Stefan Aust nennt sich „so ’ne Art Journalist“, findet sich „überdurchschnittlich durchschnittlich“ und gehört damit spätestens seit den späten 1960er Jahren zu den wenigen deutschen Journalisten, die ich als wichtig bezeichnen würde. Seine Reise führte ihn von der Schülerzeitung Wir über die St.-Pauli-Nachrichten zu konkret, von dort zur „Panorama“-Redaktion des NDR, zur Spiegel-Chefredaktion, er brachte mit Alexander Kluge Spiegel-TV und dessen diverse dctp-Derivate zum Laufen, er gründete XXP und übernahm damit Vox TV, war Mitgründer von n-tv, und heute ist er Herausgeber der Welt. Dass er dort mal landen würde, hätte er zu Beginn seiner Karriere sicher nicht gedacht — obwohl: Damals war die Welt noch ein liberales Blatt. Freier Filmemacher und Buchautor ist er noch dazu. Und — nicht zu vergessen — Pferdenarr.
Dankenswerterweise verzichtet Aust auf lange persönliche Geschichten, er hält sich als Privatperson sympathisch zurück und nimmt uns statt dessen mit auf eine 650 Seiten lange Reise, die wahrlich den Namen „Zeitreise“ verdient. Austs kritische Begeisterung für die USA macht Lust, seine Reisen nachzureisen; er hat den richtigen Blick für das Wesentliche. Von Station zu Station fallen einem die Ereignisse wieder ein — die meisten davon hat man ja mitbekommen, nur hatte man längst vergessen, wer der Berichterstatter war: Der Besuch des Schah von Persien, der mit dem Tod Benno Ohnesorgs endete. Die Baader-Meinhof-Zeit, der Bestseller und der daraus resultierende Film (den er für sehr gelungen hält, ich bin da etwas weniger überzeugt). Die Anti-Atom-Bewegung. Die Hitler-Tagebücher. Tschernobyl. Der Mauerfall. Und, und, und; ich will es nicht alles aufzählen. Manches interessiert mehr, manches weniger. Die Story um den Agenten Mauss etwa hat mich schon damals nicht interessiert, und auch hier im Buch habe ich sie nur quergelesen. Um so interessanter aber Austs durch konkret entstandene Kontakte zu Ulrike Meinhof, bis hin zu der Geschichte, wie er ihre Kinder aus Italien nach Deutschland holte. Auch wenn Austs Erzählstil eher cool ist, so merkt man ihm doch an, dass manche Ereignisse nicht ganz so cool waren, als sie passierten. Und auch heute noch darf man pointierte, aber stets begründete Ansichten von ihm erwarten; etwa zu Fridays for Future und der heiligen Greta — und gerade aus der Perspektive über den Atlantik ist das interessant.
Ein bisschen verblüffend ist die scheinbare Geradlinigkeit von Austs Karriere. Jede Station scheint sich aus der davor zu ergeben; man hat das Gefühl, da gab es kaum mal Zweifel oder Entscheidungen, die im Nachhinein bedauert wurden. Aber das ist eine Eigenart vieler Autobiografien. Sie resultiert aus der Rückschau, vielleicht ist das nicht zu vermeiden. Lesenswert, alles in allem. Mit Fotostrecke und einem schönen roten Lesebändchen.