Manafonistas

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2021 27 Sep

Outdoor Artists (2)

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 1 Comment

Ich schaute durch die Schießscharte auf die Linden, auf Birken, Robinien, in das trübe Wasser des Burggrabens oder auf sich nähernde Attrappen von Menschen in Ritterrüstung. Ich erinnerte mich. Ich habe viele Sonntage meiner Kindheit auf Burgen im Odenwald oder im Pfälzer Wald verbracht, es waren Ausflüge, die meine Eltern mit Freunden meines Vaters und dessen Familien geplant hatte, Wanderungen durch herbstlich verfärbte Wälder mit Kindern, die ich nicht ausgesucht hatte, mit denen ich mich arrangieren musste. Es endete meist, etwas erschöpft, mit der Einkehr in ein Gasthaus, dann Rückreise, der Neckar zieht sich wie ein gerades Band dunkel neben der Straße entlang. Und ganz sicher war ich auch schon hier, sagte ich. Schandkorb, Eiserne Jungfrau, Streckbank, im Gewölbe des Kriminalmuseums, in dem man immer fror. Erinnerung an das Schaudern, das Gruseln, der leichte Druck im Bauchbereich, die Vision unabwendbarer staatlicher Gewalt, die die Atmosphäre evoziert, auch ohne die Geräte nochmal zu sehen. Die Sonne schien, wir  gingen den Hochpfad an der Stadtmauer entlang, es war eine Einbahnstraße, ein Einbahnweg genauer gesagt, pandemiebedingt, aber andere hatten das Schild nicht wahrgenommen und so ging es dann doch in beide Richtungen. Es gab eine Unterbrechung des Hochwegs und eine Treppe hinunter. Und dort, zwischen Klingentor und Strafturm, erwartete uns, unter freiem Himmel, etwas überraschendes: eine Kunstausstellung.

 
 

 
 

Um die Kunst zu den Menschen zu bringen, hatten die „aktiven Mitglieder“ des Kunstkreises sich entschieden, ihre Arbeiten einen Sommer lang der Witterung auszusetzen und sie als Ausstellung an der Stadtmauer zu präsentieren. Das war das kulturelle Highlight meines Ausflugs nach Rothenburg ob der Tauber. Bedenkt man die Einwohnerzahl von 11273 (Stand 31.12.2020), ist die Dichte an bildnerisch künstlerisch Tätigen vermutlich sogar deutlich höher als die Dichte von Romanautoren in Berlin. Die Gemälde lassen den Rückschluss zu, dass im Kunstkreis viel über Theorie gesprochen wird. Alle Richtungen der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts sind vertreten: Collagen, ungegenständliche Farbflächen, in wilden schwarzroten Ornamenten verborgene halb illegale Anbandlungsgespräche, Landschaften, Stillleben, Reales, Irreales, Hilfloses, ein Triptychon, die Brooklyn Bridge, Malen nach Zahlen sogar vielleicht. Dies sind die zwei Bilder, deren Atmosphären mich am meisten berührt haben. (Zur Vergrößerung einfach anklicken.)

 
 

 

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1 Comment

  1. Olaf Westfeld:

    Edvard Munch hat seine Bilder auch gerne draußen stehen gelassen. Aber eine Ausstellung an einer Stadtmauer hat schon etwas. In Rothenburg gibt es einen mittelalterlichen Altar (von Tilmann Riemschneider), den ich gerne sehen würde. (Oder war das woanders – bin mir gerade nicht sicher).


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