterns einer Sehnsucht. Ich war also 16, 17, die Sprachlehrerin ca. 27, das war für mich unerreichbar, und ich verlegte mich auf „literarische Streitgespräche“, „Widerspenstigkeit“, während da ständig etwas anderes mitschwang.
Als es zu dieser Szene am Strand kam, natürlich am Ende der Ferien, wurden mir all jene Szenen und flüchtigen Momente deutlich, in denen sie mir „Zeichen gab“, die ich nicht richtig „wahr-nahm“: offene Tür zum Lehrerzimmer, ein langer Blick im Bus, der auf mir ruhte, während ich ihm nicht standhielt etc etc. POPCORN passte irgendwie dazu…
… ein „novelty song“ von edler Schlichtheit😉
Wenn es passiert wäre, würde ich wohl auch an Truffaut denken, und nicht an Rohmer… und Truffaut ist mir zum Glück eindeutig näher:):)
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Chrissie:
Und durch Rohmer hat man sich folgsam hindurchgelangweilt weil er als Vertreter der nouvelle vague eben ein Muss war.
Jaja …
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Michael Engelbrecht:
Wahre Worte, gelassen ausgesprochen. „Claires Knie“ – ich glaub, mich tritt ein Elch! 😊
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Chrissie:
Gähn, schnarch!
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Martina Weber:
Ich erinnere mich an die Musik. Muss sie wohl später gehört haben, verbinde sie eher mit Fernsehen. Interessanter Click Uli. Unterschiedliche Tanzstile und eindeutig stilsichere und zeitlosere Mode als in den 80ern oder Ende der 80er, wie ich sie gerade in der ersten Staffel der Serie „Northern Exposure“ (Alles Alaska)sehe.