Anlässlich der neuen LP habe ich am Wochenende das Gesamtwerk der Tindersticks – in umgekehrter Chronologie – durchgehört (abzüglich dreier experimenteller Installations- bzw. Filmmusik-Alben, die ich nicht besitze, Ypres (2014), Minute Bodies – The Intimate World of Percy F. Smith (2017) und Music for Claire Denis’ High Life (2018), das ich mir eben via Ebay bestellt habe.
Ich hatte vorab Bewertungen aller Alben aus dem Bauch notiert und wollte dann herausfinden, ob ich wirklich richtig lag. Ergebnis: Tatsächlich hatte ich mehrere Alben „nach oben“ zu korrigieren, speziell Across Six Leap Years, das ich zumeist links liegen gelassen hatte (und auch nur als CD-Kopie besitze), da ich die Neueinspielungen einer Auswahl von zehn, nach Bandmeinung zu wenig beachteter Songs, doch zu wenig „neu“ fand und finde. Diese Songs sind aber zumeist dennoch toll, einige großartig wie Say Goodbye to the City, Dying Slowly oder A Night In – nur braucht die neuen Einspielungen eigentlich niemand; sie sind weitgehend sehr eng an den älteren Versionen.
Das beste Album ist das unbetitelte zweite, landläufig „Tindersticks II“ oder „The Second Tindersticks Album“ genannt; das dritte, Curtains, und das erste, ebenfalls unbetitelte, sind aber fast ebenso herausragend. Das beste Album der zweiten Bandphase (mit 50% neuer Besetzung nach der fünfjährigen Pause 2003 bis 2008) ist wohl The Something Rain. Leider konnte ich mich bei keinem der späteren Album zu einer Wertung von mehr als vier Sternen hinreißen lassen; dazu, finde ich, haben sie einfach immer wieder doch diese recht „typischen“ melancholischen Tindersticks-Songs, die sich z.T. nicht signifikant von Album zu Album unterscheiden. In der ersten Phase ist/war das ein wenig „besser“, d.h. markanter.
Großartige Songs gibt es aber auf jedem Album, und auf ihrem besten Filmmusik-Album Les Salauds verbirgt sich mit ihrer sensationellen Neuinterpretation eines Hot Chocolate-Songs von 1977, Put Your Love In Me, ein unbekannter, sonst nirgendwo zu findender Geniestreich. Es sind vereinzelt ein paar weniger große Songs auf den Alben, vor allem auf denen der zweiten Bandphase, aber überall sind auch genügend brillante, so dass ich von keinem Album wirklich abraten könnte.
Mit dem neuen Album Distractions gibt es nun endlich wieder spürbare neue (Sound-)Ideen, und die Band verlässt, u.a. mit elektronischen Elementen, den ausgetretenen Pfad der vorigen Alben. Trotz einiger Höhepunkte sind The Waiting Room und No Treasure But Hope leider die beiden schwächsten (Studio-)Alben der Band. Selbst einige der Filmmusik-Alben sind spannender (Les Salauds, 35 Rhums, Trouble Every Day), und ich fand’s schade, dass sie nie die elektronischere Ästhetik von Les Salauds und Put Your Love In Me mehr auch für die Songalben eingesetzt hatten.
1993 – [First Untitled Album] *****
1995 – [Second Untitled Album] *****
1996 – Nénette et Boni (Soundtrack-Album) ***½
1997 – Curtains *****
1999 – Simple Pleasure ****½
2001 – Trouble Every Day ****
2001 – Can Our Love… ****
2003 – Waiting for the Moon ****
2002 – Vendredi Soir (Filmmusik, Dickon Hinchliffe solo) ***
2004 – L’Intrus (Filmmusik, Stuart Staples solo) ***½
2005 – Lucky Dog Recordings 03-04 (Staples solo) ***½
2006 – Leaving Songs (Staples solo) ***½
2018 – Arrhythmia (Staples solo), Seite 1 ****, Seite 2 ** – Gesamt: ***
2008 – 35 Rhums (Filmmusik) ****
2008 – The Hungry Saw ****
2009 – White Material (Filmmusik) ***½
2010 – Falling Down a Mountain ****
2011 – Claire Denis Film Scores 1996-2009 ****
2012 – The Something Rain ****
2013 – Les Salauds (Filmmusik) ****
2013 – Across Six Leap Years ***½
2016 – The Waiting Room ***½
2019 – No Treasure But Hope ***½
2021 – Distractions ****