Manafonistas

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2021 22 Mai

Rundmail an alte Klassenkameraden

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

 


Horst rief mich natürlich an, als er von Peter Siemons‘ Tod erfahren hatte, hatte ich doch von allen, eine Zeitlang zumindest, den engsten Kontakt von uns zu ihm. Aber das ist schon lange her. Und die Erinnerungen liegen unter einem leicht dunstigen Schleier. Ein paar Szenen werde ich nicht vergessen, oder einige Rituale, die uns durch die Schuljahre begleiteten, Peter und mich, in der Zeit, in der wir uns etwas näherkamen.

Peter und Café Beckmann, das war so eine wiederkehrende Szenerie, und er sass, wenn man die Treppe hochging, gerne hinten rechts am Fenster, von wo aus er den ganzen Raum im Blick hatte. Wir hatte  beide unsere kleine Nietzsche- und Schopenhauer-Phase, und er war ein Musikfuchs. Unvergessen, wie ich mich im Café zu ihm setzte, und er das Doppelalbum von Soft Machine, „Third“, hervorkramte. Seine Begeisterung infizierte mich, und als ich Jahrzehnte später Robert Wyatt im Purcell Room an der Londoner Westbank traf, musste ich an Peter denken, und dass meine Geschichte mit Soft Machine und ihrem Drummer und Sänger Robert Wyatt damals früh in den Siebzigern begann.

Einmal, als Peter eine existenzielle Krise hatte, stand „unser Egon“ vor der Haustür. Der einige Besuch, den ich je von einem Lehrer hatte. Er erkundigte sich sehr empathisch nach Peter, und obwohl ich die Details vergessen habe, sagte er später irgendwann etwas davon, dass ein besonderer Fall auch besondere Massnahmen erfordere. Es ging um Unterstützung.

Damals ging das Wort Depression um, und auch, dass er dagegen Elektroschockbehandlungen bekam. Sehr schnell war man damals noch mit der Diagnose „endogene Depression“ bei der Hand, ein Stigma, leichtfertig verteilt. Ein grosser Teil der schnell als stoffwechselbedingt schubladisierten Depressionen sind psychoreaktiv, und eine gute psychotherapeutische Behandlung indizierter als das Standardrepertoire aus Antidepressiva (mit erheblichen Nebenwirkungen auf den Alltag) und Schocktherapie (mittlerweile weitgehend ein No-Go). Könnt ihr euch vorstellen, was solch eine „Behandlung“ bei Peter ausgelöst hat?! Über fragwürdige kurzfristige Effekte hinaus?! Es hatte etwas Entwürdigendes für ihn, glaube ich. Und es hat Spuren hinterlassen. Nicht so viele Jahre später, und er hatte sich aus dem „normalen Leben“, den gewohnten Rollenmodellen für Lebens- und  Berufsplanung verabschiedet. Ausgeklinkt.

Aber erstmal tauchten wir beide als Studenten in Münster auf. Da sass ich öfter in seiner Wohnung, während er paffte, ich Tee trank, und jeden Donnerstag Carmen Thomas mit dem Ü-Wagen in NRW unterwegs war. Wir redeten über Bücher und Musik. Einmal fuhren wir abends nach Dortmund, und auf der Mallinkrodt-Strasse (Gott, so oft da rauf und runter gefahren, und ich weiss gar nicht genau, wie man sie schreibt) sah ich von weitem eine Polizeikontrolle. Es war die Zeit, als Terroristen gejagt wurden. Ich drehte um, musste dazu aber mit meinem VW über die Schienen (das waren leider Schottergeleise, wie ich zu spät merkte), und der  Unterboden meines weissen Käfers schlug heftig gegen das Metall der Schienen. Das war nicht unauffällig, und keine Minute später wurden wir mit Blaulicht gestellt, die Papiere kontrolliert, der Wagen durchsucht. Nicht lustig. Peter war dabei, seine damalige Freundin, und ich.

(Das ist jetzt keine besondere Geschichte, aber sie fiel  mir in den letzten Tagen ein, wie manch andere kleine flüchtige Szenen. Wenn man von einem hört, dass er nicht mehr da ist, und einem mal wirklich etwas bedeutet hat, kommen einem auch ganz banale Momente in den Kopf, so, als wollte man noch einmal an den und den Moment zurückkehren. Noch einmal in der Pizzeria nahe am „Atelier“ sitzen, auf der Couch, Peter, Petra, Sylvia und ich, und aus den Lautsprechern kam „Sweetnighter“ von Weather Report. Oder „Also sprach Zarathustra“ in der Fassung von Deodato. Noch einmal mit Peter, Babsi, Klaus und Thomas (Holtz) in Babsis Dachboden hocken, Leonard Cohen hören, und high werden von Räucherstäbchen.)

Aber dann setzte ich mein Studium in Würzburg fort, und das Ruhrgebiet wurde für etliche Jahre ein Ort, in dem man immer weniger Freunde hatte – nur Heimat halt. Ein paar alte  Bekannte. Spät in den Siebzigern, früh in den Achtzigern, traf ich Peter Siemons noch einige Male. Ich glaube, da spielte er noch Tischtennis. Und wohnte in der Leipziger (?) Strasse. Ein Wirbelwind, wann immer ich ihn da in seinem Element sah. Aber dann verlor sich  auch dieser Kontakt – wirklich nah waren wir uns nicht mehr.

Einmal sah ich ihn noch, vor fünfzehn oder zwanzig Jahren, von ferne auf dem Westenhellweg, aber ich verspürte nicht den Impuls, zu ihm zu gehen. Keine Freude. Eher eine Art Respekt vor seinem Ausklinken aus alten Banden, und  dieses etwas seltsame Gefühl der Melancholie, ihn vielleicht besser in Ruhe zu lassen.

 

Rest in peace, Peter Siemons!

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