Tokyo 2003. Ein Comicautor sitzt zur Signierstunde in einer Buchhandlung an einem Tisch. Ein paar Leute haben sich angestellt. Eine Japanerin nähert sich, der Comicautor begrüßt sie auf japanisch, sie sagt Hi und „Favourite artist“, fragt höflich, ob er ein Buch signieren würde. Er bejaht, erfreut. Sie schiebt ihm ein Buch hin. Es ist aber nicht das Buch des Autors vor ihr, es ist Ghost World von Daniel Clowes. Dies ist der Anfang einer kleinen Story aus Adrian Tomines The Loneliness of the long-Distance Cartonist.
Daniel Clowes hatte einen enormen Einfluss auf die alternative Comicszene. Ghost World enthält acht sensibel erzählte Graphic Novel Geschichten aus dem Leben zweier Highschool-Absolventinnen in der Zeit nach dem Schulabschluss, einer Phase zwischen Plänen und Planlosigkeit, Rumhängen in Cafés und auf Partys, dem Ausbalancieren von Beziehungen, einem Yard Sale, auf dem Restposten der Kindheit verkauft werden. Es gibt nur Hass oder Liebe, an jeder Ecke lauert ein Drama, alles ist fragil, sucht nach Definition und Kontur, auch die launenhafte Freundschaft zwischen Enid und Rebekka. Einmal machen sie im Auto von Enid (einem Fehlkauf aus Trotz, es ist ein ehemaliger Leichenwagen) einen Ausflug zu einer Art Urzeitpark mit hüttenartigen Unterkünften, einem Höhlenbewohner mit Lendenschurz und Keule und einem – hoppla, schon wieder! – Tyrannosaurus rex.
Zwar haben Dinosaurier und Urzeitmenschen nie gleichzeitig gelebt, aber was sind aus der Sicht eines Gegenwartsmenschen schon so ein paar Millionen oder Milliarden Jahre Erdgeschichte. Ghost World mit seinen Geschichten aus den 90ern wurde von Daniel Clowes und Terry Zwigoff zu einem Drehbuch umgearbeitet und verfilmt, mit der 16-jährigen Scarlett Johansson als Rebecca. Der Film findet sich auf Youtube. Ich habe das Drehbuch gelesen. Eine amüsante Änderung: im Comic muss Enid für ihren Schulabschluss noch einen Sommerkurs belegen und eine Prüfung bestehen. Es bleibt unklar, zu welchem Inhalt. Im Drehbuch wird daraus ein Kunstprojekt. Roberta, eine ambitionierte rotgelockte Lehrerin (hab doch mal kurz in den Film reingeschaut) erklärt es so:
I’m not going to start a discourse on the subject of „good“ art versus „bad“ art; these judgements are for each person to make on his own. I merely want to help each of you find the best way to look within yourselves – the best key to your particular lock.
Zwei Werke aus der Klasse. Eine bunte Zeichnung. Jemand schlägt mit einem Hammer auf den Kopf eines Mannes. Roberta fordert den Schüler auf, etwas dazu zu sagen. Phillip verweist auf ein Videospiel. Rebecca (trying to make a joke): I thought maybe this was supposed to be your father. In einer anderen Stunde hat eine Schülerin einen Tampon in einer Teetasse als Kunstwerk vorgelegt. Sie erklärt: It’s a „found object“… that’s when an artist takes an ordinary object and places it in an artistic context and thus it becomes art. I guess I see the teacup as a symbol for womanhood, because of tea parties in die olden days, but instead of tea I was trying to kind of confront people with this… like…
ROBERTA
This shocking image of repressed femininity!
MARGARET
Right, exactly!
ROBERTA
I think it’s a really wonderful piece, Margaret!