Der Corona-Shutdown scheint so manchen zu erhöhter Aktivität veranlasst zu haben. So auch Lana Del Rey, die soeben mit leichter Verzögerung ihr zweites Album in diesem Jahr vorgestellt hat: Blue Banisters, blaue Treppengeländer — wie sinnbildlich man immer den Titel verstehen möchte.
Denn in der Tat: Lana nimmt den Hörer an die Hand und führt ihn durch eine sehr seltsame, völlig in sich geschlossene Landschaft. Blue trifft es recht gut, blau, dunkelblau ist die Stimmung des Albums. Moorlandschaft unter Vollmondlicht. Einerseits hätte Blue Banisters auch zusammen mit Chemtrails Over the Country Club als Doppelalbum erscheinen können, andererseits aber auch nicht. Bei genauerem Hinhören unterscheiden sich die Alben nämlich doch. Wenn man das Poetry-Album einmal mitrechnet, dann ist dies Lanas neunte Platte seit 2012, es ist also eine gewisse Routine eingetreten, und die zahlt sich aus. Lana Del Rey ist eine Kunstfigur und bleibt dem einmal gewählten Rollenbild auch hier wieder treu, arrangiert dessen Bauelemente aber immer wieder einmal um. Und sie weiß genau, in welchen Lagen ihre Stimme am eindrücklichsten wirkt.
Fünfzehn Songs, die meisten um die viereinhalb Minuten lang. Die Grundstimmung (ohne hier jetzt auf die teils expliziten Texte einzugehen, die ich noch nicht alle entschlüsselt habe) ist Drama, zeitbezogen, und doch irgendwie an Hollywoods Schwarze Serie erinnernd. Das Album basiert im wesentlichen auf dem Piano, dem Grand wie dem E-Piano. Dazu kommt sparsames Schlagzeug, das gelegentlich allerdings brachial zuschlägt, irgendwo ist auch ein Morricone-Sample eingebaut. Lana rollt ihre Stimme aus wie einen samtenen Teppichläufer, auch dieser allerdings unterbrochen von gelegentlichen Ausbrüchen, die fast ins Hysterische gehen, dann aber doch wieder abgebremst werden. Sie liebt bestimmte melodische Wendungen, die immer wieder in vergleichbarer Weise auftauchen, baut in die Songs aber auch seltsame Melodiesprünge ein, bei denen man nicht immer genau weiß, ob sie einen aus der Bahn werfen sollen oder ob sie einfach kompositorisch nicht ganz zu Ende gedacht sind. Auch greift sie gern mal die inzwischen etwas aus der Mode geratenen Mittel des Tempo- und/oder Rhythmuswechsels auf.
Was mich an diesem Album besonders fasziniert hat, ist die Art der Produktion. Man hat fast den Eindruck, das Album bestünde aus zwei Klangschichtungen, einer inneren und einer äußeren. Für den erwähnten Teppichläufer (das Bild ist mir nicht aus Versehen eingefallen) werden altertümliche Platten- und Federhall-Effekte eingesetzt, die dem Ganzen einen leichten Sechziger-Jahre-Touch geben — warm, aber nicht räumlich. Dazu kommen Einwürfe, die aus einer anderen, sehr heutigen Klangebene hinzugefügt werden und sozusagen von außen auf die innere Klangebene prallen — das ist sehr faszinierend. Man achte auch einmal darauf, wie viele Stimmen man eigentlich hört. Dass Lana ihre Stimme gern doppelt, ist nicht neu, das ist auch hier wieder so. Hier aber singt sie punktuell ganze Chöre, die streckenweise fast an Mahlersche Fernchöre erinnern. Es ist sehr reizvoll, im Kopfhörer einmal genau darauf zu achten, wie die diversen Stimmen sich akustisch unterscheiden und im Panorama verteilt sind — das ist alte Abba-Schule, handwerklich perfekt.
Einige Kritiker haben Blue Banisters bereits ziemlich verrissen. Mit gefällt das Album nach einmaligem Hören sehr gut. Lediglich scheint es mir ein wenig lang geraten zu sein. Ein oder zwei Stücke weniger wären auch in Ordnung gewesen. Auf jeden Fall ist dies eine Platte, nach der man nicht sofort andere Musik hören möchte.