Die Laute, die Vögel von sich geben, orten. Schwalben erkenne ich, sie ziehen hier am frühen Abend um die Häuser. Ihre Bewegungen sind blitzschnell, ihr Kalorienverbrauch muss enorm sein, die Tiere wirken von fern – und ich sehe sie nur von fern – geradezu mager. Sie scheinen immer in Gruppen unterwegs zu sein. Norbert Hummelt hat in seinen Gedichten, die oft draußen angesiedelt sind, immer wieder Schwalben erwähnt. Ich saß auf dem Balkon, wollte eigentlich lesen und begann, den Schwalben zuzuhören und sie zu betrachten, wie sie über den Häusern kreisten oder eher wirbelten. Ich erinnerte mich an einen Satz aus einem Gedicht von Friederike Mayröcker, der mir so gefallen hatte, dass ich ihn neulich in mein Notizbuch abgeschrieben habe. Und dann haben die Schwalben ihr schönes Schauspiel am Himmel aufgeführt. Ich betrachtete die Flugstrecke des Schwalbenschwarms genauer, überlegte, ob es einem System folgte. Es hatte etwas von einem Tanztheater. Normalerweise sind Schwalben, wenn du sie erblickst, schon wieder um die Ecke eines Hauses verschwunden. Diesmal aber bewegten sie sich in einer Gruppe von ungefähr 20 Tieren innerhalb eines Terrains und in einer Höhe von vielleicht 50 Metern über den Dächern. Ich heftete meinen Blick an eine einzelne Schwalbe, so wie ich gern bei einer Choreographie eine einzelne Person betrachte. Ich fragte mich, wer beim Schauspiel der Schwalben die Route bestimmt, ob es Hierarchien gibt. Ich dachte an die V-Formationen der Kraniche, deren Route in den Süden über das Haus führt, in dem ich wohne. Ich überlegte, wie lang ich den Schwalben zusehen würde, und dachte an das Buch, das Lajla neulich auf dem Blog vorgestellt hatte. Nichts tun. Abwarten. Da sein. Was so ein Gedicht bewirken kann. Es hat tatsächlich eine Wirkung. Der Schwalbenschwarm löste sich schließlich auf. Ich holte mein Notizbuch und suchte meinen Eintrag mit dem Zitat von Mayröcker. Es lautet (Fleurs, S. 78): „dann haben die Krähen ihr schönes Schauspiel am Himmel aufgeführt.“
2021 26 Jun
ihr schönes Schauspiel am Himmel
von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | Tags: Hat Poesie eine Wirkung? | 1 Comment
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Olaf Westfeld:
Wie es dieser schöne Text beschreibt, so geht es mir auch oft bei Gedichten: eine ungewöhnliche Wortwahl, eine andere Perspektive verändert die Wahrnehmung ein kleines bisschen und schon sehe ich Dinge, die immer da sind (nur vielleicht unter meiner Aufmerksamkeit hindurch schlüpfen), wie neu.