Mike Katz und Crispin Kott haben bislang zwei Bände vorgelegt, ob eine Reihe daraus werden soll — wer weiß. Beide Bände im Paperbackformat sind der Versuch, die Musikszene einer Stadt so aufzudröseln, dass Besucher sich einen Plan besuchenswerter Orte zusammenstellen können. In beiden Bänden steckt eine bemerkenswerte Recherchearbeit; die Aufmachung ist identisch. Die Adressen nicht mehr existierender Gebäude sind meist mit einem durchgestrichenen Kreis gekennzeichnet, was aber nicht immer der Fall ist — in Amerika ist man im Abreißen ziemlich mitleidlos. Beide Bände besitzen Indexe, die leider nicht immer ganz korrekt sind. Die Bücher sind, wohl um den Umfang möglichst gering zu halten, aus einer kleinen, komprimierten serifenlosen Schrift gesetzt, was für einen alten weißen Mann das Lesen leider recht anstrengend macht.
Der erste Band, erschienen 2018, ist New York City gewidmet. Die Grundidee ist, die Stadt stadtteilweise nach Musikclubs, Kneipen, Konzerthallen, Plattenläden, Studios und gegebenenfalls auch früheren Wohnorten prominenter Rockmusiker abzugrasen, stets mit der genauen Adresse und vielfach mit Fotos dokumentiert. Dazwischen werden die Karrieren wichtiger Bands aus den jeweiligen Stadtteilen in Einzelkapiteln vorgestellt und aufgelistet, wo sie irgendwann mal aufgetreten sind, in welchen Studios sie welche Platten aufgenommen haben und was aus ihnen geworden ist.
So einleuchtend das klingt, der Haken dieser Vorgehensweise fällt schnell ins Auge: Es gibt eine Unzahl von Venues in New York, und fast alle Acts haben im Laufe ihrer Karriere in etlichen davon gespielt. Deswegen tauchen schon nach kurzer Zeit bei jeder Band immer wieder dieselben Veranstaltungsorte und dieselben Adressen auf. Das ermüdet ein wenig. Zum Durchlesen sind die Stadtteilkapitel deswegen eher nicht geeignet; sinnvoller ist es, anhand des Inhaltsverzeichnisses oder des Indexes bestimmten Bands oder Namen durch das Buch zu folgen. Dass die Auswahl der Namen angesichts der Unzahl von Bands begrenzt und subjektiv sein muss, versteht sich von selbst. Manchmal wundert man sich über die ungleiche Länge der Kapitel; die Velvet Underground etwa werden auf sechs Seiten bedient, wie auch die ur-New Yorker Talking Heads, die Beatles sogar nur auf fünf, Simon & Garfunkel erhalten immerhin neun — wobei zuzugeben ist, dass deren Karriere um einiges nicht nur länger, sondern auch kurvenreicher verlief. Literarische Ansprüche darf man nicht stellen, aber darum geht es auch nicht.
Wer sich mit Hilfe dieses Buches durch New York City bewegt, kann beispielsweise die Häuserzeile entdecken, die auf dem Cover von Led Zeppelins Physical Graffiti zu sehen ist (96-98 St. Marks Pl) und mit Erstaunen feststellen, dass die Häuser in Wahrheit ein Stockwerk mehr besitzen als auf dem Foto. Oder man steht vor dem handtuchschmalen Gebäude einer Bankfiliale (105 2nd Ave) und wird von der Erkenntnis getroffen, dass dies einmal das legendäre Fillmore East war.
San Francisco und die Bay Area sind der Gegenstand des zweiten Bandes, erschienen 2021. Aufmachung und Aufbau sind identisch mit dem New-York-Band, aber weil San Francisco deutlich kleiner als New York ist und die Club- und Kneipendichte sehr viel niedriger ist, wird hier weniger auf die Stadtteile geschaut, sondern auf Bands. Und klar, dass der Schwerpunkt hier auf den Grateful Dead, Janis Joplin und Big Brother & The Holding Company sowie Jefferson Airplane/Starship liegt, in zweiter Reihe stehen Santana, Creedence Clearwater Revival, Quicksilver Messenger Service. Paul Kantners zweites Wohnzimmer immerhin kann man noch besuchen (Caffe Trieste, 601 Vallejo St, aber diese Adresse wusste der Fan natürlich auch schon vorher). Auch der Veranstalter Bill Graham hat ein eigenes Kapitel. Da im Gegensatz zu New York der musikalische Ruhm San Franciscos heute ein wenig verwittert ist, hält sich das Buch stärker an die selige Hippievergangenheit, was zur Folge hat, dass viele der erwähnten Clubs und Konzerthallen nicht mehr existieren. Der Winterland Ballroom etwa ist längst abgerissen, wer sich also zur Adresse 2000 Post St begibt, findet dort heute nur ziemlich einfallslose Apartmenthäuser vor. Der Carousel Ballroom, aus dem das Fillmore West wurde (10 South Van Ness Ave), beherbergte später einen Autohändler, der immerhin wusste, dass er auf musikhistorischem Grund residierte und im Hinterzimmer eine Art Fillmore-Museum betrieb. Aber auch der ist weg, heute steht dort ein neutrales Geschäftsgebäude mit einem Café. Oh Nostalgia …
Wer also eine Musikreise plant (und sei es nur im Kopf oder per Streetview): Dies ist empfehlenswerte Lektüre.