Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

Wer in North Dakota neben der Stelle, wo die nördlichen Eisenbahnschienen am Missouri entlangführen, unter einer Gruppe alter Amerikanischer Ulmen direkt auf die ersten Berge von Montana blickt und ein Loch gräbt, kann einen Eimer mit folgenden Gegenständen entdecken:

 

eine versilberte Blumenvase

ein Vergrößerungsglas

ein paar hellblaue Lockenwickler

einen Stapel von Schwarzweißfotografien mit Urlaubsfotos von den Pyramiden und anderen exotischen Plätzen von Übersee

eine Packung Camel mit Filter

ein Feuerzeug

einen Pfefferstreuer

eine bunte, handgroße Stoffpuppe

 

Würde ein archäologisch geschulter Zeitreisender aus einer fernen Zukunft versuchen, diese Gegenstände historisch zu verorten, würde er feststellen, dass die Fotografien einige Jahrzehnte älter sind als die Lockenwickler. Verschiedene Messtechniken sowie weitere Recherchen führen zu einer vermuteten Eingrabungszeit Mitte bis Ende der 1950er Jahre. Oder 1960. Korrekt wäre 1959.

 

He buried some of our things in a bucket. He said nobody else would know where we´d put them, that we´d come back and they´d still be here, just the same, but we´d be different. And if we never got back, somebody might dig them up a thousand years from now and would wonder.”

 

Charakteristisch für die Filme von Terrence Malick ist die Stimme aus dem Off, die den Film aus eigener Perspektive erzählt oder kommentiert und dadurch eine weitere Ebene über die Bilder legt. In Badlands ist es die Schülerin Holly, die spricht. Wundert man sich irgendwann darüber, dass Hollys Stimme in Anbetracht der sich überstürzenden Ereignisse von einer gewissen Lethargie geprägt ist, spürt man die Risse, die diesen Film prägen. Die Frau, die den Film erzählt, ist einige Jahre älter als der Teenager, der sich ins Geschehen treiben lässt. Doch warum wird die Geschichte trotzdem aus einer solchen Distanz und wie ohne innere Beteiligung erzählt? Diese innere Leere hat viele, auch politische Gründe, denn die Möglichkeiten für junge Frauen in dieser Zeit waren sehr begrenzt und begrenzend. Während Holly von der Szene erzählt, in der ihr älterer Freund Kit (und nicht etwa beide gemeinsam) ein paar Dinge (auch ihre!) vergräbt, spüren wir, dass Holly und Kit höchstwahrscheinlich niemals gemeinsam die Dinge, die Kit hier vergraben hat, ausbuddeln werden.

 

Gegenstände gemeinsamer Wertschätzung zu vergraben, scheint ein beliebtes Ritual US-amerikanischer Teenager und junger Erwachsener zu sein. Es geht hier darum, ein Geheimnis zu schaffen und zu bewahren. Auch in der von einigen Manas hochgeschätzten Serie LOST gibt es eine solche Szene. In einem Rückblick vergräbt die junge Kate eines Nachts mit ihrem Freund ein paar Schätze, darunter ein kleines Flugzeug. (Falls jemand weiß, in welcher Season und welcher Episode dies vorkommt, würde ich mich über einen Hinweis freuen.) In einem weiten Land, in dem nicht jeder Quadratmeter eine fest gelegte Funktion hat wie bei uns, ist das Vergraben kleiner oder großer Schätze aufregender als hierzulande.

 

Dennoch, was würde ich jetzt, rasch und heute in eine unverwüstliche Schatztruhe als eine Art Jahresbestenliste 2020 für die archäologisch ambitionierte Nachwelt packen?

 

einen Stein von der Ostsee, der auf eine Art vom Salz und den Wellen bearbeitet wurde, dass er aussieht wie ein Kopf mit einer nach oben hin schmal werdenden Stirn, zwei in etwas versetzter Höhe liegenden Augen und einem Mund, der mit viel Fantasie alle 32 Zähne zeigt und in den man verschiedene Stimmungsausdrücke hineininterpretieren kann

den Gedichtband Angle of Yaw von Ben Lerner

einen Jonglierball

die Verpackung von 500 g Singbulli Darjeeling second flush (aber ohne den Tee, der würde nicht so lange halten)

die CD Trip von Lambchop

den Film Badlands von Terrence Malick

 

This entry was posted on Samstag, 26. Dezember 2020 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

9 Comments

  1. Olaf Westfeld:

    Viele Assoziationen, die dieser tolle Text auslöst – manchmal begraben Menschen Dinge, um Sie zu bewahren und zu erinnern, manchmal auch, um Sie los zu werden und los zu lassen, oder?

    Bücher von Ben Lerner hatte ich mehrmals in Buchläden in der Hand, sie aber immer stehen gelassen, die To The Wonder DVD liegt hier seit 8 Wochen angeschaut rum. Badlands, Days Of Heaven und The Thin Red Line waren toll, den Rest habe ich nicht gesehen.

  2. Martina Weber:

    Ja, das Vergraben kann sogar etwas Therapeutisches haben. (Hab ich aber nie ausprobiert.) Interessant finde ich, wie Terrence Malick in seinen Filmen Motive immer wieder aufnimmt. In „Days of Heaven“ tauchen gegen Ende des Films, als die Fliehenden auf einem Boot unterwegs sind, am Rand des Flusses Menschen auf, die etwas vergraben, und die junge Frau, die den Film miterzählt, weist auch darauf hin. „The thin red line“ – da zögere ich noch, ob ich ihn ansehen soll.
    „Song to Song“ kann ich auch empfehlen, habe hier auf dem Blog etwas dazu geschrieben, findest du bei Interesse über die Suchfunktion.
    „To the wonder“: Wahrscheinlich meinst du, der Film liegt unangeschaut rum. Ich finde diesen Film von allen Malickfilmen, die ich bisher gesehen, habe, von der Story her am schwächsten und wirklich kitschig und enttäuschend. Malicks Stärke liegt nicht im Plot, sondern im Umgang mit der Planlosigkeit.
    „knight of cups“ hat mir auch gefallen, tolle Bilder und Kameraführung.

    Hätte nicht gedacht, dass es Ben Lerner im Präsenzregal in Buchläden gibt. Ich habe den Band „NO ART“ hier, der alle bisherigen Gedichtbände und neue Gedichte enthält. Die Gedichte haben etwas Kalkuliertes, sie sind aber sehr sophisticated und begeistern mich. Vor allem die aus Angle of Yaw. Meine Übersetzung eines der Gedichte aus dem Band erscheint im März im „Jahrbuch der Lyrik“ bei Schöffling & Co.

  3. Martina Weber:

    Ben Lerner hat auch einige Romane publiziert, die ins Deutsche übersetzt wurden, vermutlich hast du diese in Buchhandlungen gesehen.

  4. Olaf Westfeld:

    Genau, unangeschaut ist richtig. Bei den Malick Filmen haben mich die Bilder und das Atmosphärische angesprochen, Handlung ist vielleicht nicht so sein Ding … die Bilder erinnere ich auch zum Teil noch.

    Ben Lerner habe ich in der Tat in englischsprachigen Buchhandlungen in der Hand gehabt, es war wohl „10:04“, wusste gar nicht, dass er auch Gedichte schreibt.
    Und was ist mit dem Jonglierball?

  5. Martina Weber:

    Ben Lerner hat mehrere Romane publiziert. Ich habe „Leaving The Atocha Station“ gelesen und seinen Essay „Why I hate Poetry“. Ich finde seine Lyrik aber interessanter.

    Der Jonglierball: Vor ein paar Wochen hat mir eine Freundin ganz begeistert davon geschrieben, dass sie sich Jonglierbälle gekauft hat und angefangen hat zu jonglieren und welche positiven gesundheitlichen Auswirkungen das hat, dass es vor allem die rechte mit der linken Gehirnhälfte verbindet, also die Kreativität ankurbelt. Ich habe erst ein bisschen gezögert und mir dann auch so ein Jonglierballset gekauft. Ich bin aber noch ganz am Anfang und mein Ehrgeiz hält sich in Grenzen. Ich kriege es gerade mal hin, einen einzigen Ball in der im Beiheft beschriebenen Achterlinie abwechselnd mit einer Hand hochzuwerfen und mit der anderen aufzufangen und gleich wieder hochzuwerfen. Da ich also ganz sicher keine fünf Jonglierbälle für die Zukunft benötige, habe ich beschlossen, einen davon in die „unverwüstliche Schatztruhe“ (Zitat von Michael aus seiner Sendung) zu packen. Falls mein Können für eine kleine Zirkuseinlage beim nächsten Manatreffen reicht, bringe ich die Bälle mit. Das wären dann aber maximal vier :)

  6. Olaf Westfeld:

    Übst Du mit dem Rehoruli (oder so ähnlich) Buch? Das kann ich empfehlen.
    Ich habe ungefähr zwei Jahre gebraucht, mit drei Bällen zu jonglieren. Allerdings hatte ich es nach ca. 2 Monaten, in denen ich recht viel geübt habe, geschafft, drei Bälle hoch zu halten, allerdings musste ich vor einer Wand stehen, die ich als „Bande“ benutzt habe, so dass keiner nach Vorne wegfliegen konnte. Diese Hilfestellung habe ich dann noch etwas länger gebraucht, irgendwann hat es auch ohne funktioniert. Mittlerweile kann ich vier Bälle einigermaßen in der Luft halten (na, wenn es gut läuft 30 Sekunden oder so), mit fünf Bällen ist aber viel zu schwierig – insofern könnte ich auch noch einen vergraben…

  7. Martina Weber:

    Ich würde es nicht als Üben bezeichnen, ich habe bisher nur insgesamt maximal eine halbe Stunde bis Stunde herumprobiert. Definitiv bist du die richtige Person für die Zirkusnummer auf dem nächsten Manatreffen.
    Ich habe bei meinen mageren Anfängen bisher eine dünne Broschüre verwendet, die mit den Jonglierbällen mitgeliefert wurde.
    Danke für den Buchtipp. Habe das Buch gefunden.

    Hier ist der Link, den mir die Jonglierfreundin geschickt hat, übrigens mit Stephan Ehlers, also dem Autor des von dir empfohlenen Buches (etwas runterscrollen; relevant sind die Videos 01 bis 34, wo Ehlers ein schwarzes Hemd trägt) …

  8. Keyboardcoaching Berlin:

    Happy New Year!
    Ich will mich keineswegs als deutscher Besserwisser aufspielen, aber mir ist schon ein paar Mal aufgefallen, dass du statt eines Apostrophs gerne einen Akzent über einem Leerzeichen tippst. (Gelegentlich habe ich das schon korrigiert.) Ich habe sprachsensible Mitbürger/innen da manches Mal den Aufschrei „Das ist Akzentmissbrauch!“ (wahlweise auch Akzentquälerei) formulieren erlebt.

    Davon abgesehen, dass es ja etwas umständlich zu tippen ist (wenn danach ein akzentfähiger Buchstabe folgt, muss man je erst ein Leerzeichen einfügen – und man merkt das ja auch, da beim Tippen erst eine Markierung erscheint, die auf den Buchstaben zum Akzent wartet), sieht es auch immer etwas ungelenk aus (für mich vergleichbar damit, wenn Leute zusammengesetzte Worte mit vielen unpassenden Leerzeichen auffüllen, wie etwa bei Hanns – Martin – Schleyer – Halle oder Bürgermeister – Fischer – Straße). Und in diesem Fall hast du obendrein den Nachteil, dass sich dein Wort („we’d“) beim Zeilenumbruch unglücklich zersetzt.

    Wenn du aber bei statt they´d und we´d einen Apostroph (they’d / we’d) tippst, der hier ja korrekterweise auch hingehört, hast du den Vorteil, dass es nicht nur flüssiger aussieht, sondern auch, dass das Wort nicht beim Zeilenumbruch aufgelöst wird.

    Hier noch ein kleiner Link dazu:
    Ein Akzent ist kein Apostroph.

  9. Martina Weber:

    Hallo „Keyboardcoaching“, da du geschrieben hast, dass du die beschriebenen Unkorrektheiten von mir bereits mehrfach korrigiert hast, hast du Zugang zu unserem WordPress und es kann sich bei dir nur um ijb handeln, zumal die Art der Sprachverwendung typisch für ijb ist.

    Ich lese deinen Kommentar erst heute, daher die späte Reaktion. Vielen Dank für deine Erläuterungen! Ich muss zugeben, ich nehme zum ersten Mal die Apostrophtaste über dem # wahr. Ich bin echt baff. I’ll use it more often.


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