Manafonistas

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2021 13 Dez

„We are electronic performers“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 3 Comments

Fast leuchtet noch im Halbdunkel und gelb das Cover von „Computerwelt“, da starte ich „10000 Hz Legend“ von Nicolas Goudin und Jean-Benoît Dunckel, in Surround. Air – das ist mal ein aussagekräftiger Bandname, man kann ihre Musik einatmen, auch die gelegentlich hineinwehenden Orchesterklänge scheinen mit Sauerstoff angereichert. Täuschend einfach ist ihre Musik, ein französischer Poet veröffentlichte 2011 eine Hommage an Air mit Fotografien von Wolken, unter denen jeweils zehn Zeilen umfassende Prosagedichte standen, streng im Blocksatz, jeder Text hatte den Titel einer Air-Komposition. „10000 Hz Legend“, das raumgreifende zweite Album der beiden, wurde in diesem Jahr zwanzig Jahre alt.

 

Wolken, Wolken, Wolken. Im Gegensatz zu ihrem weltweit gefeierten Debut „Moon Safari“ ist es gern und oft verrissen worden. Der relativ bescheidene Eklektizismus des Albums löste eine Reaktion aus, die der ähnelte, als Dylan elektrisch wurde. „Es ist ein schmaler Grat zwischen Ambient und Ziellosigkeit„, schimpfte David Browne in Entertainment Weekly, während The Guardian die vermeintlichen proggigen Abstecher des Albums beklagte und ein Übermaß an „berühmt-berüchtigter Schwelgerei a la Rick Wakeman“ anführte. Nö, das hörte ich anders.

 

Ich erinnere mich an die Jahre, als ich Thomas Köner öfter in seinem Dortmunder Studio besuchte, und immer wieder überrascht war, wie er sich für bestimmte, sehr melodische Werke der Popmusik erwärmte, „Avalon“ gehörte dazu, „Sutras“ von Donovan, produziert von Rick Rubin, dessen launigen Gespräche mit Paul McCartney niemand, der die Beatles liebt, verpassen sollte („McCartney 3 2 1“ – auf Disney Plus), und „Moon Safari“. Als das berüchtigte zweite Album der „Luftikusse“ aus Frankreich erschien, war Thomas auf dem Sprung in ein anderes Land, und ich hob alleine mit dem Raumschiff ab, das „10000 Hz Legend“ bereitstellte. Hätte gerne seine Meinung gehört.

 

I was an addicted listener, aber nun alleine mit den Flüstereien und Schwebungen der Musik, die letztlich eine Anleitung zum kompletten Verschwinden darstellte. Die Notationen waren Wolkenbilder, der öffentliche Diskurs hielt nur die alten Worthülsen bereit, wenn man Klänge liebte oder eben nicht. Hier ging es aber um  Verschwinden, darüber schrieb keiner.

 

In einsetzender Nacht bin ich diskursbefreit, und lasse es zu, wie die Sounds mich einsaugen, mein Ich flatter- und flatterhafter wird, flucht- und flüchtiger – die Sterne locken, lapidar gesagt. Shoegazing,  stargazing. Wie die Raumfahrer der Apollo-Missionen habe ich meine Kassetten an Bord, „Apollo“, „Nan Madol“, „After The Goldrush“, „Northern Song“, „New Skin for an Old Ceremony“, „Kid A“ – und eben „10000 Hz Legend“. Mehr brauche ich nicht, bis ich einen Asteroidenschauer überstanden habe und mich dem äusseren Ende der Milchstrasse nähere.

 

Am Anfang gaukeln die Songs noch Songhaftigkeit vor, dann wechseln sie in eine Sphäre, die man als Ende der Kindheit beschreiben könnte: wie eine leergefegte Kirmes im ewigen Winter: aus einigen defekten  Radios werden Lebens- und Liedzeichen gefunkt („this is the story of a country girl“), und ein verwaistes Schild weist auf das nächste Jahr, das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Das Unheimliche klang selten so anheimelnd. Wunderbare Musik für Sex in Slow Motion. „I like the way you look tonite.“ 

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3 Comments

  1. Olaf Westfeld:

    Tatsächlich kaum eine Erinnerung an das Album – außer Eject Musical Trash -, obwohl ich es mochte.

  2. Michael Engelbrecht:

    Es handelt ja auch vom Verschwinden … das iat wirklich ein sehr seltsames Teil. Aber faszinierend.

  3. Jan Reetze:

    Ich habe zwar momentan eine Art Pink-Floyd-Festival, aber die Air-Scheibe habe ich noch im Regal — ewig nicht mehr gehört, aber jetzt bin ich neugierig. Mal hören, ob ich etwas wiedererkenne.


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