Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

You are currently browsing the blog archives for the month September 2021.

Archives: September 2021

2021 3 Sep

Early morning (Surface)

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 3 Comments

 


 

Auf den Tag genau zehn Jahre her. Mittlerweile hat er sich zurückgezogen, aber was war damals los, auf einer seiner letzten Missionen? Arve Henriksen verstand die Signale von Space Commander Sylvian. Nostalgie half da nicht. Keiner würde hinterher jammern und die Frage stellen: „Where’s my Space Age?“ Die Trompete beschrieb ihre verdunkelten Bögen im weiten Rund. Aber erstmal zurück in die Zukunft …

 

Irgendwann in den Achtziger Jahren nahm David Sylvian in Köln, zusammen mit Holger Czulay und einigen Anreicherungen von Karl Lippegaus, „Plight and Premonition“  auf. Seine Solokarriere hatte schon Fahrt aufgenommen, „Brilliant Trees“ war ein „instant classic„, und gestern noch, also am 2. September, sprach ich mit Jan Bang über die besondere Klasse des Werkes.  Seine Stimme ging um die Welt. Mit dem Diktaphon von Czukay, den Trompetentönen von Jon Hassell,  entstand eine sehr reichhaltige Pop-Kammermusik. „Plight and Premonition“ spielte sich an den Rändern der öffentlichen Wahrnehmung ab, ich fand die rein instrumentale, ruhige Platte damals interessant, aber sie rührte mich lange nicht so wie die Ambient-Alben von Brian Eno. Postiv überrascht war ich dann doch, dass ich beim Wiederhören der fast vergessenen Platte staunte, wie wenig gealtert die Musik war.

 

Nun also wurde „Plight and Premonition“ erstmals live aufgeführt, beim 7. Punktfestival in Kristiansand. Jeder der Musiker auf der Bühne hatte sich zuvor mit der langen, eine Plattenseite füllenden Komposition, befasst. Als sich der Vorhang öffnete im ausverkauften Agden Theater, saß Sylvian ziemlich im Zentrum, mit Gitarre und Synthesizer, flankiert von „Live-Sampling-Magus“ Jan Bang und „Elektronikfuchs“ Erik Honore. Etwas weiter außen saßen Philip Jeck, sein Instrument  Vinyl,  und Eivind Aarset. Ganz außen, am linken Bühnenrand, hatten der Trompeter Arve Henriksen und der Pianist John Tilbury ihren Platz gefunden.

 

Durch eine Lichtinstallation entstand der Eindruck, man würde in das hintere Teil eines Raumschiffes schauen, das jederzeit bereit sei, abzuheben.  Ein dunkler, fast melodischer Drone schwebte über uns wie eine ewig wiederkehrende Welle. John Tilbury brillierte mit all den Tönen, die er nicht spielte, der Mann am Flügel praktizierte Askese, und wenn er ein, zwei Noten auf Reisen schickte, hatte man  das Gefühl, das gute alte Klavier würde mehr und mehr historisches Gepäck abwerfen.

 

Jan Bang und Erik Honore, geschätzte Kollaborateure von Sylvian, reicherten das weite Feld an mit winzigen Details, raumgreifenden Kolorierungen, und all den Dingen, für die einem zum Glück Worte fehlen. Einmal schickte Philip Jeck eine seltsame spanische Stimme durch den Äther, wir Zuhörer konnten unsere Ohren schweifen lassen, unsere Blicke dehnen. Eivind Aarset vermied jedes noch so ferne Ethno-Klischee, das Raumschiff hatte sowieso schon schon lange abgehoben.

 

Am Ende langer Beifall. David Sylvian trug erstaunlicherweise keine Sonnenbrille, nur eine kleine Kappe auf dem Kopf. Er sagte kein Wort, aber er zollte seinen Reisegefährten, und auch dem Publikum, apllaudierend Respekt. Er schien tatsächlich gerührt zu sein. Am tTag danach traf ich Mr. Sylvian in der Hotellobby. Ich erinnerte ihn an unsere langes Gespräch über „Manafon“, Jahre zuvor, im dunklen Winkel eines Hamburger Hotelflurs. Ich wollte die Reise vom Vortage zu gerne im Radio senden. Leider kam es nie dazu, und in den Archiven des Punktfestivals liegt immer noch diese bemrkenswerte Reise, die auf ECM New Series bestens aufgehoben wäre. 

 

 

Foto © Christoph Giese

Foto © Christoph Giese

 

2021 3 Sep

interlude / zwischenspiel

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: , | Comments off

 
 

a u d i o

 
 

2021 2 Sep

Lessons on lucid dreaming

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off

 

 

2021 2 Sep

Frühstücken mit Giy Sigsworth

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off

 

2. September 2011. Guy Sigsworth ist ein sympathischer Zeitgenosse. Musiker und Produzent. Er arbeitete schon mit Madonna, Björk, Alanis Morrissette, Britney Spears, Jon Hassell, Stina Nordenstam. Eine interessante Mischung. Beim Frühstück plauderten wir über Björks Flamencostück, die Fallen der Avantgarde, wie unsere Wahrnehmung von Musik von den Orten verwandelt wird, an denen wir sie hören. Es ging kreuz und quer, und es war witzig. Wir sprachen auch über den Zauber, den gewisse scheinbar ultrasimple Songs haben können. Als Beispiel führte er einen Song von Farah an, die mir völlug unbekannt ist. Ein junges Mädchen versucht einen schwulen Jungen umzudrehen, mit allen Tricks und Fantasien. Es gelingt ihr natürlich nicht. Das Lied ist  charmant.

Sie grummelt, stöhnt, gibt Laut. Richtige Wörter und Sätze mit Sinn und Syntax nutzt die norwegische Ausnahmesängerin Sidsel Endresen kaum noch. Das hat sie lange genug getan, auf Soloalben, die etwa So I Write heißen, oder wenn sie an der Seite von Bugge Wesseltoft einem Oldie wie Paul Simons 50 Ways to Leave Your Lover das Sentimentale austrieb. Seit Jahren hat sich Sidsel Endresen von der Last des Sinnstiftens, von gepflegtem storytelling gelöst. Ihre Sprachschöpfungen knüpfen an eine Urwelt der Laute an, an wenig erforschte Gesetze von Einkehr und Ekstase. Und so wirken Endresens Eruptionen und Soundforschungen merkwürdig archaisch. Wer weiß, inwieweit sie unbewusst Gesangstechniken übernimmt, die bei fernen Ethnien zu den Ritualen zwischen Leben und Tod zählen!

Jazztugenden from a whisper to a cry realisiert sie allemal mit uralter nordischer Intensität. Die beiden Musiker an ihrer Seite sind das ideale Pendant. Als Humcrush haben der Trommler Thomas Strønen und der Keyboarder Ståle Storløkken schon mehrfach Unverbrauchtes aus der Fusion-Ära (einen Hauch von Joe Zawinul) mit seltsamen Sinnlichkeiten der E-Musik (einer Prise Arne Nordheim) sowie kaum definierbaren Quellen kombiniert, rhythmisch trickreich und sphärisch entrückt. Der elektroakustische Jazz der CD Ha! wirkt wie ein Destillat detailverliebter Studioarbeit, entstand aber, in einer einzigen Stunde wahrer Empfindungen, live in Willisau.

Aus alten Jazzträumen, die sich selbstverliebt im Kreis drehen, wird bei Humcrush w/Sidsel Endresen ungebremster Vorwärtsdrang. Das Unerhörte spielt eine Hauptrolle, und die Sicherheiten des guten Geschmacks helfen nicht weiter. Diese furiosen Unberechenbarkeiten werden zwar niemanden aus dem Diana-Krall-Fanclub überzeugen. Wer aber der Meinung ist, dass es im Jazz beim Singen vielleicht noch um andere Dinge gehen könnte als um gekonntes Wiederkäuen von Nostalgieveranstaltungen in memoriam Ella Fitzgerald im Hochglanzkostüm, wird diese Musik unter der Haut spüren, und sie wird kein Ruhekissen sein. Man kann eben auch mit Lauten jenseits der Sprache richtig spannende Geschichten erzählen.

 

Most of the years I‘ve been at this festival, and it was Arve Henriksen who invited me here first place – after our long conversation on music (and his approach to the trumpet) on the island of Lanzarote. He played Jameos del Agua in 1999, I think, being part of Christian Wallumrod‘s trio (Manfred Eicher produced their fine album „No Birch“). The festival musica visual di Lanzarote closed its caves at the end of last century, and PUNKT was a kind of natural sequel. Somewhat surreal to experience the release concerts of, for example, The Eivind Aarset 4_tet, after presenting it  in my last radio night. One night, years and years ago, some of us journalists joined Jon Hassell, and in that Norwegian pub that had nothing exotic or fourth world-like in its ambience, I introduced Jon to the great-great daughter of Gustav Mahler who was a cellist in a Symphony Orchestra. And that was special. Punkt has always been about the closing of circles. Sometimes they close after ten years or so. This is Punkt 2021 – and Punkt 2011. Welcome.

 

2021 1 Sep

Eine andere Art des Souvenirs

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off

Hallo, Michael, liebe Manafonisten!

Das Buch geht natürlich rum hier in London, in bestimmten Kreisen. Zunächst liest sich „Souvenir“ von Michael Bracewell wie eine Reihe von Postkarten aus der Vergangenheit, denn der Autor verwendet Fotos, Schallplatten und Bilder von alten Schlafzimmerwänden, um sich an sein Leben in der Hauptstadt zu erinnern, als der staubige Modernismus der späten 70er Jahre allmählich einem neuen digitalen Pop-Zeitalter weicht. Er ist ein lyrischer, rhapsodischer Autor, aber sein Stil hat sich schon immer der nackten Mechanik einer Standardbiografie oder -geschichte widersetzt. Befreit von solchen Bedenken verliert er sich hier in reichhaltigen, beschwörenden Träumereien über alles Mögliche, vom Walkman und PiLs Metal Box („eine postindustrielle Winterreise… von einem Ort mit verlassenen Schrebergärten und Oberleitungen“) bis hin zur „verzweifelten Müdigkeit“ im Haus seiner Eltern in der Vorstadt. Teils Lobrede, teils Elegie – Bracewells verschwommene, halluzinatorische Memoiren scheinen keinen anderen Zweck zu haben, als zu transportieren, und der Leser hat keine andere Wahl, als sich seiner kraftvollen, hypnotischen Prosa hinzugeben und sich selbst als Zeitreisender oder Geist vorzustellen, der in einem verschwundenen London umhertreibt, das irgendwo zwischen Nachkriegsverzweiflung und futuristischem Optimismus liegt.

So long,

Andreas Mahl


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz