Manafonistas

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2021 27 Mrz

Mit Pharoah auf der Uwe-Düne

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags: , | 7 Comments

 

Als Olaf W. mich vor Wochen auf dieses Album hinwies, war ich erstmal sehr zurückhaltend. Ein Elektronik-Produzent, ein alter Jazz-Hase, und dann noch das London Symphony Orchestra. Mir fielen fürchterliche Verbindungen von Jazz und Symphonik ein. Und dann noch Synthesizer. Zu Pharoah Sanders hatte ich meist einen guten Draht, aber leicht kann es närrisch zugehen, wenn das hohe Alter naht. Es gibt nun mittlerweile dutzendweise Lobgesänge auf „Promises“. Auch in Pop-Zirkeln, ähnlich wie vor Jahren bei diesem Dingsda, dessen Namen ich zum Glück gerade vergessen habe. Ein verquastes Gebräu war das, aus Pomp, betont tiefschürfendem Jazz, und kosmischem Geraune – die Naiven witterten tatsächlich einen neuen Coltrane. Nun hat Pharoah Sanders einst selbst mit Coltrane gespielt, noch dazu auf Augenhöhe. Aber Zeiten ändern sich, und es sind schon andere Wilde in der Nostalgie und Weichzeichnung alter Meriten gestrandet. Der Londoner Elektroniker nennt drei Künstler in einem Atemzug, die seine Arbeit an den „nine movements“ inspiriert hätten: Claude Debussy, Olivier Messiaen und Bill Evans. Hoch hängt die Latte – mein lieber Herr Gesangsverein! Sam Shepherd hatte natürlich zwischendurch immer wieder Kontakt zum Saxofonisten, und einmal erzählte ihm dieser vielleicht schon weise, gewiss aber sehr alte Mann folgendes:  „Ich bin auf einem Schiff auf dem Ozean. Bären kommen vorbei und rauchen Zigarren. ‚Wir haben die Musik‘, singen die Bären. ‚Wir haben, wonach du gesucht hast.‘ “ MhhmmmEin Traum. Vielleicht ein Schlüssel zur Musik? Wenn man in diesen Tagen auf die Uwe-Düne steigt, ist man dort stundenlang allein. Der, nach dem die Düne benannt ist, hat hier im Norden deutsch-dänische Geschichte geschrieben, landete zwischendurch im Knast, und nahm sich Ende der Dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts in Rio de Janeiro das Leben. Jeder Wanderweg ist hier ein Bildungsweg. Aber klar ist auch: wenn ich meine Boom-Box raushole, spotify anzapfe, bin ich in exklusiver Gesellschaft eiskalter Ostwinde, und dieser Musik von Floating Points, Pharoah und dem LSO. Ich hatte mich ganz dick eingepackt, und lauschte der Musik vom ersten bis zum letzten Ton. Ich traue meiner Faszination im nachhinein noch nicht so recht über den Weg – der Raum, in dem ich die Komposition in mich aufnahm, auf dem höchsten Punkt von Sylt, war zu speziell, um nicht jedem Sound eine bestimmte Aura zu verleihen. Ich blickte aufs Meer hinaus, um herauszufinden, ob ich gerade vielleicht selber träumte – aber ich sah keine qualmenden Bären. Was die wohl geraucht haben?! Und so habe ich alle Fertigurteile ausgesetzt, und mich ein weiteres Mal mit Pharoah verabredet, dann aber nachts in einem Strandkorb. Immerhin kann ich schon eins sagen: die Musik hat was.

 

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7 Comments

  1. Uli Koch:

    Habe „Promises“ gerade auch zum ersten mal durchgehört und bin noch sehr berührt von der Intimität dieser Musik, die durch die Verschiedenheit der Musiker ein ziemliches Spannungsfeld umfasst und doch überraschend organisch ist. Die nächste Verabredung wird nicht lange auf sich warten lassen …

  2. ijb:

    Ich bin mir auch noch nicht so recht sicher, wie ich die finde. Auch ich hatte einige Vorbehalte, weil mich so Jazz/Jazzsolisten-Alben mit Orchester eigentlich nie wirklich erreichen. Maximal kann ich die respektieren und die Qualität anerkennen, ich müsste jetzt aber lange überlegen, ob es ein Orchester-Jazz-Album gibt, das mich wirklich bewegt.

    Als eine Art Vorläufer von diesem Projekt könnte man auch auf Carl Craig verweisen, also auf jemanden, der nicht aus der Jazz-Richtung kommt (sondern aus dem Detroit-Techno), aber immer wieder Jazzensemble und Orchester-Kollaborationen angestrengt hat, die erstaunlich gut sind – angefangen etwa bei seinem Innerzone Orchestra (super Album, übrigens) Ende der Neunziger, wo u.a. ein junger Craig Taborn, damals noch in der bunten elektronischen Jazzwelt unterwegs, Teil der Gruppe war und verschiedene Tasteninstrumente spielt.

    Oder das aus dem Drum&Bass kommende Duo 4Hero, das zur gleichen Zeit orchestralen Soul-Drum&Bass-Jazz mit etwas psychedelischen Passagen, mit Third-Stream-Momenten und zwei Spoken-Word-Stücken sowie deutlichem Einfluss von Pharoah Sanders, Lonnie Liston Smith und Roy Ayers ihr nach wie vor grandioses Album „Two Pages“ bastelte.

    Tatsächlich tut man Sam „Floating Points“ Shepherd etwas unrecht, wenn man ihn als „Elektronik-Produzent“ beschreibt. Sein Werk ist stilistisch ausgesprochen vielfältig, und Elektro-Tracks nur ein kleiner Teil seines umfangreichen Schaffens. Das „Promises“-Album knüpft letztlich ganz gut an sein wahrlich tolles Album „Elaenia“ an, das viel „akustischer“/organischer ist als ein elektronisch produziertes Album und auch „free-flowing“ Jazz-Einflüsse und viel handgespieltes Schlagzeug hat. Die AMG-Rezension (5 Sterne!) stellt sogar Verbindungen zu Mark Hollis her.

    Zwischen „Elaenia“ und dem 2019 erschienenen stilistisch schwer greifbaren Multi-Stil-Album „Crush“ hat er ein ebenfalls ganz interessantes Film+Musikprojekt in der Mojave-Wüste gemacht; die dazugehörige Platte beginnt und endet mit Ambient-Stücken, nicht unähnlich dem Ambient dieser neuen Suite, dann gibt es psychedelische Stücke, die nicht weit von frühen Pink Floyd entfernt sind – und das zentrale Stück von „Reflections – Mojave Desert“ ist eine 13 Minuten lange Krautrock-Nummer.

  3. Olaf Westfeld:

    1998 ist Two Pages erschienen, ein Jahr später Programmed. Beide Alben haben mich sehr getroffen. Two Pages war u.a. Soundtrack zu einem tollen Sommer mit sehr viel Feiern (und einer tollen WM, von dem deutschen Team mal abgesehen); u.a. ein wunderschönes Konzert in Köln als 4Hero zusammen Streichern und Bläsern spielten. Im gleichen Sommer erschien auch Moment of Truth von Gang Starr, das ich noch häufiger hörte. Programmed habe ich ein Jahr später nach einem Keks erstmals aufgelegt und bin von der Musik eingesogen worden – synästetische Wahrnehmungen, das ganze Programm. Habe das Album danach nicht mehr oft gehört, das war nicht zu toppen. Vielleicht wird es mir bei Promises ähnlich gehen – einmal sehr begeistert und danach kommt nicht mehr viel. Aber einmal Begeisterung ist ja auch schon ziemlich viel Wert.

  4. Michael Engelbrecht:

    1998 waren 4hero nicht so mein Ding. Vielleicht, weil ich in den 70ern mit derm heissen Scheiss der Fusion Music und jeder ECM-Platte auf meinem Plattenteller durch die Studentenjahre „floatete“.

    1998 war ich 43 und die meistgespielten Platten jenes Jahres in meinen Klanghorizonten (die ich seit 1990 mache), und in meinem Leben, waren Lucinda Williams: Car Wheels On Gravel Road, Mercury Rev: Deserter‘s Song, Boards of Canada: Music has the right to children – und Massive Attack: Mezzannine.

    „Mercury Rev’s fourth album was the great turning point for an already great band. After three albums of gloriously unhinged psychedelia, founding members Jonathan Donahue and Sean “Grasshopper” Mackowiak upended their sound, aiming for songs that were deceptively simple but contained depths of feeling inside lush sonic backdrops. The psych elements remained, they were just tempered by an interested in rustic folk-rock (Garth Hudson and Levon Helm of The Band both make notable appearances) and a glassy-eyed pop sensibility. Add to the mix the sharp production of Dave Fridmann, who also contributed instrumentally to the project, and Mercury Rev came away with a sweeping yet intimate work that inspired a new generation of songwriters with an eye toward slow-burning beauty. —Robert Ham“

    1998 habe ich ganz sicher immer wieder mal ne Pharoah Sanders Scheibe aus meinem Regal geholt wie Tauhid oder The Creator Has A Masterplan. Obwohl ich nicht glaube, dass der Creator einen Masterplan hat. Oder Coltrane LIVE IN JAPAN, alles Mono, und der wilde Pharoah neben dem wilden John.

  5. Olaf Westfeld:

    Mezzanine – großartig! Boards of Canada habe ich unerklärlicherweise erst vor 7 – 8 Jahren angefangen zu hören, die hätten auch 1998 schon gut in mein Leben gepasst. Dafür habe ich damals bei Goddess on a Highway das Radio aufgedreht. Pharoah Sanders… kannte ich höchstens dem Namen nach, weil er mit John Coltrane gespielt hat.

  6. Michael Engelbrecht:

    Du hast damals noch nicht die Klanghorizonte gehört, Olaf 😂

    Dann gibt es was nachzuholen:

    Eine Platte, die ich grossartig finde, und die nicht viele kennen, spiele ich am 19. Juni, in den Klanghorizonten um 5.05 Uhr in der Früh. Ein Track, ein Trip! Keine der bislang erwähnten Scheiben (memory note for the near future).

  7. Alex:

    Ich hatte schon, ob der vielen Lobeshymnen diverse Anläufe gestartet, mir dieses Album durchzuhören, heute Nacht zwischen vier und fünf ist es mir gelungen. Es hat mich sprachlos gemacht. Aber nicht im positiven Sinn. Da wird ein ziemlich beliebiges siebentöniges Motiv über alle Tracks außer dem letzten hunderte Male wiederholt. Dahinter hört man Pharoah Sanders eher untypisch lyrisch-impressionistisch zurückgenommen Saxofon spielen. Was mir sehr gefällt, aber durch den in Dauerschleife ablaufenden tödlich nervenden Loop völlig verhunzt wird. Diese Art von Treatment zerstört kreative Musik, das Ergebnis ist für meine Ohren nicht zu ertragen. Als würde mir da jemand hunderte Male hintereinander immer an dieselbe Stelle am Kopf schlagen. Der letzte Track ist dann noch ein nichtssagendes symphonisch-ambientes Gewabere des LSO. Dem Label kann man nur raten, jetzt bitte ganz schnell das Album ohne Orchester und elektronisches Geplänkel nur mit dem Sound von Pharoah’s Tenorsaxofon rauszubringen. Ansonsten überlege ich mir ernsthaft, David Byrne wegen schwerer Verbrechen gegen die Musik zu verklagen. ;-)


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