Ich weiss gar nicht mehr, wo ich es las, aber jemand schrieb vor Tagen im Netz, dass sein Seminar an der Universität einst eine Reise nach Paris angetreten hatte. Einer der Dozenten hatte den Studenten zuvor einen Rat mit auf den Weg gegeben. Das Beste, was man in einer weltbekannten Stadt, ob Köln oder San Francisco, tun könne, sei es, nach Belieben zu mäandern und sich zu verlaufen! (bitte nicht leichtfertig nachahmen; es gibt no-go-areas in jeder Stadt, auch nach Corona 2023; Anm. d. Red.).
Er hatte im Grunde Recht. Als sie einfach nur umherschlenderten und die touristischen hot spots mieden, fanden sie eine ganz andere Wertschätzung für die Stadt, die nicht mehr bloss ein Widerhall der Reiseführer war. Etliches kam ihnen befremdlich vor, aber sie verstanden, zumindest intuitiv, etwas von der Dynamik und der Fszination geheimer Winkel. Vergessener Orte. Ein ähnliches Gefühl stellt sich ein, wenn man sich „Invisible Cities“ von „A Winged Victory For The Sullen“ anhört.
Die Kompositionen waren ursprünglich angelegt als Teil einer Show, mit Thester, Musik, Tanz, „Videos & Visuals“ – das volle Programm, und es ist dem Duo hoch anzurechnen, dass sie ein Werk geschaffen haben, das vollkommen autonom besteht, ohne jeden multimedialen Kontext. Alles ist inspiriert von Italo Calvinos Buch „Die Unsichtbaren Städte“, einer Reihe von fiktiven Gesprächen zwischen Kublai Khan und Marco Polo.
Khan fragt Polo nach Städten in seinem immer größer werdenden Reich, die er nie gesehen hat und nie sehen wird. Polos Antworten, poetisch, philosophisch, ausufernd, wirken wie Parabeln auf das Leben, die menschliche Natur – und die Lust am Unbekannten. Solch Unbekanntem begegnet auch der geneigte Hörer, der zuweilen erschrocken auffahren wird, und heilfroh ist, dass „A Winged Victory For The Sullen“ ihre alten Erik Satie-Obessionen endgültig überwunden haben und, neben purer Klangfantastik, auch der Verwirrung der Sinne, dem Schaudern, und der Verstörung Raum geben. Hinreissend, wie das, mit all den dunklen Schatten und Unheimlichkeiten, eine verdammt verführerische Angelegenheit bleibt! (In der Musik gibt es übrigens, liebe Redaktion, keine „no-go-areas“!)