Die längere Wartezeit im Wartezimmer einer Praxis liess sich wieder einmal gut überbrücken mit der Lektüre eines mir sonst nicht zugänglichen Zeitschriften-Artikels. Aus dem Inhalt wählte ich etwas über Nawalny, doch das daneben sprang mich direkt an: ein Interview mit Andreas Reckwitz und Hartmut Rosa anlässlich ihres gemeinsamen Buches. Mein Instinkt funktioniert eben doch so, dass ich der Philosophie den Vorzug gebe vor so manchem Politikum (und sei es das von Dissidenten). Hochspannend also nimmt das Gespräch viele Gedanken auf, die mich auch in diesen Tagen beschäftigten: so die Frage, warum Grün und Gelb sich so sondierungsselig und harmonisch aneinander schmiegten. Andererseits logisch, trifft sich doch dort das hippe akademische Bürgertum, die Homeoffice-Elite. Oder eine andere Frage: wird die Zukunft utopisch oder dystopisch sein? Reckwitz sieht’s wohl eher düster, glaubt nicht an einen Wandel des Systems. Rosa ist mehr positiv gestimmt, kein Wunder, seine Begriffe von „Resonanz“ und „Unverfügbarkeit“ sind ja in aller Munde. Fehlte nur noch ein Dritter im Bunde, nämlich Byung-Chul Han: dem wiederum begegnete Gerd Scobel und das Gespräch kann ich nur empfehlen. Han wirkt dabei wie eine Spinne im Netz ihrer eigenen Gedankenkonstrukte, die sich, ähnlich den Modulen des Pianisten Nik Bärtsch, grenzenlos ineinander verschachteln liessen. Insofern wundert’s nicht, wenn dieser auch zum Abschluss meint: „Wir könnten ewig weiterreden“. Han ist Pessimist, aber das Zuhören und das Lesen lohnt sich.