Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 27 Nov

„Felder. Ränder. Umgebungen.“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 3 Comments

 

 

 

 

Ich nahm eine Schlaftablette, las ein paar Seiten in dem Justizthriller „The Holdout“ und holte mir gute fünf Stunden Schlaf. Um viertel vor fünf setzte ich mich in meinen Toyota und raste in den Norden, durch stockfinstere Nacht, kurzen wilden Regen, eine Bilderbuchmorgendämmerung, und einen in Pastell verweilenden Farbrausch angefrorener Felder. Ich hielt nur kurz an einer Tankstelle, und sass bald im blauen Autozug, von Niebüll nach Sylt. Während der Autofahrt war ich in einem seltsamen „flow“, mit allerlei Gedankenzirkus. Vor und hinter Hamburg dachte ich an die Story um mein verpasstes Hamburger Keith Jarrett-Konzert in den Siebziger Jahren (echt der Knaller – ich war so doof, hätte einfach spüren müssen, dass Katrin überhaupt nicht verliebt war), ich dachte an Jan und seine Gang, wie sie wohl damals, 1975, in der Fabrik Terje Rypdal erlebten. Ich dachte an die drei Fragen zu „Music for Films“ und „Film Music (1976-2020)“, die ich Brian Eno morgen schicken werde, von Küste zu Küste, von Westerland nach Norfolk (es fehlt noch etwas mehr als der letzte Schliff) – und dass ich selten soviel Drumherum um ein paar Fragen gewickelt habe, sogar Fussnoten. Ich dachte an einen Song von Matt Berninger, den ich in den „Klanghorizonten“ spielen werde. Bei den gefrosteten Feldern dachte ich an zwei, drei Lyrikbände von Jürgen Becker, der darin so viel Hinterlandforschung betrieb. Auf der Insel hatte ich sehr freundliches, ja herzliches,  Wiedersehen mit der Herrin des „Rosenhauses“ (sie ist ganz begeistert von „The Queen’s Gambit“), und dann lief mir auch noch der Kauz aus der „Sansibar“ entgegen („Mein Jahr in der Sansibar“ – heisst so nicht der launige Schmöker eines Österreichers?) Später tauschten L. und ich den Inselgruss aus – sie fragte mich: Triffst du Theodor Storm? (Hatte sie schon diese Fotos gesehen, und nach dem Schimmelreiter geschaut?) Und ich antwortete: Emil Nolde.

 

 


Automatic Deep L translation for Steve T. , Brian W, and Ian McC:
I took a sleeping pill, read a few pages in the justice thriller „The Holdout“ and got a good five hours sleep. At a quarter to five I sat down in my Toyota and raced north – starting in Dortmund – through pitch black night, short wild rains, a picture book dawn, and a pastel color frenzy of frozen fields. I stopped only briefly at a gas station, and soon I was sitting in the blue car train, from Niebüll to Sylt. During the car trip I was in a strange „flow“, with all kinds of circus of thoughts. Before and after Hamburg, I thought of the story about my missed Hamburg Keith Jarrett concert in the seventies (it was a real blast – I was so stupid, I should have just felt that Katrin wasn’t in love at all), I thought of Jan and his gang, as they probably experienced back then, in 1975, that Terje Rypdal concert at „Die Fabrik“. I thought of the three questions on „Music for Films“ and „Film Music (1976-2020)“ that I’m going to send Brian Eno tomorrow, from coast to coast, from Westerland to Norfolk (there’s still a bit more missing than the finishing touches) – and that I rarely wrapped so much around a few questions, even footnotes. I thought of a song by Matt Berninger that I will play in the „Klanghorizonten“. With the frosted fields I thought of two or three volumes of poetry by Jürgen Becker, who did so much hinterland research in them. On the island I had a very friendly, even cordial encounter with the mistress of the „Rose House“ (she is quite enthusiastic about „The Queen’s Gambit“), and later on,  the old man from the „Zanzibar“ („My Year in Zanzibar“ – isn’t that the name of an Austrian’s witty book?). Later, L. and I exchanged the island greeting – she asked me: Will you meet Theodor Storm? (Had she already seen these photos and looked for the grey rider?) And I answered: Emil Nolde.

 

 

 

This entry was posted on Freitag, 27. November 2020 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

3 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Eigentlich wollte ich mal alle Nachrichten für eine Woche aussen vor lassen. Habe schon mal die breaking news von der NYT geblockt, und mich ein wenig ausgeklinkt aus dem täglichen Nachrichtenhorror. Aber dann kam die Herrin des Rosenhauses und erzählte mir en passant beim Frühstück, dass gestern fünf Stunden lang, ganz hier in der Nähe, ein Dorf weiter auf Sylt, ein Räumkommando und grosses Polizeiaufgebot, ein Haus auf den Kopf stellten. Ein 15-Jähriger hat Zutaten für Sprengstoff aus diversen Quellen bestellt. Hätte ein Händler keine Meldung genmacht, wäre Gottweisswas passiert. Denn das war keine geringe Menge für einen dummen Unfug für Sylvester.

    Der kleine Irrsinn spiegelt sich im grossen: Trump lässt per Gesetz die Tötungsmethoden für Zum Tode Verurteilte erweitern und will dann mal passend zu Weihnachten ein weiteres zynisches Exempel statuieren für seine Rednecks im Lande. Hoffentlich warten die Anwälte schon, wenn der Irre das Office verlässt und sich auch wieder um sein reales Leben – neben dem irrealen – kümmern muss.

    Die Gäste des Rosenhauses lassen gerne Bücher zurück: da fand ich gestern, kein Witz, den noch neuen Krimi SYLTER LÜGEN über einen gefälschten Chagall, der in einer Galerie der Insel auftauchte. Eine Undercover-Frau soll vor Ort ermitteln.

    Naja, Chagall, ich bin da nicht so kundig. Wäre ein Fall für Lajla😉

  2. Martina Weber:

    Welche vielfältigen Gedanken und Assoziationen so ein paar Stunden Autofahrt und eine Ankunft mit sich bringen. Jede Person würde diese Reise anders in Worte fassen. Ich habe in diesen Tagen für einen Verlag ein Manuskript einer jungen Autorin gelesen, in dem viele Reisestationen eingearbeitet sind, genaue Beobachtungen der Umgebung, der Natur. Der Blick der Autorin hat mich erfrischt, auch wenn ich alles ganz anders wahrgenommen hätte. Wahrscheinlich gerade deshalb.

  3. Michael Engelbrecht:

    Witzigerweise war Steve Tibbetts auch mal hier auf der Insel, früh in den Achtzigern, Martina, nach einem Münchenaufenthalt bei ECM und den Aufnahmen von NORTHERN SONG. Er besuchte einen Freund. Ich habe hier keinen Freund, dafür kenne ich ich ein paar liebenswwürdige Menschen, und manchmal komme ich mit Fremden ins Gespräch.

    Heute der erste Advent. Flüchtige, ferne Kindheit, und die Herrin des Rosenhauses erzählte mir von ihrer Nachtwanderung mit Kumpelfrau, – „nur schlappe 15 Kilometer“, sagte sie – und reichte mir zwei frische warme Waffeln mit Spekulatiusgewürz zum Frühstück.

    Musikalisches Highlight bisher: in der Infrarotkabine sitzen, und an zwei Tagen Rypdals Album DESCENDRE zu erleben, pro Tag eine der beiden Seiten (in Vinyl gedacht). Heute Nacht nur wenig Schlaf wegen Vollmond. Haben hier einige Insulaner, monddurchwachte Nächte.


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