Man kann es nachschlagen, man kann darüber lesen, aber am besten ist es natürlich, man wird es selber. Meister. Wir sind im Terrain der Kindheitserinnerungen, leicht zu verzerren durch die Filter des Unterbewussten, Ausschmückung, Übertreibung. Der meist gesagte Satz eines Philosophen, in meiner Nachtsendung, stammt von Gaston Bachelard: „Die Räume der Kindheit müssen ihre Dämmerung behalten.“ Für dieses Spiel brauchte ich keine Dämmerung, aber wenn es eine gebraucht hätte, dann bitte mit Flutlicht!
Nun, ich kann die Erinnerung nachstellen, ein Wochenende, ein Nachmittag, Berliner Strasse Nr. 2. Ich sitze auf der Couch. Bei der Oma in Essen-Frohnhausen. Als wäre es heute, kann ich in den Körper des Kindes huschen, der hochspringt, als Hoppy Kurrat das 1:0 schiesst. Der kleine quirlige Verteidiger, mit einem satten Schuss. Köln war der klare Favorit bei diesem letzten Endspiel um die Meisterschaft, vor Einführung der Bundesliga. Aber dann kam Hoppy. Der erste Hobbit. 3:1 hiess es am Ende. Für Borussia Dortmund. Hier ein Nachbericht. Das alte Schwarzweiss. Der nüchterne Tonfall. Der Rausch. Wer hat das Spiel eigentlich live kommentiert? Ich glaube, es war der wunderbare Ernst Huberty (der stets etwas Leichtes, Elegantes hatte).
Ungefähr ein Jahr früher war der Twist in der Bundesrepublik angekommen. „Im Mittelalter nannte man es die Tanzwut“, schrieb das amerikanische Time-Magazin. „Die Zeiten waren voller Seuchen und Kriege, so daß die Leute ihren Gram in wilden Tänzen abzuschütteln suchten. Und sie tanzten zu Tausenden, bis sie umfielen.“ Nun, ich erinnere mich gut an meine kurze Twist-Phase, im Sommer 62, als ich wegen meines Asthmas sechs Wochen nach Norderney kam. Es war nicht der ideale Einstieg in die Welt der friesischen Inseln, und ich bin – kindliche Entschlusshärte – nie wieder nach Norderney übergesetzt. Die Nonnen führten ein strenges Regiment in diesen Kinderheimen. Aber abends, in den grossen Zimmern, probten wir den Aufstand, tanzten den Twist. Wer erwischt wurde, landete bei Milchsuppe und Hausarrest. Im Sommer darauf wurde ich zum ersten Mal Meister. Im Fernsehen lief „Am Fuss der blauen Berge“. 1965 kaufte ich meine erste Single, wieder ein Rausch. Der Wahnsinn, die A-Seite. Chuck Berry kannte ich gar nicht. Ich war 10 und beendete meine kurze Karriere als Messdiener.