Manafonistas

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2021 23 Dez.

Ein Text mit Bärtsch und Gebäck

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | 4 Comments

 

Wer vom Lande kommt, ellenlange nachmittagliche Spaziergänge unternahm mit den Hunden, die über die Felder jagten, dann zum Fünfuhrtee einkehrte mit Kandis, Klönschnak und Gebäck, der wird sie kennen: die Grenzsteine, die den öffentlichen Weg zum Besitzgrund des Bauern hin markierten – meist ein Findling, klein und doch bedeutsam. Solche Markierungen haben sich über die Jahre auch im Geiste angesammelt, in Form von Büchern, Bildern und Zitaten. Max Frisch, der ja vor seiner Schriftstellerei als Architekt tätig gewesen war, meinte, die Arbeit auf dem Bau als Handwerker oder Bauarbeiter sei eines der letzten verbliebenen Abenteuer in der modernen Zeit. Das hatte mich immer irgendwie geadelt, da selbst in jener „Wildnis“ tätig, jahrelang. In einem seiner Bücher (War es Montauk?) interviewte er einen Malermeister, dem zu keiner gestellten Frage etwas einfiel. „Mit welcher Farbe streichen sie am liebsten?“ „Weiß nicht.“ „Wie finden sie ihre Arbeit?“ „Normal.“ Wieviel lieber sind mir Leute, die was zu erzählen haben und nicht alles „normal“ finden – beispielsweise digitale Technik, die es ermöglicht, dass man online auch die Kunst der Dialoge entdecken kann: das faszinierte Verfolgen von Gesprächen, die sich kunstvoll entwickeln. Eine meiner Lieblingssendungen in diesem Bereich ist die Sternstunde Philosophie des Schweizer Fernsehens. Zu den kompetenten Gesprächskünstlern gehören Barbara Bleusch, Wolfram Ellenberger und Ives Bossart. Letzterer traf sich mit Nik Bärtsch, dem Pianisten und Bandleader der Gruppe Ronin, dessen Musik zuweilen ja als Zen-Funk betitelt wird. Der erzählt dort viel: von Weihnachtsritualen mit seinen Kindern, wie er einmal in der U-Bahn angegriffen wurde, von seiner Leidenschaft des Kampfsports, die Inspiration durch das Kurosawa-Epos Ran. Auch der Philosoph Byung-Chul Han wird erwähnt und Bärtsch liefert eine plausible Kritik: er selbst sei nicht so defensiv eingestellt – man müsse sich aufs Machen fokussieren und etwas „anbieten“. Was Han, der ja gute Literatur anbietet, nicht schmälert, aber eingrenzt. Dieses Gespräch hier wärmstens zu empfehlen, sehe ich geradezu als meine Pflicht.

 

This entry was posted on Donnerstag, 23. Dezember 2021 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

4 Comments

  1. Rosato:

    vielen Dank

    großartig

  2. Lajla:

    Wirklich eine Sternstunde, Bärtsch zuzuhören.

    In der letzten Sternstunde ratterte Harald Welzer mit der Bleisch gegen die Innovationen in der Leistungsgesellschaft. Er ist bestimmt auch ein Fan von Nik Bärtsch.

  3. Michael Engelbrecht:

    Formidabel!

  4. Olaf Westfeld:

    Großes Vergnügen, in der Tat!


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