Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2021 3 Jan.

Im Wald und im Gehäuse

von: Olaf Westfeld Filed under: Blog | TB | 7 Comments

Keine Ahnung, warum die drei schon deutlich älteren Damen für ihren Neujahrsspaziergang in feiner Kleidung ausgerechnet matschige Waldwege auswählten. Ich und die Hundelady haben sie jedenfalls nicht kommen sehen. Als die drei dann kurz vor uns sind, bleiben sie stehen, die erste schaut runter, hebt ihre Hände. Bevor ich reagieren kann, fasst meine kleine Begleiterin diese Geste als Aufforderung zum Spiel auf, springt an der Dame hoch und hinterläßt einen sehr exakten Abdruck ihrer Pfote in matschbraun auf der pastellblauen Hose. Ich ermahne streng und scharf und will mir die Hündin schnappen, beides wird von den Damen kommentiert: „Abstand bitte! Kommen Sie mir nicht zu nahe!“ und hämisch „Gut erzogen, ihr Hund!“ Ich leine wieder an, murmel eine Entschuldigung und suche das Weite.

Zu Hause dann Lust, „The Notwist“ zu hören. 12 Jahre ist es her, dass „The Devil, You + Me“ veröffentlicht wurde. Ich habe mir die CD damals sicher sofort gekauft; „Neon Golden“ war von  vielen ein Lieblingsalbum, von mir auch. Der Nachfolger von 2008 ist unauffälliger, aber nicht weniger rund. Insgesamt träumt das Album im mittleren Tempo vor sich hin, mal setzt der Beat aus, mal die Melodie, mal das elektronische Gefrickel, Geschmatze oder Geklöppel, doch fallen die Songs nie auseinander: Wie in einem Uhrwerk bewegen sich auf engstem Raum viele kleine Klänge und halten die Dinge zusammen und im Fluß, selbst wenn es den Anschein hat, als ob die Songs ins Nirgendwo mäandern. Nichts drängt sich auf, die Musik ist vielschichtig, detailliert, Distanz und Emotion, Tag und Nacht, Wachheit und Schlaf, Melodie und Geräusch sind genau austariert. Der Titelsong beginnt mit Tönen, die beim Einstimmen der Instrumente und Verstärker im Proberaum entstehen können, aus denen sich dann langsam eine Melodie entwickelt – akustische Gitarre, der vorsichtige Gesang von Markus Acher – dann bringen irgendwann, fast unbemerkt, zusätzliche Instrumente die Sterne am Songhimmel zum Funkeln. Und so schafft auch diese Platte einen anderen grünen Planeten, mit roten Wäldern, seltsamen Federvieh und unterschiedlichen Größenverhältnissen. Die drei Damen haben da keinen Platz, aber die Hündin liegt zufrieden auf ihrem Kissen.

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7 Comments

  1. ijb:

    Ich war Riesen-Fan von Notwist, als Shrink 1998 rauskam. Das wurde bald zu einem meiner drei „Top-Alben“ überhaupt. Deshalb konnte Neon Golden für mich nie den Zauber wiederholen. Ich war zwar auch beim Konzert der Tour zu Neon Golden, aber ich fand immer, dass sie Band auf Neon Golden eigentlich zu konventionelle Wege ging. Also schöne, melancholische Songs, die sich selbst ein bisschen zu sicher schienen, mit ein paar, etwas zu vorsichtigen elektronischen Feinheiten aufgehübscht. Nach wenigen Jahren habe ich Neon Golden dann sogar verkauft oder verschenkt. Viele Jahre später dann allerdings über Ebay (oder so) wieder gekauft. The Devil, You + Me hat mich stets wiederum mehr überzeugt als Neon Golden, und ich habe mich selbst oft gefragt, warum eigentlich, da es ja mehr oder weniger den gleichen Weg weitergeht. Womöglich wirkte es auf mich weniger angestrengt(?), souveräner. Jedenfalls ist es bis heute das Album, zu dem ich lieber zurückkehre. Danach erschien ja 2014 auch noch Close To The Glass, das ich ebenfalls toll finde; es ist spürbar „offener“, heterogener – und leider das letzte Album mit Martin Gretschmann. Ich befürchte, auf dem neuen Album werde ich seine seit Shrink essenziellen, auf subtile Weise disruptiven Beiträge zum Klangkosmos von Notwist sehr vermissen. Schon auf dem durchaus nicht schlechten Livealbum Superheroes, Ghostvillains + Stuff von 2016 war er nicht mehr dabei. Close To The Glass finde ich aber nach wie vor in weiten Teilen klasse.

    Einerseits bin ich gespannt, wohin es mit Notwist nun geht, nach der langen Pause und den vielen Seitenprojekten der letzten Jahre, die ich weitestgehend nicht kenne (vom Tied & Tickled Trio hat man ja auch seit 2011 nichts mehr gehört, oder? Ebenso ist 13&God längst passé), und ich habe die CD schon vor einiger Zeit bei meinem Stammhändler JPC vorbestellt – andererseits habe ich etwas „Angst“, dass ohne Gretschmann die Band zu sehr in erwartbaren Bahnen gleiten wird.

  2. Olaf Westfeld:

    Das mit der „Angst“ kann ich verstehen, der Gretschmann-Faktor ist vielleicht / hoffentlich auf die vielen Gäste verteilt, die an den Sessions mitgewirkt haben. Die Songs, die man schon hören konnte, gefielen mir alle sehr gut, so kam es überhaupt dazu, dass ich Notwist Alben wieder rausgekramt habe. „Shrink“ war damals richtig groß, lief im gesamten Freundeskreis rauf und runter und das Konzert, dass ich besuchen konnte, war großartig (meine CD ist allerdings verschwunden). Ich habe mir dann bei Erscheinen „Neon Golden“ gekauft und bin direkt zu einem Freund, um die Platte gemeinsam zu hören. Ich war hin und weg, verzaubert (bin beim ersten Hören sehr leicht zu begeistern), mein Freund fand es so ähnlich wie Du. ‚“Shrink“ mit viel heißer Luft angereichert‘ oder so war sein Kommentar. „The Devil“ hat dann bei mir mehr über die Langzeitwirkung funktioniert – aber gerade die beiden Alben finde ich toll. „Close To The Glass“ hat mich zunächst enttäuscht, ich erinnere kaum da viel von gehört zu haben. Beim kürzlichen Wiederhören war ich überrascht, wie gut ich das Album kenne und wie gut es mir gefällt. „Vertigo Days“ wird jedenfalls bestellt, wahrscheinlich auch bei jpc (und gemeinsam mit dem Fleet Foxes Album).

  3. ijb:

    Witzig: Auch ich habe Vertigo Days gemeinsam mit dem Fleet-Foxes-Album bestellt.

    Geht mir ähnlich mit The Devil…

  4. Lorenz:

    Ich mag die instrumentale CD „Messier Objects“ auch sehr. Oft nur Miniaturen, die auch auf einem Eno Album hätten sein können.

  5. Olaf Westfeld:

    Messier Objects (und auch dieses Live Album) habe ich nie gehört. Lohnt sich?! Höre ich mal rein, wenn es mir vor die Füße fällt.

  6. ijb:

    Ich finde „Messier Objects“ auch eine schöne Ergänzung zum „Hauptwerk“ der Band, finde die CD letztlich auch besser als andere Soundtrack-Alben von Notwist, die außerhalb der jeweiligen Filme nicht so bestehen können (finde ich). Wirklich großartig ist auf „Messier Objects“ ein knapp viertelstündiges Stück, das allein schon den Kauf der CD lohnt. Die findet man übrigens oft auch für ganz kleines Geld. Ich hab sie für 3 Euro oder so von der Webseite des Vertriebs (anost) gekauft – wie auch andere Cd von Tied & Tickled Trio. Dort findet man immer sehr viele günstige Angebote. Und da ich in der Stadt wohne, kann ich die Platten/CDs sogar persönlich abholen und spare die Versandkosten und das Verpackungsmaterial.

    Das Live-Album ist wahrscheinlich eher für Fans. Es hat eher so ein „klassisches“ Indie-Rock-Feeling, fast eher wie „12“, falls du das kennst, das Album vor der Gretschmann-Phase, das noch deutlicher im 90er-Indie-Rock verankert ist. Dahin ging es mit dem Live-Album etwas zurück, die Stücke schlanker und eher rockiger, weniger feingliedrig als auf den Studioalben. Als Live-Album hat es mich allerdings besser unterhalten als das Live-Projekt, das Notwist mit dem Andromeda-Ensemble (oder wie immer das hieß) als DVD/CD veröffentlicht haben. Ich sag mal so: Braucht man nicht, aber wenn man ein gutes Konzertdokument vor allem der „Hits“ von „Neon Golden“ und „The Devil, You + Me“ haben möchte und es günstig findet, ist es kein Schaden. :-)

  7. Michael Engelbrecht:

    Wunderbar die Geschichte mit der Hündin.

    Sacnho war unser, ein schlecht erzogener Strassenhund, der damals mit vier Jahren und vierzig andern Cockern nach D geflogen wurde. Ich konnte mit ihm abwechseln Wolfheulen machen. Er imitierte meine immer längeren Gesangslinien, a al uhhhhuuuuuuuiiiiii und er modulierte exakt gleich, auch die gleiche Länge. Das ging so fünf Minuten lang, kurz, lang, immer call ans response. Es war herzerweichend. Und einmal ein richtiges kleines Lassie-Abenteuer mit ihm auf Rügen. Ich habe Rotz und Wasser geweint, als er eingeschläfert werden musste.


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