Manafonistas

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Archives: April 2021

Mechtild Borrmann ist eine Schriftstellerin, die darauf spezialisiert ist, abgerissene Zeitlinien der (weitgehend) deutschen Geschichte zu verbinden. In ihrem zurecht mit dem Deutschen Krimipreis 2012 ausgezeichneten Roman „Wer das Schweigen   bricht“ zeichnet sie die Geschichte von sechs Freunden, die sich im Nazi-Deutschland schworen, immer füreinander da zu sein. Das geht gründlich schief.

Ein erfolgreicher Arzt stösst im Nachlass seines Vaters auf das Foto einer unbekannten, attraktiven Frau, und wünscht sich insgeheim, dem selbstgerechten Vater endlich eine kleine Unvollkommenheit in dessen perfekten Vita nachweisen zu können. Das geht ebenfalls gründlich schief.

Der Roman bewegt sich zwischen den Zeitzonen des Zweiten Weltkrieges und des Jahres 1998. Jede Person  ist lebendig gezeichnet, meine Lieblingsfigur ist der kauzige Polizist, der nur darüber schmunzelt, wenn man ihn „Dorfsheriff“ nennt, und seine Liebe zur Langsamkeit mit einer Sammlung von Sanduhren kultiviert.

Muss man noch extra erwähnen, dass Mechtild Borrmann sehr feinsinnig mit Sprache umzugehen weiss, ob es sich um Naturschilderungen handelt, die immer auch Seelenzustände skizzieren, um Dialoge, oder das angemessene Tempo des Plots?! Ihre Kenntnis der deutschen Historie (und ihrer dunkelsten Zeit) erzeugt Schrecken mit klaren, alles Pathos vermeidenden Schilderungen, in denen das Grauen zu  irrationalem  wie irrsinnigem  Alltag gerinnt.

 
(eine bearbeitete Besprechung aus dem Jahr 2012) 

2021 8 Apr

Brückenbaukunst

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„Peace on my mind
If I’m dreaming
Make this dream reality
Peace on my mind
A cool light streaming
Let it be …“

 
 

Es sind die bridges, die verbinden. Zu meinen all-time-favorites zählt ein Song von Joni Mitchell mit dem Titel Sex Kills“ aus dem Album Turbulent Indigo. Er lief vor Dekaden in permanenter Dauerschleife, im Kassettenrecorder meines weissen Polos, alterierend mit zwei Songs der Pat Metheny Group. Was mir damals schon auffiel, war die Mitwirkung eines gewissen Michael Landau. Den Namen habe ich nie vergessen und auch seinetwegen höre ich „Sex Kills“ immer noch gerne. David Torn hätte seine Freude an dieser Art Gitarrenspiel. Noch eine Zeitreise: Joni Mitchell spielte zusammen mit Robben Ford auf dem Album Miles of Aisles. Zuletzt hatte ich einige Ford-Titel in Augenschein genommen, unter anderem das von mir favorisierte Stück Peace On My Mind“ aus dem Album Truth. Dort gibt es eine bridge, jenen Teil eines Songs, der zwischen zwei Strophen eines Liedes als Zwischenspiel intermittiert, das Leichtigkeit ins Ganze bringt. Grosse Meister dieser raffinierten Brückenbaukunst waren aus meiner Sicht auch Steely Dan gewesen. Robben Fords Seelenfriedenbrücke jedenfalls hatte ich bislang umgangen, weil sie mir zu windig erschien, doch ausgerechnet jener Gitarrist aus alten Tagen tauchte plötzlich wieder auf: via Mausklick und YouTube stand er als hilfreicher Wegbegleiter zur Seite. In meinem Elfenbeinturm in Klausur erklärte mir der (einst) gefragte Studiomusiker kenntnisreich die Baukonstruktion: G Minor 7, E Minor 7, B Flat Major 7, B Minor 11, C 11, E Minor 7, F Major mit E Flat im Bass. So, das hätten wir im Kasten! Es steht jetzt auf Papier notiert, denn der Mensch will Klarheit. Längst vergessen ist jene Epoche, in der man irgendetwas für nicht spielbar hielt. Ich muss es hören und dann weiss ich, was es ist. Und falls nicht, das Internet und all-time-folks wie Michael Landau können helfen.

 

2021 7 Apr

Käsebier

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In den 1920er Jahren gab es im Norden Berlins „Carows Lachbühne“. „Und lassen ein infernalisch-langes Programm über uns ergehen: Steptänzer; eine sehr gute Akrobatengruppe; ein unsägliches Melodram, in der umfangreichen Hauptrolle die ebensolche Frau Direktor; ein Kritiker, über den das Publikum jucheit … Das Publikum freut sich überhaupt über alles, am meisten die Frauen, bei denen der Analhumor jeden anderen hinreichend vertritt,“ schrieb Tucholsky über diese Bühne. Nun kenne ich mich in den 1920ern ganz gut aus, und immer wusste ich irgendwoher, dass Erich Carow wohl das Vorbild für eine Romanfigur gewesen ist, habe aber nie herausfinden können, für wen und was für ein Roman das gewesen sein soll. Ich weiß es jetzt, und ich weiß nun auch, dass die Autorin Carow nicht als Vorbild beabsichtigt hatte. Die Presse klebte dem Roman aus Reklamegründen das Etikett „Schlüsselroman“ an, und Carow wurde den Käsebier nie mehr los.

Um dieses Buch nämlich geht es: Käsebier erobert den Kurfürstendamm, geschrieben 1931 von Gabriele Tergit. Die Geschichte beginnt im Winter 1929. Ein Reporter der „Berliner Rundschau“ sieht in einem Berliner Vorstadtkabarett in der Hasenheide den nicht unbegabten, aber durchaus mittelklassigen Volkssänger Georg Käsebier, und weil er sich in seiner Redaktion hocharbeiten möchte, schreibt er Käsebier zum Megatalent hoch. Damit tritt er eine Lawine los, die gesamte Presse steigt darauf ein und schießt Käsebier in die Umlaufbahn. Seine Auftritte sind ausverkauft, Karten werden schwarz gehandelt, eine Tournee startet, die Märkte werden geflutet mit Käsebier-Biografien, Fotobänden, Zigaretten, Puppen, Schallplatten, Ufa-Filmen. Das Ganze gipfelt darin, dass ihm ein eigenes Theater am Kurfürstendamm gebaut wird, mit Garagen, Läden und Wohnungen.

Die sich allerdings als völlig verbaut, am Bedarf vorbei entworfen und deshalb unvermietbar herausstellen. Und nach einem Jahr ist Käsebiers Höhenflug ohnehin beendet, er ist so schnell aus der Mode geraten, wie er Mode wurde. Man verrät nicht zuviel, wenn man sagt, dass das Theater am Ende abgerissen wird, Käsebier unerkannt in Kneipen auftritt, Handwerker pleite sind, die „Berliner Rundschau“ zu einem Krawallblatt modernisiert worden ist, das eingestellt wird — während der Geschäftsmann, der das angerichtet hat, schon wieder mit gutem Gehalt woanders im Trockenen sitzt. Man kennt diese Mechanismen, sie unterscheiden sich nicht sehr von den heutigen.

Aber das alles ist nur der rote Faden, der Witz des Romas liegt anderswo. Gabriele Tergit war Gerichtsreporterin des „Berliner Tageblatts“, damals eine der großen Berliner Tageszeitungen mit einer Viertelmillion Auflage, zweimal täglich erscheinend. Sie hat in diesem Buch das Kunststück fertiggebracht, alle möglichen Typen geradezu glashart und trotzdem mit großer Sensibilität zu portraitieren — die berühmten „Schöneberger Witwen“, die in ihren 12- bis 14-Zimmer-Wohnungen leben, von denen sie allerdings aus finanziellen Gründen schon zehn untervermietet haben, die Redaktionskollegen (zwei davon sind unmittelbare Denkmäler von Kollegen Tergits), das gesamte Geschwerl, das immer dort ist, wo die politische Stimmung und die Gewinnerwartung hintendiert, der kleine Unternehmer, der durch die Fehler anderer so verschuldet ist, dass ihm nur noch die Pistole bleibt, die großspurigen Mini-Goebbels, die ganz klein werden, wenn es gilt, Farbe zu bekennen, die fast schon zynischen gebildeten und gelangweilten Mittdreißigerinnen mit Doktortitel, die auch mit Körpereinsatz arbeiten, um geheiratet zu werden. Aber nicht immer ist das Zynismus. In der Person Käte spiegelt Tergit eine enge Freundin, und man versteht, wie jemand so wird. Der zunehmende, schleichende Antisemitismus, die dunklen Wolken am Horizont, die sich ausbreitenden Nazis, sie sind da. Nicht als Hauptthema, sondern als Bestandteil des Alltags und des Berufs. Und wer will, lernt in diesem Buch präzise, wie damals eine Zeitung gemacht wurde, von der Redaktionshierarchie bis zum Metteur (weiß noch jemand, was ein Metteur war?).

Das Faszinierende dabei ist, dass Tergit durchgehend über die fast 380 Seiten fast ausschließlich Dialoge einsetzt. Dabei trifft sie das Vokabular und die Sprechweise der diversen Typen und Charaktere punktgenau — das lernt man wohl bei Gerichtsverhandlungen, aber man muss auch ein Ohr dafür haben, und das hatte sie. Dass es bei diesem Endlosgerede manchmal zu Längen kommt, ist klar, macht aber nichts. Es dauert ein bisschen, bis man die Fäden beieinander hat, aber ab dann läuft man die Strecke mit und genießt, wie genau man fast die Stimmen hört. Die Trauerrede für die an Tuberkolose gestorbene zwölfjährige Tochter einer Kollegin wird in voller Länge wiedergegeben, man weint am Ende fast mit — merkt aber dann zunehmend, dass der Redner, der kurz zuvor im Zuge der Modernisierung der „Rundschau“ gefeuerte altgediente Redakteur Miermann (einer der beiden Redaktionskollegen, denen Tergit ein Denkmal gesetzt hat) hier gleichzeitig sein eigenes Testament verliest. Denn kurz darauf fällt er auf der Straße tot um, und obwohl er nie aktiv religiös war, fallen ihm als letzte Worte ein: „Schmah isroel, adonoi elohenu adonoi echod.“ Und man möchte die Figuren, die sich dann auf seiner Beerdigung in seinem Licht sonnen, mit dem Waschlappen erschlagen. — Tergit selbst hatte wohl ein wenig Skrupel wegen der Häufung jüdisch klingender Namen in dem Roman, aber die Lektorin überzeugte sie davon, daran nichts zu ändern, und ich denke, sie hatte recht. Tergit dürfte ohnehin gewusst haben, wovon sie sprach. Ihr wirklicher Name war Elise Hirschmann, sie schrieb auch für die „Vossische Zeitung“ und die „Weltbühne“ und landete nach einem ihrer Prozessberichte auf der Gegnerliste der Nazis. 1933 überfiel die SA ihre Wohnung. Sie ging mit Mann und Sohn dann zunächst ins Versteck, später ins Exil.

Verblüffend ist die Radikalität, mit der Tergit gegen Ende des Romans alles, aber wirklich alles, zu Bruch gehen lässt. Und das alles ist (fast) immer logisch und der Wirklichkeit abgelauscht. Meine Top-Bücher, die diese Zeit wiedergeben, waren und sind bis jetzt Erich Kästners „Fabian“ (ich empfehle die rekonstruierte Originalfassung, die vor ein oder zwei Jahren unter dem von Kästner ursprünglich vorgesehenen Titel „Der Gang vor die Hunde“ erschienen ist), und Hans Falladas „Kleiner Mann, was nun?“. Zukünftig wird Gabriele Tergits Roman bei mir in derselben Reihe stehen, und ich werde ihn nicht zum letzten Mal gelesen haben.
 
 

 

He is so young, kind of sunshine fellow. I heard him once singing in the stairwell of our old apartment house. I was stunned by his soft voice. I thought, maybe Jeff Buckley covered another Hallelujah. Recently I met George again in the hall. I told him that I loved his timid voice. I asked him, since when he was singing. He had a bright smile on his face: “I can‘ t remember, I remember that I was always singing. In my family, everybody was singing and playing instruments like guitar, piano. I remember me dancing infront of the Radio or CD player, just moving to the rhythm which was coming out of these magic boxes. Later I started to play a drum, but my father didn‘ t like the noise … He bought me a keyboard which I play until today. At school we had a funny band with chaotic vibes between us. Soon I preferred my own style, I put my focus on one guitar only with more chords.“

 
 

When did you start with singsongwriting?

 

In October 2013 I began with textwriting. I had an encounter in Greece, where my family comes from, with an old Greek lady, she is a philosopher. While talking to her, she seemed to pull out of me whatever was inside of me. I started to write about my family. I like my mothertongue, but I sing only in English, sounds better than the Greek phonetics. You know I was raised with the music of Lana Del Rey, I love her, and Marina ( and the Diamonds) and with Charli XCX, who was the first woman, who created this outrageous fine sound with her PC.  It was a friend of mine from Cologne, who introduced me to the App, with which you can compose demo songs. I started creating sounds with my own PC.

 

How do you produce now your own sound?

 

First I write my text, then the metronome determines the beat. Then I choose an electric instrument. I prefer the synthesizer. With the digital note grid I put in the notes. I play, I tune, I correct. It is so much fun to work with the synthesizer, because you can set special frequencies on it. I really do attack the sound to get the best out of the equalizer. I am not yet satisfied with my work, but I keep practicing. Anyways until now my songwriting and singing is more important to me.

 

George, where do you get your inspirations from?

 

From the moon, the sun, the water, the wind, the birds  and from my Greek roots and my dreams. Would you like to listen to the song you heard me once singing on the staircase?

 

I would love to.

 

„Music of the Wind“

 

You have a very voluminous voice. Thank you for the nice talk and good luck for your musical career.

 

2021 7 Apr

„Glad Times“

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v i d e o

 

2021 7 Apr

No Other

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Eingezwängt zwischen der Wildnis der Rocky Mountains und der Endlosigkeit des Pazifik liegt das Land, in dem der silberne Raabe gesichtet wurde und die silberne Glasphiole versteckt liegt, wo die Grenze zum Kosmos dünner und durchlässiger scheint und die Wünsche wahr werden.

Aus diesem gelobten Land kam ein Byrd mit Flugangst, der sich nach einem Höhenflug aus der Band zurückzog. Sein Album „No Other“ ist ein scheues Tier, das einmal im Jahrzehnt sein Versteck verlässt und von der Welt bewundert wird, um sich dann rasch wieder in ein verlorenes Tal, dessen Eingang hinter einer dichten Nebelwand verborgen liegt, zurück zu ziehen.

Es ist nicht so breitbeinig, wie der schwere Titeltrack vermuten läßt, sondern vorsichtig, zurückhaltend, zweifelnd. Und doch von einer klanglichen Opulenz, die ihresgleichen sucht – hier wurde viel Geld ausgegeben, um genau den richtigen Sound zu finden. Die Musik, eine in den 70er Jahren angerührte Melange aus Country, Folk und Soul, berührt den Boden kaum, in den beiden längeren Stücken „Lady of the North“ und „Some Misunderstanding“ kommen mehr Instrumente zu Gehör, als eigentlich im Studio waren. Ein  Meisterwerk, das vom Verlust von Träumen, und dem übrig geblieben Schatten, handelt.

2021 6 Apr

An instant classic

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1 – STATEMENT –  I like to announce an instant jazz (or whatever you may call it) classic. Not really instant. It took a while, and then it blew me away, this album of Floating Points aka Sam Shephard, Pharoah Sanders and The London Symphony Orchestra. „Promises“ is will be in my top 5 of 2021. I listened to it on the highest dune of my northern island, I listened to it inside a deserted beach chair at the sea, after midnight, with crushing waves adding the fourth element to a mélange of archetypal  jazz, modern classical  & electronica. I listened to it at home, and it felt like a homecoming horizon.

 

2 – DETAILS – Die einzelnen Teile von „Promises“ fliessen nahezu nahtlos ineinander über, aber einmal geschieht etwas, dass diese Organik bricht. Was passiert da in der Schlusssequenz von „Movement 8“? Es ist etwas, das man so ähnlich schon gehört hat auf dem Klassiker der Band „Love“, und auf „Laughing Stock“ von Talk Talk. Ein unerwartetes Einreissen der Musik, als hätte ein Stromschlag ihr Weiterklingen verhindert. Ein wie aus heiterem Himmel fallender Vorhang. Hier, auf „Promises“, kommt diese Störung daher wie ein Störsound, und kurz fürchtet man einen Kapitalschaden der eigenen Lautsprecher. (Nicht, dass ich hier auf ein Mängelexemplar reinfalle, und da einen Sinn hineindichte, den es gar nicht gibt.) Diese „Verstörung“ ist eine recht tollkühne Idee, und wenn sich die Entstehung dieser Grosskomposition von Sam Shephard tatsächlich über fünf Jahre hingezogen hat, hatte er genug Zeit, über diesen Showdown der achten Bewegung nachzudenken.

 

3 – HISTORY –  Die Achtziger Jahre waren sicher nicht Miles Davis’ kreativste Dekade. Seine Popularität stieg, sein Spiel wurde gefälliger. Eine Ausnahme, vielleicht, das  Album „Tutu“, produziert von Bass-Mann Marcus Miller. Keyboards, Sequencing, Dub-Effekte, Drum-Maschinen und Tonalitäten, die oft die Helligkeit und Schärfe der Fairlight-Ära hatten: ein harter Sound, dem man aufnahmetechnische Brillianz bescheingen kann. Es ist das einzige Album von Miles Davis, aus jener Dekade, von dem ich glaube, dass ich es zuweilen noch sehr gerne hören würde. Ich mochte die Härte. Das Strahlen. Die Grooves. Brian Eno mochte es gar nicht: er empfand den Trompetenklang als geradezu „rechtwinklig eingekastelt, verschraubt, vernietet“. Er liebte weitaus mehr die Weite von „He Loved Him Madly“: Teo Macero schuf damals ein geisterhaftes Ambiente, eine fliessende Landschaft für die Trompetensounds des Meisters, der diese Schattenwelt selbst noch mit verhuschten Orgeltupfern verstärkte. Die Liebeserklärung an Duke Ellington findet sich auf dem Doppelalbum „Get Up With It“. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Brian Eno in diesen Tagen „Promises“ von „Floating Points“ hören – und begeistert sein wird. Alles andere würde mich wundern.

 

2021 5 Apr

Düne

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Eine typische Farbsättigung alter Postkarten von Nordseeinseln. Das Blau wird gleichsam tiefenblau, der Holzton regelrecht erwärmt. So imitierten Fotografen einen alten Mechanismus von Urlaubserinnerungen: die Intensität der Farben lässt alles so glühend und expressiv wirken, dass dem Verblassen der Erinnerung ein, letztlich vorläufiger, Riegel vorgeschoben wird. Nur dass dieses Foto erst ein paar Tage alt ist, und mit einem simplen Trick so viel älter erscheint. Ich wollte es so haben, kenne mich mit Inselfotos gut aus, und dieses sieht aus wie 1976, ich bin 21 Jahre jung, erstaunlich! Das Ende der Kindheit ist erreicht, und ich sammle schon lange keine Miniaturleuchttürme mehr. I‘m floating.

 

A typical color saturation of old postcards from North Sea islands. The blue becomes  a very deep blue, the wood tone downright warmed up. This is how photographers imitated an old mechanism of vacation memories: the intensity of the colors makes everything seem so glowing and expressive that the fading of the memory is prevented, at least temporarily. Except that this photo is only a few days old, and with a simple trick it appears so much older. I wanted it that way, know island photos well, and this one looks like 1976, I’m 21 years young, amazing! The end of childhood has arrived, and I stopped collecting miniature lighthouses a long time ago. I’m floating.

 

Entfalte Meine Hand / Die Anker Los / Denn Auch Jedes Tief Dreht Sich Ins Hoch / Fall Auf Meinen Fuß / Die Feuer Sind Gesetzt / Und Die Nebel Leuchten

 

Deutung: Das lyrische Ich macht sich auf den Weg auf die hohe See. Es ist sicher, dass nach schlechter Zeit auch mal wieder eine gute Zeit kommt. Herzlichen Glückwunsch, schon mal vorab, zu dieser Erkenntnis!

 

Weg Mit Dem Fixen Problem / Ich Will Mehr / Schiffsverkehr / Endlich Auf Hohe See / Endlich Auf Hohe See

 

Deutung: Ein fixes Problem will das lyrische ich loswerden; es soll nicht starr sein, sondern in Bewegung geraten. Schau, schau: „Wenn man sich bewegt, bewegt sich was“. Hey, diese Textzeile hätte auch noch gut gepasst. Das ist nicht Küchenpsychologie, das ist Besenkammerpsychologie.  

 

Werde, Wer Ich Bin / Gute Fahrt & Die Dämonen Sind Versenkt / Aufgeklart / Es Gibt Kein Damals Mehr / Es Gibt Nur Ein Jetzt, / Ein Nach Vorher

 

Deutung: das lyrische Ich will in der Gegenwart leben. Es hat die Dämonen versenkt. Hoffe, die waren schon tot, als er sie versenkt hat. Die Vergangenheit gibt es nicht mehr. Das ist natürlich Blödsinn, Herr Grönemeier. Und für das Jetzt erfinden Sie einen neuen Ausdruck, das „Nach Vorher“. Entschuldigung, aber dieser Ausdruck hat keinerlei sinnliche Präsenz und wirkt ein bisschen lächerlich.   

 

Stell Mich Vor / Das Leere Tor / Ich Schlag Mich Fein / In Seide Ein / Geb Mir Ewigen Schnee / Pures Gold, Wohin Ich Seh / Und Leb Mich Voran / Und Leb Mich Voran / Und Ich Verliere Mich In Mir

 

Deutung: ich fürchte, hier brennen dem Dichter die Sicherungen durch. Vor einem leeren Tor trägt er Seide und wünscht sich ewigen Schnee. Befindet er sich in Todesnähe? An einer Schwelle? Oder meint er Koks? Oder ein El Dorado im ewigen Eis? Wird er hier gar vieldeutig? Er sieht überall pures Gold. Welche Drogen sind im Spiel? Ein bisschen holzschnittartig ist das für so viel Psychedelik. Dann wird’s ganz hart: das lyrische Ich lebt sich voran und verliert sich in sich; das ist nicht mehr Besenkammerpsychologie, das ist trivialer Totalblödsinn!  Er spielt wieder mit Pseudotiefe und kalauert dabei vollkommen unfreiwillig.

 

Brauch Meinen Tag / Kein Schicksalsschlag / Das Salz In Mir / Die Vorfahrt / Radikalkur / Klare Natur / überholspur / Kein Radar Den Abendstern

 

Deutung: Na, klar, jetzt zieht es unsern Freund zum Abendstern, natürlich auf der Überholspur. Schliesslich will er keine Zeit verlieren. Er reimt im Staccato, will sagen: auf Teufel komm raus, Radikalkur auf klare Natur. Da steckt natürlich Potential drin, wenn eine Brauerei mal wieder einen Song für einen Werbespot sucht. Da passen auch Form und Inhalt, denn wenn man Lyrik auf einen Promillegehalt untersuchen könnte, wäre das hier schon was für eine Zwangausnüchterung.

 

Endlich Freie Sicht / Die Segel Sind Gefüllt / Und Keine Liebe Bricht Mich

 

Deutung: das lyrische Ich hat freie Sicht. Prima. Die Segel sind gefüllt: ich ahne, es weht eine steife Brise (da fällt mir ein Bierwerbespot mit Joe Cocker-Musik ein). Und er ist frei von allem Liebeskummer. Das überrascht nicht: denn die Vergangenheit hat er ja abgeschafft (s.o.), und eine Braut ist bei dem Verrückten glücklicherweise nicht mit an Bord.

 

Well, I don’t care what they think Drag racing my little red sports car I’m not unhinged or unhappy, I’m just wild. die produktion von lana del rays album chemtrails over the country club ist kurz vor genial. warum? weil es bei allem drumming so nah am element der luft entlang produziert ist. so hauchfein, dass die cocteau twins nicht mehr allein referenz sind. manches ist kurz vor auflösung, und lana zieht genau solche short stories auf, die durch lauter flüchtige erinnerungsbilder geistern, und man spielt das detektivspiel, macht mit auf dieser melancholischen schnitzeljagd voller sternschnuppen und schmauchspuren, und nur wenn ihre stimme unterwegs mal eine halbe, eine dreiviertel oktave tiefer rutscht, aus elfengleichen eiseshöhen, hakt sich sowas wie ein groove ein, für den zeitraum zwischen einem augenzwinkern und einer halben minute down to earth, manchmal auch einen ganzen song lang, aber nicht auf diesem hier:  I’m on the run with you, my sweet love There’s nothing wrong contemplating God Under the chemtrails over the country club

 


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