Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Archives: April 2021

Mr. Bojangles

Dance

 

Klaus Theweleit hat jetzt den Adornopreis von der Stadt Frankfurt bekommen – das freut mich.

Klaus Theweleit ist ein origineller Vielschreiber, der mit seinen „Männerphantasien“ Kultstatus erreichte. In dem Buch / den Büchern geht es um den „soldatischen Mann“, der aus Angst zu Gewalt neigt.

Gestern Abend hatte ich hier auf El Hierro das Vergnügen, einem Mann zuzusehen, der seine Angst mit dem Rhythmus seines Körpers kontrolliert. Oder war das gar kein Mann, sondern ein Instrument, das mit Körperteilen Klänge hervorzaubert? Jep Meléndez (1972-) heißt der Body Künstler, der mit seinen „piedes y manos“ jedes Schlagzeug ersetzt.

Doch der Reihe nach. Das Konzert wurde mit einer traditionellen, kanarischen Melodie eröffnet, mit Tomás Fariña (1985-) an der Gitarre. Hinzu gesellte sich der große Meister an der Timple, Benito Cabrera (1963-) mit einer einfachen Tanzmelodie. Das war eine sehr gelungene Einladung, den Tänzer nun auf die Bühne zu bitten. Mit Mütze und Maultrommel shuffelte sich Jep Meléndez über die Bretter, fängt an zu klopfen und zu schlagen. –  Ist das nicht Schuhplatteln, wer haut sich denn selber gern, frage ich mich einen Augenblick. Benito beginnt eine traditionelle Weise auf seiner Timple zu spielen, zu gefällig für den Body Performer, der jetzt nur beide Hände im Einsatz hat. Er klatscht, der Claqueur. Dann wird der Rhythmus lebendiger, ich höre Anleihen von Joni Mitchell‘s The Wind is in from Africa / (Carey). 

Jep am Tisch. Ah, so klingt es, wenn der Postmann Briefe stempelt. Leise kommen feine Töne von der Gitarre hinzu, vermischen sich mit dem Maschinengeräusch, das aus seinen Armen kommt! Benito spielt auf, schlägt die Timple. Jep nähert sich mit einem Sandsack, lässt die weißen Körner auf den Bühnenboden rieseln. Mit nackten Füßen reibt er gegen den Sand. Wir befinden uns nur 100 km von Afrika entfernt. Wer assoziiert da nicht das Naturgerassel einer Kalabasse. Tomás Fariña schaut entzückt hinüber zu Jep.

Das nächste Stück hat mir am besten gefallen. Benito beginnt mit einem Solostück. Jep nähert sich ihm steppend auf seinen schwarz-weißen Schuhen mit braunem hohem Holzabsatz. Die musikalische Kommunikation zwischen den beiden läuft perfekt. Das ist Fusion pur zwischen Tradition und Avantgarde. Jep stammt aus Andalusien, ist mit Flamencoklängen aufgewachsen, hat dann in New York Stepptanz, Jazz und afro-kubanisches Schlagzeug studiert. Er steppt großartig zu Benito‘s Timplesound. Und beendet es mit einem gewagten “Hop“. Ich habe zum ersten Mal einer body percussion beigewohnt. Beeindruckend wie der Körper dem traurigen Klangspiel mit schwerfälligen Gliedern‚ parallello ‚ bietet. Auch sehr gelungen, wie der Claqueur charmant dem Gitarrenspieler Beifall klatscht.

Als Zugabe gibt es ein Tanzstück. Das Publikum ist längst von den Sitzen aufgesprungen und begleitet klatschend die drei kanarischen Künstler. Es ist Jep‘s wunderbare Choreographie, die uns nach Hause begleitet. Das letzte Stück heißt „Polka de la guagua“. Wir nehmen den Bus = guagua Nr. 02 nach La Restinga.

 


„Die Funken fliegen, wenn Cary Grant und Katharine Hepburn in einem der schnellsten und lustigsten Filme, die je gedreht wurden, aufeinander losgehen – ein Hochseilakt der Erfindung, der die amerikanische Filmkomödie zu neuen Höhen der Absurdität führte.“
So bringt es Criterion auf den Punkt, und wer bis Juli wartet, kann den restaurierten Film in einer neuen Edition der amerikanischen Filmenthusiasten bestaunen, mit vielversprechenden Extras. Wer aber den schnellen Kick bevorzugt, wartet, bis es dunkel ist, und schaut sich diesen Film, im amerikanischen Original auf YouTube an. Viele alte Streifen, selbst von Cracks wie Herzog oder Truffaut oder Wenders, produzieren bei mir heute lang nicht mehr das Staunen, die Verblüffung, das Atemlose, von damals. Anders geht es mir, zumindest in bestimmten Aspekten des Wieder-Sehens und  Wieder-Entdeckens, mit Klassikern von Hitchcock, des film noir – oder solchen screwball comedies wie „Bringing Up Baby“. Warum, keine Ahnung (muss ich auch gerade nicht ergründen). Lieber her mit einem herrlich grasigen Sencha-Tee (grün, dekoeffiniert), dem Abenddunkel, und Katherine und Cary in Hochform!

 

2021 14 Apr

„La Ola Interior“

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Lieber Michael!


Ich verfolge hier ja schon längere Zeit den Blog, auf dem mir in letzter Zeit, wegen der Frau aus dem Eric Clapton-Song, einiges spanisch vorkommt. Da lese  ich gerne die eine und andere Geschichte. Für alles Spanische, auch das Obskure, habe ich ein Faible, seit ich in jungen Jahren Paco de Lucia auf seiner Gitarre zaubern hörte, während grosser Ferien in Barcelona. Und 
weil ich selber oft  auf Fueteventura war, und mich an den entlegenen Küsten abseits des Rummels immer wohlgefühlt habe.

Über alles zu sprechen, was in Spanien auch nur vage gegenkulturell ist, von Mitte der 1970er Jahre bis zu den letzten Atemzügen des letzen Jahrhunderts, scheint einem Freifahrtschein für die Kunst des Bluffens nahezukommen: denn man kann alles – Empörung, Insularität, Multikulturalismus, gute Laune – als Produkt der Post-Franco-Ära wahrnehmen, wenn man so will. Ein kleines Loblied möchte man ich hier anstimmen auf die CD „La Ola Interior“.  Die Frage ist ja , wie haben diese Künstler getickt, die auf dieser neuen Compilation des global orientierten Schweizer Labels Bongo Joe abgedeckt werden?

Die hier versammelten 12 Acts sind ganz klar das Produkt erschwinglicher Synthesizer und kompakter Aufnahmetechniken. Es wird ein Licht auf eine Szene geworfen, die zwischen Ambient, der Berliner Art, gedämpftem  Industrial-Sound und loopbasierter Proto-Techno-Musik driftete, und größtenteils über ein DIY-Kassetten-Netzwerk verbreitet wurde (die Spanier scheinen bis in die 90er Jahre hinein an den Kassetten festgehalten zu haben, als die ursprüngliche Kassetten-Kultur ansonsten verschwunden war).

Wie in den Sleevenotes kurz eingeräumt wird, fällt die Zeitspanne dieser sehr bunten Mischung mit der Entwicklung des „balearischen Sounds“ auf Ibiza zusammen, aber am nächsten kommt diesem chilligen Sound allein der Track  „Trivandrum“ von Miguel A. Ruiz, mit einer Kernmelodie, die man entweder trillernd tropisch finden wird  – man kann auch an Möwen denke  während eines morgendlichen Katers.

Das schlendernde Tempo von ‚Hybla‘ und der Verschmelzen von Glocken, Shakern und Holzbläsern wirkt wie ein Cousin des Absurdismus von Current 93 oder das, was die Incredible String Band hätte werden können, wenn sie nie ihren Hardcore verloren hätte; ‚Hombres Lluvia‘ bietet eine kriechend-langsame arabische Instrumentierung, vergrabene und undeutliche Vocals und eine Art wässriger Feldaufnahmen, die immer wieder in den Vordergrund treten.

Zu jedem Stück fallen mir zahlreiche Referenzen ein: Spanien war nun nie der Nabel der Popkultur, aber dort entstanden eben auch seltsame, verrückte Töne, die dann tatsächlich etwas besassen von der Freiheit und den wunderbaren Möglichkeiten der Post Franco-Ära. Heute schiessen die Despoten wieder aus dem Boden, auch im Raum des  alten  Europas. Grund genug, die eigene Resilienz zu schulen, mit Fundstücken, die nie den Anspruch hatten, Meilensteine zu sein, und doch durchaus bezaubern können. Darum empfehle ich „La Ola Interior: Spanish Ambient & Acid 1983 – 1990“ sehr!

 

Herzliche Grüsse, Noel!

2021 14 Apr

Abteilung Lieblingsfilme

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Es gibt Filme, zu denen ich alle Jahre wieder gerne zurückkehre. Der Neo-Western „Silverado“ zählt dazu, und dieser Neo-Noir-Film namens „L.A. Confidential“ auch. Als er in die Kinos kam, stand er im Schatten dieses Blockbusters von der sinkenden Titanic, ein Film, der mich nie packte, nie rührte, weil ich überall die Spezialeffekte sah, und gezielte Angriffe auf die Taschentuchvorräte des Publikums. Gott, wie langweilig!

James Ellroys gleichnamiger Roman zeigt „die Stadt der Engel“ als eine lebendige, atmende, sich windende Masse von Widersprüchen – eine glitzernde und glamouröse Fassade, die eine schäbige Schattenseite von Verbrechen und Korruption verdeckt. Das Buch ist dicht und ausufernd, ein echtes Epos über die dunklen Seiten Amerikas. Allerdings ist der Schreibstil von Ellroy gewöhnungsbedürftig.

Curtis Hansons Film hat die Erzählung stark gestrafft und zahlreiche Nebenhandlungen weggelassen, um sich präzise auf die wesentlichen Elemente der Geschichte zu konzentrieren. Das Ergebnis ist eine perfekte Adaption, die dem Geist und den Intentionen des Ausgangsmaterials treu bleibt, sich aber nicht scheut, größere Änderungen am heiligen Text vorzunehmen, damit sich der Film als eigenständiges Kunstwerk entwickeln und entfalten kann.

Das Drehbuch (von Hanson und Co-Drehbuchautor Brian Helgeland) ist brillant strukturiert und scheint auf den ersten Blick einen kompletten Anfang, eine Mitte und ein Ende zu haben – und das alles noch vor der Hälfte des Films, an dem der Film eine wichtige Wendung nimmt und einen noch fesselnderen Bogen über drei Akte spannt. Es gibt keinen einzigen verschwendeten Moment im ganzen Film. Mit einer Länge von fast 2 1/2 Stunden bewegt sich der Film wie ein Blitz.

Hansons erstklassige Regie hält geschickt die Balance zwischen gewichtigen dramatischen Momenten, reichhaltiger Charakterentwicklung und spannender Action. Der Film ist zugleich ein von Nostalgie unbelastetes Historienstück, ein polizeiliches Verfahren, das formelhafte Konventionen umgeht, und ein Film Noir ohne die üblichen stilistischen Klischees, die mit dem Genre verbunden sind. Und jetzt geht es nur noch darum: besorgen Sie sich den Film, einen guten Rotwein, und los geht‘s!

 

geschrieben von Michael Travers (4/5) und Michael Engelbrecht (1/5)


 
 

 
 

 
 

Es leuchtete ein schwarzes Licht. Schwebend leicht und unbeschwert kam eine Musik daher, aus deren Umfeld namens Tunng man vorher noch nicht einen Ton vernommen hatte, die also gänzlich unbekannt war, sodass man staunend innehielt: Ausweitung der Klangzone. Man setzte den Kopfhörer auf, nachdem die CD zunächst erstmal aus dem Briefkasten befreit wurde, dann aber auch von der Cellophanfolie und dem farblich schönen Karton. Endlich dann legte man sie in den Player, zur allabendlich ritualisierten Hörstunde in der Dämmerung, und liess sich überraschen. Vermutete man im schwarzen Raben auf dem Cover eine Reinkarnation von Aleister Crowley und assoziierte daher Black Light von Diagrams mit den Enneagrammen der gurdjeffschen Tiefen-Psychologie, so stellte man erleichtert fest: die Musik war völlig frei von Schwarzmagie und Esoterik. Sie kam eher fröhlich und sehr säkular daher. Von Alltäglichem wurde gesungen: „In the morning light, I was baking bread in the afterglow, of a long night spent …“, so klang es im Ohr mit angenehmer Gesangsstimme, klang mal wie Roxy Music, dann wie Kraftwerk (im Song „Tall Buildings“), wie die Folk-Rockband Amerika (auf „Night All Night“) oder wie die Gruppe Prefab Sprout. Feingewebt war der Gesamtklang. Lyrics und Gitarre waren wohl zuerst dagewesen, in bester Singer/Songwriter-Manier, dann fügten sich elektronische und hybrid-musikalische Sounds ein, ohne das Ganze zu überladen: das genau ist ja die Kunst. So wunderte man sich: nach kurzweiligen knapp vierzig Minuten war die Schallplatte schon durchgelaufen. Man drehte sie um und spielte sie erneut. Moment mal, wieso denn jetzt Vinyl – das war doch eben noch eine CD gewesen? Ein kalter Schauer lief über den Rücken: also doch Crowleys Schwarzmagie!

 

2021 12 Apr

Sansibar Lockdown Memory

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… and now for something completely different: Seit 1970 produziert Klaus Schulze Platte um Platte — unmöglich fast, auch nur einen Teil davon zu kennen, wenn man nicht wirklich „die-hard fan“ ist. Zu denen zähle ich nicht, gleichwohl ist die Musik Klaus Schulzes für mich ein Wegbegleiter durch die Jahrzehnte gewesen.

Verblüffend, dass es in all den Jahren keine vernünftige Biografie gegeben hat. Es mag damit zusammenhängen, dass Schulze sein Privatleben privat hält. Auch in dieser vor kurzem erschienenen Biografie von Olaf Lux (den man sicher als „die-hard fan“ bezeichnen darf) findet sich darüber eher wenig. Das schadet aber nichts; das Wenige, das man erfährt, lässt darauf schließen, dass Schulzes Leben im Prinzip relativ unspektakulär verlaufen und er selbst bei allem Erfolg ziemlich bodenständig geblieben ist.

„Violinen wachsen nicht auf Bäumen“ ist ein Ausspruch, den Klaus Schulze Journalisten und anderen Fragern entgegenhält, die den Synthesizer für kalte Technik und auf ihm gespielte Musik für „künstlich“ oder „tot“ halten. Dieses Argument trägt schon deshalb nicht, weil auch Gitarren oder eben Geigen Produkte einer hochstehenden Technologie sind, außerdem spielen Synthesizer nicht von allein, sondern bringen nur das an den Lautsprecher, was ein Musiker aus dem Instrument macht. Das bedeutet: Man muss auch das Spielen auf einem Synthesizer erlernen, und bis man das Instrument beherrscht, stecken hunderte, wenn nicht tausende von Stunden darin.

Elektronikfans haben allerdings leicht mal die Tendenz, die elektronischen Instrumente zum Fetisch zu erheben. Die manchmal ellenlangen Listen des verwendeten Equipments auf LP-Covern (auch Schulzes) sprechen Bände. Olaf Lux weiß die Instrumente einzuordnen, fällt aber dieser Fetischisierung nicht anheim. Platte für Platte wird in chronologischer Reihung vorgestellt, gelegentlich kurz von Exkursen unterbrochen, die auf Weggefährten, Plattenfirmengründungen und -pleiten, Live-Situationen, Schulze als Produzent und andere Dinge eingehen, auch Schulzes jahrelange Alkoholprobleme werden nicht verschwiegen. Das meiste war mir nicht neu, aber trotzdem findet sich zu fast jeder Platte irgendeine Hintergrundinformation, die ich noch nicht gehört hatte. Die Arbeit, das alles zusammenzutragen, muss enorm gewesen sein (zumal Schulze selbst für den Verfasser nicht zu sprechen war).

Wenn ein Fan die Biografie seines Stars schreibt, ist das immer ein Seiltanz. Der ist hier im Großen und Ganzen geglückt. Das eine oder andere kritische Wort zu Schulzes überbordender Veröffentlichungspolitik hätte ich mir schon gewünscht, und für mein Gefühl sind viele Platten Schulzes einfach zu lang. Aber das ist Geschmacksache. Wenn ich sagen sollte, welche Platten von Schulze ich für wirklich wichtig halte, dann fallen mir fünf oder sechs ein — die allerdings sind dann wirkliche Meilensteine.

Wer sich für Klaus Schulze interessiert, kann unbesorgt zugreifen, wer ihn nicht mag, wird mit diesem Buch nicht viel anfangen können. „Violinen wachsen nicht auf Bäumen“ ist gut geschrieben und handwerklich gut gemacht, auch wenn man sieht, dass es kein professionelles Satzbild ist. Das Buch hat — was bei selbstpublizierten Werken aus Kostengründen nicht immer selbstverständlich ist — eine gut lesbare Schrift (mein Tipp: Century Schoolbook oder eine ähnliche) in gut lesbarer Schriftgröße (die meisten Leser werden schließlich nicht mehr die jüngsten sein), ist parallel in deutscher und englischer Sprache erhältlich, hat 540 Seiten, kostet 39,99€ und ist nur hier erhältlich.

2021 11 Apr

Mein Tag in einem anderen Land

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Z. lebte in einem Zelt im tiefsten Wald, nicht weit vom Flughafen entfernt, der an guten Tagen seine Lebensader war, wenn er nicht von einem Obrigkeitsvertreter verscheucht wurde. Meist trug er eine große verspiegelte Sonnenbrille, die er nur äußerst selten absetzte, meist wenn er einen der seltenen Momente hatte in denen er den Kontakt zu seinen Mitmenschen suchte. Er lebte abgeschieden in seiner eigenen Welt und leise vor sich hin murmelnd, seltener einmal klagend oder gar schimpfend. So kreuzten sich unsere Wege an einem seltsamen Ort, einem Gebäude dessen endlos lange Gänge fast labyrinthartig ins Leere liefen. Er war nicht sehr gesprächig, hatte dicke Kopfhörer auf und eine tief ins Gesicht gezogene Schirmmütze, die er Schirmmütze hieß, weil sie ihn vom Rest der Welt abschirmen konnte. Manchmal mochte er sprechen, meist langsam und etwas unsicher, wenn er von seinen Gesprächen mit den kleinen Vögeln im Wald, die er liebevoll fütterte sprach und ganz leise und geheimnisvoll, als er bekannte fast einmal eine Maus, die in sein Zelt eingedrungen war mit einer gußeisernen Pfanne erschlagen zu haben. Die Maus aber schaute ihn tief an, erkannte ihn und so entspann sich ein eigenwilliger Dialog zwischen ihnen, fremd den Menschen, die in bedeutungslastigen Begriffen die Welt erleben und voll absurder Schönheit für die, die die Freiheit des Augenblicks hörend erfahren können. Meist verbrachte er seine Zeit aber in einer Schlafwandlerexistenz und sein Zelt stand auf einem Ort, der das Gegenstück zu der hintersten Ecke eines vorzeitigen Friedhofes, an dem die Aufschriften auf den verbliebenen Grabsteinen schon lange nicht mehr lesbar waren, darstellte. Dort lebt der Protagonist der kleinen Geschichte von Peter Handke, die er „noch keinem Menschen erzählt hat“, einer Dämonengeschichte, aber weniger einer, die von Besessenheit als von Welt- und Selbstverlorenheit berichtet.

 
 

Wie das: Wir endgültig Durchgedrehten von einem öffentlichen Interesse? Ja: in dem Sinn daß wir, ohne uns dessen bewußt zu sein (wie denn auch?), der übrigen Bevölkerung als Spiegel dienten. Spiegel wovon? Spiegel des eigenen gefährdeten Inneren: „So bin ich insgeheim auch, und ebenso könnte es, morgen früh oder schon heute nacht, von einem Moment zum anderen aus mir herausschreien, und dann so weiterschreien, -kreischen, -toben ohne Ende.“ Aber derart gefährdet ist, nicht wahr, höchstens eine kleine Minderheit und keinesfalls die gesamte Bevölkerung? – Doch: die Bevölkerung, die ganze! – Und was war deren Interesse, sich von uns Besessenen gespiegelt zu sehen? – Sich so gespiegelt zu sehen, konnte, wenn nicht heilen, so doch, für den Augenblick, zurechtrücken, wie auch die Dinge einen selber, die Form und die Formen wahren, insbesondere hier draußen vor all den anderen, und zwar im, wie gesagt, Interesse der Öffentlichkeit!
 
 

Das Schreckliche ist ja nicht die Finsternis, vielmehr das viele Licht drinnen in mir, und um mich herum. Wie böse ist es, dieses Licht. Eingekerkert bin ich in es … Lichtumzingelt allerwärts, bis hinein in die letzten Seelenwinkel … Hilfloser, ich Hilfloser!

 

Von dem Anblick eines bislang Fremden, diskret, selbstlos teilnehmend und freundschaftlich wird er aus seiner Zeit des luziden Wahns herausgerissen, der Dämon weicht und er kann seine Reise weg von den alten Räumen für einen Tag in eine Welt des Namenlosen, des Unbenannten mit dem Gefühl von Erleichterung und Befreiung begehen. In fast skizzenhaften Fragmenten durchstreift der namenlose Protagonist seinen neuen Tag, begegnet Trug und Täuschung und weiß sie aber mit skurrilem Regelwerk als vorgeschobener Handlungsanleitung zu bannen, findet Freude an den Hindernissen und erschließt sich das Zentrum einer fiktiven – und doch so realen – fremden Stadt. In diesen Momenten setzte auch Z. seine verspiegelte Sonnenbrille und die Schirmmütze ab, sah mir lachend in die Augen und pointierte den Augenblick mit einem kleinen Vers (wie auch der Protagonist die Sprüche und Reime der Anderen wiedergibt), mitunter auch von Ringelnatz oder Karl Valentin. Da war er ganz anwesend, einfach hier. Eine kleine Initiation, deren reduktionistische und wunderbar beobachtend-teilnehmende Betrachtungsweise dem wertenden Geist einen der Plätze jenseits des wahren Erlebens zuweisen. Mein Tag in einem anderen Land.


 
 

In 2020, I was probably at only two concerts – Silent Fires in February, and Pericopes in October – both of which are bands with pianist Alessandro Sgobbio, who graduated at music academies in Parma and Oslo, and that is why many of his projects have been taking place between Norway and Italy. The striking Silent Fires album, Forests, was one of my top Nordic releases 0f 2019, available through the enthusiastic (predominantly) jazz label AMP Music and Records, founded in 2014 and managed solely by Oslo-based jazz drummer Anders Thorén. To this date, AMP has released more than 70 albums, among them such highly recommended favourites of mine as Ayumi Tanaka’s debut trio album, Memento, the original project Modes for all Eternity by WAKO & Oslo Strings, or the highly inspired trio Ground 71 from Northern Italy. Just recently, AMP changed the logo and design approach, and Alessandro is back on the label with the debut album of his project Hitra, Transparence, described as a genre-fluid journey into imaginary, lost and hidden places.

 
 

I see that you wrote all the music and are mentioned as producer. So is Hitra rather a project based on your ideas or more like a full-band project of four equals?

 

Yes, I produced the album and wrote the music, but I think that the best way to describe this project is an open musical encountering of four musicians and their own personal voices. It’s nice for me to see and hear how this polyphonic dialogue could well re-shape the compositions (and the improvisations, of course) with a deeper level of a creativity and meaning. Also, some of them are quite structured, some other are wide open, but overall there is «zen» freedom in the way we can approach, interpret, dismantle or improvise in between our repertoire.

 

That „zen“ approach of the music is something I feel is very strong on this album. Interestingly, it reminds me of another recent Italian-Norwegian project: Michele Rabbia, Eivind Aarset and Gianluca Petrella released an album called “Lost River”. There’s no piano on that album, though. You mixed the music with Stefano Amerio in Udine, who also recorded and mixed the “Lost River” album. In any case, your album is a beautifully unique one, stylistically, and also quite different from lots of other albums in the contemporary jazz section, on AMP as well as in general. Which references did you have in mind when you developed the music? 

 

During that period I was mainly working on my own self-perception and development of my musical ideas. The challenging situation of moving every six months (!) to a new city, music academy, apartment and spoken language (Norwegian, Swedish and Danish languages are so similar and yet so very different!), has played an important role in  pushing me towards that direction. That being said, the music on this album has a quite strong connections with my busy daily book-reading activity of that period. I remember that, for many days, I was deliberately stretching my days between silence and reflection, with a book in my hands or a grand piano in front of me, with paper and pencils ready for writing down ideas. But – of course – I was listening to a lot of music during that process, mainly checking out artists who have been developing a clear, energetically strong and personal voice. And it was definitively a wide range of intense listenings – from Arvo Pärt to Robert Glasper, with PJ Morton and J. S Bach in between – and multiple inspirations from specific works from Misha Alperin, Jon Balke, Anouar Brahem, Joni Mitchell, Christian Wallumrød, Kaja Draksler, Kayhan Kalhor and Vijay Iyer, among others.

 

What was the initial inspiration for the album?

 

A few years before moving to Oslo, I was reading a book by French writer Georges Perec and I noticed his curious mention to the lost city of Lebtit: such a fascinating story that resonated in my mind for a while. After that, other related references and readings surfaced and made that first inspiration more solid and valuable. The hidden, abandoned, demolished or imaginary places became the leitmotiv of the album, and I feel that the music included in Transparence organically matches this vision.

 

So how did Hitra as a band start? 

 

It took me some time to find the «right» musicians, but today I can say that I like a lot this line up! [Drummer] Øyvind Skarbø and I shortly played together a mini trio set (with trumpeter Hilde Marie Holsen) at my master admission at the Norges Musikkhøgskole in early 2016. In 2017, a few months after my arrival in Norway, I met [bassist] Jo Berger Myhre and asked him to be part of this project. We started rehearsing a bit in that first trio format, pretty much improvising, with no composed material at all. We just set up the instruments and started jamming for some hours. When the Norwegian Music Academy offered me a «concert + daily recording session» combo, I felt that could be a good opportunity to work on more composed material. Øyvind, Jo and I agreed on adding a fourth member to the band, and the choice immediately came to [guitarist] Hilmar Jensson, who was teaching at the Academy. I asked him if he would have been interested in joining this project – as you know, he said yes!

 

When you first told me about this project about a year ago, I was surprised to encounter the island Hitra again. It’s a fairly big Norwegian island, but it’s located in a region that not a lot of people outside Norway know much about. What is your connection with Hitra — or why did you choose that name for the band?

 

I have never been to Hitra, but I was immediately and enormously inspired by the sound of the word Hitra itself: such an enigmatic perfect word for our metaphoric island of foggy lights, hidden places and sunken cathedrals.

 

I very much like the concept of the multilingual track titles. How come you have two German titles among them?

 

Those two titles carry a special weight in the imaginary journey painted in this album. That’s actually due to my admiration for the work of poet Rainer Maria Rilke. The term “Künftiges” (future things) has a quite eschatological message, and “Lebenslauf” suggests a “life path” that can be physical and spiritual at the same time.

 

We spoke about your ideas for a cover image last autumn, when you were in Berlin to perform your previous album. I remember the title “Transparence” had been there already. The photo on the cover connects pretty smoothly with another AMP album released around the same time, by Pål Nyberg. When and how did you come across Anita Soukizy’s work in the first place? 

 

We had a first connection more than a year ago, during the promotional tour of my previous album Forests. Anita has a particular predilection for the Scandinavian music scene, so we were already in touch regarding that specific topic. Last February — after some concerts in Oslo, Berlin, Paris and Porto — with Silent Fires we finally landed in Milan for our last tour gig, but on that same day our concert got canceled (and the first official Italian lockdown started). Since the gig was not happening, we took the opportunity to make a long band interview with Anita, and also a mini video shooting. That was the beginning of our collaboration.

The first album cover reference I had in mind for Transparence was a foggy, undefined night cityscape. I asked to a few photographers for options in that direction, including Anita Soukizy (and yourself). What happened is that Anita sent me also an extra selection of more-abstract shots. While I was sharing these options with Anders Thorén, we both agreed that, among all options, there was one image in particular that felt quite accurate in visually delivering Transparence’s liquid atmospheres, so we went for it. I agree with you — its style matches the Pål Nyberg album cover, but it is only a (very good) coincidence.

 

What’s the idea behind the video teaser for the album?  

 

The idea of a night cityscape reference came back only after the album artwork was finalized. I was starting to think about an album EPK video, but then I remembered that Anita Soukizy mentioned, during a phone call, the existence of some unreleased night video shots she took in Milan. That footage has been included in the video teaser (where you can hear the opening track, “Lebtit”, played in its entirety), and I am happy I could finally materialize my very first visual intuition for this album.

 


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