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2021 2 Apr

Under A Spell

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Eines Abends vor knapp 40 Jahren fuhren wir mit einem alten Käfer aus Frankfurt hinaus in den Sonnenuntergang. Zum Glück hatte der Wagen zwei dicke Boxen hinten in der Wanne und T. schob eine neue Kassette in die Autoanlage, um das Knottern des Käfers zu übertönen. Sofort füllte sich der Raum mit Ghosts von Japan, einer Gruppe, die mir bis dahin sonderbarerweise entgangen war. Gesellte sich zu dem intensiven Abendlicht und ergriff mich instantan. Einer der großen magischen Songs der früher 80er und Beginn meiner Faszination für eine Band, die sich mit meinem damaligen Lebensgefühl in einer wunderbar weiten Resonanz befand. Neben Tin Drum besorgte ich mir umgehend auch Quiet Life, das gerade in remasterter und erweiterter Fassung wiederveröffentlicht wurde. Hier wurde diese einzigartig exzentrische Atmosphäre noch klarer und transparenter herausgearbeitet, ein Flashback und die gleiche Durchdrungenheit und Frische wie beim ersten Hören. Wie von einer höheren Macht ergriffen …

 

Under A Spell. Jahrzehnte später sitzt der damalige Keyboarder Japan’s Richard Barbieri in seinem Studio und beginnt seine neuen Ideen schrittweise anzugehen. Dann kam die Pandemie und verhinderte, dass er seine Skizzen wie geplant mit vielen anderen Musikern umsetzen konnte und immer wiederkehrende, seltsame Träume beschäftigten ihn. So nahm alles eine ganz andere Richtung, Stimmungen verdichteten sich im Unbestimmten, schwebende, abstrakte Klänge begannen einen bestimmenden Raum einzunehmen, Stimmen geisterten durch seinen Sinn. Schon lange waren ihm die Vocals, wie sie Can z.B. in Future Days oder Brian Eno und David Byrne in My Life in the Bush of Ghosts eine Inspiration. Stimmen, die selbst nicht vordergründig sondern mehr instrumental, atmosphärisch, ja fast gespenstisch einherkamen. Düster bahnen sich die Hyphen auf dem Cover den Weg nach oben, gespenstische Vorboten neuer Klangräume. Under A Spell als Titelstück zieht den Hörer fast tranceartig ein in diese Welt, die wie gebannt sich unter den äußeren Abläufen zu formen beginnt. Zwischen den längeren Stücken finden sich kürzere surreale Skizzen in denen Gastvokalisten wie Steve Hogarth und Lisen Rylander-Löve schemenhaft und schattengleich in Erscheinung treten. Flare 2 treibt hypnotisch durch immer dunkler werdende Gefilde, dann das magisch-beklemmende Serpentine, in dem Percy Jones seinen unverkennbaren Bass in die gespenstische Melange einfließen lässt. Darkness will find You. Klangtexturen, mal abstrakt, mal traumartig, alptraumhafte Gewebe und schwebend-fieberhafte Visionen, vom Fassbaren immer etwas weiter entfernt als das Ende der Stücke zeigt sich die subtile Kunst des Richard Barbieri, immersiv, verhuscht, wie in Parallelwelten verschoben in denen das leere Pandämonium der Pandemie mit am Mischpult sitzt. Doch gegen Ende der langen, leisen Stunden nach Mitternacht entlässt er uns mit Lucid, einem sonderbaren Lichtschimmer einer oneiroiden Reise. In einem Interview antwortete Barbieri einmal auf die Frage welche Alben er mit auf eine einsame Insel nehmen würde Talk Talk’s Spirit of Eden und Robert Wyatt’s Rock Bottom, die wie eine leise Reminiszenz durch die lange Dämmerung dieses Meisterwerks nachklingen.

 
 
 

 

August 2018. Da scherten die Erinnerungen gleich aus, als ich das Bild von der Insel da unten sah, mit der ich soviel Kindheit und frühe Jugend verbinde, und ich huschte nur über ein paar Zeilen, die von der Entrüstung eines Paares handelten, das jetzt Brüssel verklagen möchte, weil es die Klimaschutzbestimmungen missachtet sieht. Sofort fesselte mich der Wald von Langeoog, durch den ich so oft geradelt bin, die geliebten Lichtungen, die Verdunstungskälte, der Weg zum Teehaus. Ja, ich glaube, auf dem Foto erkenne ich die kleine Einbuchtung, in der es damals stets riesengrossen Apfelkuchen (gedeckt, heute eine Seltenheit) und ostfriesischen Tee mit Sahne und Kluntjes gab. Die Erinnerungen schwappen stets zwischen Borkum und Langeoog hin und her, nirgendwo war ich damals öfter in den grossen Ferien. Unzweifelhaft verliebte ich mich auf Langeoog in die Pensionsbesitzerin des Hauses Westfalen (habe ich tatsächlich den Namen behalten?), es war der Urlaub, in dem ich 8 Jahre alt war, und einen Drachen besass und einen Roller. Einmal stand der Wind so kräftig im Rücken, dass ich mit dem linken Fuss nur einmal zum Schwung auf Asphalt ausholte, und dann gelangte ich ohne jedes Absetzen bis zur Bäckerei am Stadtrand, und war ganz glücklich, ein Rosinenbrötchen zu erstehen. In Langeoog gab es, und gibt es noch heute, das Cafe Leiß, und dort ass ich zum ersten Mal eine Eisspezialität jener Jahre, komm, sag mir, wie sie heisst, eine Porzellanschale mit Vanilleeis und einer heissen Banane, ordentlich Sahne dazu. Ja, den Michael Naura und seine magischen Jazzsendungen habe ich auf Borkum entdeckt, auf Langeoog hatte ich frühe Kinoerlebnisse. Am Bahnhof hingen die Plakate, was wann zu sehen ist, aber ich kann mich an keinen einzigen Film erinnern, nur an die Vorfreude, und dass es gar nicht genug Western sein konnten. Ich weiss auch nicht, welchen Strand ich vor mir sah, den von Langeoog oder Borkum, als meine Mutter mir geschichtenhungrigem Kind immer wieder (auf meinen Wunsch) diese zwei erfundenen Märchen erzählte, in einer kam dieser Strand vor, ohne Menschen, nur das Meer, und ihr Satz: – In hundert Jahren sind wir alle tot. Vielleicht habe ich mich deshalb als Teenager so sehr für Gespenstergeschichten interessiert, die oft genug von Toten handelten, die nicht in weissen Gewändern durch ein Schloss, sondern gern auch in luftiger Höhe, am Meeresaum, entlang schwebten. Jahre später erstand ich in der Inselbuchhandlung Krebs (ich glaube, sie heisst Krebs) Peter Rühmkorffs Lyrikband mit dem Titel „Haltbar bis Ende 1999“. Auf dem Umschlagcover ein überquellender Aschenbecher. In diesem Gedichtband habe ich eine gute Woche gelebt, in dem ich wahlweise in einem Strandkorb sass, oder abseits von dem Getümmel in den verbotenen Dünen.

 

Vor langer Zeit wurde einmal das geheime Leben der Pflanzen in Augenschein genommen. Damals konnte man lesen, dass sie beispielsweise auch musikalisch seien. Versuche wurden unternommen: man stellte etwa einen Lautsprecher auf und bespielte die Pflanzen mit unterschiedlicher Musik, auf die sie ebenso unterschiedlich reagierten. Es hiess, Countrymusic habe auf sie nur neutrale Wirkung, weder positiv noch negativ, also unbeeindruckend. Ich habe das nie vergessen, da auch für mich die meiste Zeit meines Lebens Country-Musik eher neutral war – von „ganz nett“ bis „nerviges Geplärre!“. Das hat sich grundlegend geändert. In letzter Zeit höre ich Songs aus diesem Genre mehr als Jazz, allerdings nur solche der erlesenen Art. Taylor Swift ist für mich die Entdeckung der letzten Wochen und Monate, ich spiele mindestens drei bis vier Lieder täglich mit aus ihren fantastischen Alben Evermore und Folklore. Ich kannte sie nicht, sah irgendwann ein Netflix-Porträt von der Sängerin. Sie ist ein Sprachgenie, die Geschichten und Verse purzeln nur so heraus. Dass sie ein, zwei Privatjets besitzt, dazu ein Dutzend von Grammys und Häusern, stört mich wenig: es macht ihre Musik nicht einen Deut schlechter. Und ich liebe diese Stimme, das teilweise tiefe, erdige Timbre und dazu die coolen Phrasierungen. Die Akkordfolgen sind einfach, jedoch geschmackvoll arrangiert. Grandiose Kollaborationen mit anderen Musikern von Bon Iver und The National. „Der Signifikant ist blöde“, sagt Lacan und wenn ich zum zehnten Mal hintereinander den Song „Ivy“ höre und mitspiele, der übrigens von einer lesbischen Liebschaft Emily Dickinsons erzählt, ermahnt er mich, nun sei aber mal Schluss mit der „Dauerschleife idiotischen Geniessens“. Lieder von Joni Mitchell hatten diese Nebenwirkung kaum, ins leicht Trällernde abzugleiten, schon gar nicht die von Hejira. Die sind erhaben – Gruß an Hegel. Doch wir verweilen mittlerweile gern, nicht nur am Negativen, sondern auch in funktions-harmonisch simpleren Gefilden.

 

 


Vorspiel 2006
: Das waren noch Zeiten, als, gerade mal zehn Minuten von meiner Haustür entfernt, die Platten und Bücher des Londoner Labels Soul Jazz Records ankamen, bei einer kleinen PR-Agentur. Alle paar Wochen kam ich vorbei, und mit neuem Stoff aus dem Hauptquartier von Stuart Bakers Label nach Hause: die Roots Reggae-Fundgrube von Sir Coxsone Dodd schien unerschöpflich, aber es gesellten sich auch brilliante Kompilationen aus Brasilien, der New Yorker-Noise-Szene und etlichen anderen Quellen hinzu. Ein Sammelsurium mit Sinn und Verstand. Stuart Baker ist ein Musikdetektiv, ein Jäger fast verlorener Schätze: wilder, nie gehörter Jazz aus den 60er Jahren, kubanische Ritualtrommeln, harsche Elektronik aus New Wave-Zeiten. SoulJazz Records wurde eine Bereicherung meiner Klanghorizonte im Deutschlandfunk, von Anfang an. Ein kleines Interview nun, per Telefon, das damals als Corso-Gespräch im Radio lief.

 

Woran arbeiten sie gerade in ihrem Büro in Soho?

 

Wir arbeiten an einem Buch mit dem Titel „New York Noise“ – ein Buch über die New Yorker Musik- und Kunstszene der 80er Jahre, mit Bildern von vielen Protagonisten und mit Texten, etwa von David Byrne oder Cindy Sherman. Und da nähert sich die Deadline, heute muss der komplette Text in die Post gehen! Zudem beende ich gerade die Begleitexte für unsere zweite „Tropicalia-Compilation“, die brasilianische Musik in den Siebzigern!

 

In früheren Jahren zogen sie ja länger durch die USA, stets mit der Musik im Blickfeld. Wieso waren sie so scharf auf Raritäten, unabhängig von ihrem komerziellen Wert?

 

Ich war eigentlich besonders an schwarzer amerikanischer Tanzmusik interessiert. Ich weiss gar nicht so genau, woher diese Faszination rührte. Auf jeden Fall war es ein guter Weg, die USA zu erfahren, und nebenher eine Art musikalische Erziehung zu erhalten.

 

Sie sagten einmal: man kann dieselbe Faszination für eine Jazzplatte aus den 50er Jahren empfinden wie für ein modernes Tanzalbum. Man muss es nur in der richtigen Weise präsentieren.

 

Es ist meine eigene Erfahrung, dass ich die Musik einer anderen Kultur und einer anderen Zeit genauso genießen kann, wie Musik aus dem heutigen England. Hermann Hesse kann für einen 16-jährigen englischen Jugendlichen  genauso spannend sein wie ein brandneuer Roman. Es geht halt  um die Weise, wie man eine Umgebung präsentiert, die sich außerhalb deiner eigenen, gewohnten Kultur befindet. Und das ist die Freude daran, eine Plattenfirma wie Soul Jazz Records zu haben.

 

Soul Jazz Records ist berühmt geworden für all die immer  noch sprudelnden Veröffentlichungen aus dem legendären Archiv des Studio One von Sir Coxsone Dodd. Können Sie etwas erzählen von ihrer Beziehung zu Coxsone, und zu ihren Kämpfen gegen die „englische Reggaepolizei“?

 

Ja, das ist wahr. Unsere Beziehung  begann vor etwa 10 Jahren – wir sagten ihm, dass wir gerne mit ihm zusammenarbeiten würden, und sandten Coxsone eine Sammlung unserer Arbeiten. Er mochte es, daß wir kein reines Reggae-Label waren, sondern alle möglichen Genres von Musik im Programm führten. Nicht zuletzt  Jazz und Soul – diese Musik liebte er sehr! Er gab erst mal sein Ja für ein Projekt. Ich traf ihn in New York, und  das führte mit der Zeit zu einer Freundschaft – und zu Reisen nach Jamaika. Er gab uns auch grünes Licht für einen Film! Von da an haben sich die Dinge stetig  weiterentwickelt. Und was die etwas sarkastische Bemerkung von der „Reggae Polizei“ betrifft – nun, die Wege, die Soul Jazz Records ging, waren in den frühen Jahren ziemlich gewöhnungsbedürftig für viele Leute. Uns ging es ja darum, Verbindungen aufzuzeigen zwischen Reggae, Soul- und Funkmusik! Und was jetzt ziemlich offensichtlich erscheint, löste vor gut zehn Jahren noch ziemlich viel Befremden aus. Und viele Leute, die mit ihrer Liebe zum Reggae aufgewachsen waren, hatten da eigene Empfindsamkeiten entwickelt. Und die richteten sich gegen unsere Vorgehensweisen. Da gab es einige Reibereien, und das war auch ein Generationenproblem!

 

Die Reggaemusik hat ja oft ein sehr verklärtes Sonnenschein-Image. Aber die Wahrheit ist eine andere: einige Protagonisten wurden ermordet; Armut machte sich breit, Wohlstand war kaum zu erlangen, wenn man keinen Vertrag von großen Labels bekam. Wieso, denken Sie, strahlen diese alten Reggaeklänge heute noch eine eigen Magie aus?  

 

Ich denke nicht, dass Reggae einfach nur eine Emotion verkörpert. Es hängt von der jeweiligen Zeit ab: „Ska“ war sehr turbulent und aufregend, spiegelt die Unabhängigkeit und die eigenen Wurzeln; in den 70ern wurde der Reggae nicht melancholischer, aber teilweise dunkler. Wieder spiegelte die Musik die Zeit, aber, wie bei aller Musik, die ich mag, kam hier stets etwas Rohe und Raues zum Vorschein, etwas Ungeschliffenes. Diese Reggae ist sehr roh, und das kommt bei den alten Aufnahmen sehr klar zum Ausdruck.

 

Nachspiel 2021Various Artists – Cuba Music And Rvolution – „Culture Clash in Havana Cuba – Experiments In Latin Music Vol. 1) – „This compilation, curated by Gilles Peterson and Soul Jazz’s Stuart Baker, collects together some of the most exploratory items from the catalogue of Cuban label EGREM. Irakere appear with a track from 1976’s Grupo Irakere, finding them mixing Afro-Cuban percussion and syncopated vocals with bursts of brass and distorted guitars. On ‘Y No Le Conviene’ Juan Formell & Los Van Van blend son with a classic 60s beat bassline, while Grupo de Experimentación Sonora del ICAIC’s ‘Sondeando’ could be a Curtis Mayfield soul soundtrack gem in disguise. At times there appears a kinship with Brazil, Pablo Milanés‘ ‘Te Quiero Porque Te Quiero’ having more than an echo of Milton Nascimento’s orchestral pop, while Paquito D’Rivera is a samba delight. Surprise of the record must be Juan Pablo Torres y Algo Nuevo’s ‘Rompe Cocorioco’, a funky sonwith a lunatic arrangement: synths bleeping, harpsichord hooks, in-your-face percussion and a relentless pace that somehow gives it a proto-disco feel. The bittersweet conclusion after listening is that while salsa was exploding around the world, its progenitor, son, was having its own adventures back in Cuba, its light burning just as bright. Such a shame that only a few saw it flicker at the time.“

 

2021 1 Apr

Zum Beispiel Bish Bosch

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Es ist in keiner Weise übertrieben zu sagen, dass Scott Walker ein Idol von mir ist. Der frühe Scott Walker ist unantastbar, einfach fantastische Popsongs. Nach „Nite Flights“ wird er viel eigenartiger, experimenteller und herausfordernder. Er ist nicht um der Schwierigkeit willen schwierig – er geht so weit, weil er den Drang hat, sowohl klanglich als auch lyrisch weitreichend zu sein. Sein musikalischer Werdegang ist eine unglaubliche Inspiration für mich. Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage sein werde, aber ich möchte Platten machen, bis ich sterbe, und im Laufe der Zeit verschiedene Dinge erforschen. Scott Walker als Vorbild zu haben, hält für mich kreativ die Lichter an. Wissen Sie, ich höre mir seit meinem neunten oder zehnten Lebensjahr intensiv Platten an, nicht nur als Musikfan, sondern auch, um zu lernen, um herauszufinden, was Künstler mir beizubringen haben. Die Kehrseite dieser intensiven Aufmerksamkeit bedeutet, dass ich inzwischen eine Menge Musik außerordentlich langweilig finde – wovon sie klaut oder was sie wiederholt, wird überdeutlich,  und damit weniger interessant. Bei Scott-Walker-Platten hingegen ist alles völlig neuartig. Selbst beim ersten Track auf Bish Bosch, „See You Don’t Bump His Head“, wo fast nichts passiert. Nur ein intensiver Drum-Machine-Loop, sein schräger Gesang und ein paar merkwürdige Gitarrenriffs. Aber innerhalb dieser unglaublich einfachen Elemente gibt es Nebeneinanderstellungen, die ich so noch nie gehört habe.

(Xiu Xiu aka Jamie Stewart)


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