Wenn der Postmann dreimal klingelt und niemand öffnet: hat sich da womöglich wieder ein Genießer jüngst zu Tode amüsiert? Allen Unkenrufe zum Trotz und auch gegen jede Sündentheorie: die durch Digitalisierung möglich gemachten Streaming-Angebote können auf kreative Weise neue Perspektiven eröffnen. Reizvoll auch, wenn der Algorithmus ins Spiel kommt und Lieder oder Alben in den Fokus des Interesses rückt, als sei es zufällig angetriebenes Strandgut. So werden wohl all jene, die sich diesem Angebot langfristig verweigern, dereinst das Schicksal teilen mit jenen Bedenkenträgern, die auch Elektrizität und Telefon, Computer und Pferdekutschen, die Eisenbahn oder den Kühlschrank als Teufelswerk abtaten. Unsereinem dämmert es jetzt langsam, welche grosse Vielfalt zur Verfügung steht: Vergleiche mit dem Schlaraffenland sind angebracht. Eingebettet in das allabendliche Ritual konzentrierten Albumhörens, das dem Postulat untersteht, Neuland zu entdecken und dem ureigenen Interesse auf die Schliche zu kommen, das sich nicht manipulieren lässt, wanderte man jüngst am akustischen Strand entlang. Hier half, was schon beim Fernsehgucken auffiel: sobald die Aufmerksamkeit abschweifte, schaltete man das Gerät ab oder drückte auf Pause und machte sich einen Tee. Vor allem in der Landschaft sogenannter Edelserien einfach so drüberhuschen, als sei es Hintergrundmusik im Supermarkt, dafür ist dann Vieles doch zu schade. Auch der Klischee-Detektor funktioniert: Ermüdungen, dem leisen Aufklingen einer Grippe ähnlich, werden strikt umgangen. Andersrum aber das Gegenteil: Brennglasschärfe statt Kaffeesatz, Kraftjazz statt molligem Matt. Ein zeitgemäss transparentes Klangbild, sparsam mit Hall, ist wünschenswert. In diesem Sinne hörte man Musik vom Portico Quartet, von den Bassisten Dave Holland und Linda May Han Oh mit Vergnügen. Auch der russische Trompeter Alex Sipiagin konnte begeistern mit seinen hervorragenden Begleitungen, zu denen neben Holland Saxofonist Chris Potter ebenso gehört wie der Schlagzeuger Eric Harland, ferner die Pianisten John Escreet und Gonzalo Rubalcaba. Mehrstimmige Bläserpower am Rande eines Bigbandsounds, „Hallo wach!“ ist die Devise. Überhaupt dieser Potter, den weiss man immer mehr zu schätzen: kraftvoll vitales, präzises Spiel, mit ultracoolen Phrasierungen. Dass der mit Steely Dan kooperierte, verwundert nicht.