Ich arbeite an einer Schule, auf der jede 12. Klasse ein Theaterstück einübt, fast immer gemeinsam mit den Klassenbetreuern. In diesem Jahr waren zwei Kollegen und ich an der Reihe, heute sollte die erste Aufführung sein. Rückblickend etwas naiv haben wir die Problematik des Termines nicht früh genug erkannt.
Anfang des Monats ging es dementsprechend turbulent zu. In Angesicht der Einschränkungen entschlossen wir uns, das Stück innerhalb einer Arbeitswoche auf die Bühne zu bringen. Obwohl wir seit Anfang September mit Proben beschäftigt waren, würden die Aufführungen unfertig sein: nicht alle konnten ohne Textbuch spielen, nicht alle Ideen konnten umgesetzt werden – es war ein ziemlicher Kraftakt. Doch die Jugendlichen waren sehr motiviert, wir verbrachten sehr viel Zeit in der Schule und hatten dabei tolle Begegnungen.
Dann kam einen Tag vor der Aufführung die Nachricht, dass wir den ersten Corona-Fall an der Schule hatten. Die Anzahl der Schülerschaft und des Kollegiums ist eher niedrig, es gibt viele Verbindungen zwischen den Klassen, so dass einem Virus gute Vermehrungsbedingungen geboten werden. Unter anderem musste einer der beiden Lehrer, die mit mir die Klasse durch das Stück begleitet haben, in Quarantäne.
Was tun? Den intensiven kreativen Prozess kurz vor der Ziellinie abbrechen? Weiter machen? Letzteres wäre eine Option gewesen, das Gesundheitsamt hatte uns die Aufführung nicht untersagt. Zudem hatten wir einen einen sehr strengen Hygieneplan erstellt: sehr wenige Zuschauer mit sehr viel Abstand, feste Wege, strenge Lüftungszeiten, usw.
Trotzdem wählten wir einen Mittelweg: Vorstellungen ohne Zuschauer, dafür mit einer Kamera. Ziemlich hart, Eltern mitzuteilen, dass sie ihre Kinder nicht auf der Bühne sehen dürfen. Ziemlich hart bestimmt auch, die Nachricht entgegen zu nehmen. Die meisten Reaktionen waren verständnisvoll, wenn auch traurig, doch es gab auch Unverständnis und Wut. Einerseits: wie können Sie so etwas machen, 30 Jugendliche in einer Sporthalle, unverantwortlich, wir informieren das Gesundheitsamt, etc. Andererseits: wie können Sie so etwas machen, vor den Autoritäten einknicken, pädagogisch fragwürde Entscheidung, kein Mut, Selbstzensur, etc.
Die Jugendlichen nahmen das alles relativ gelassen auf, haben sich den Hintern aufgerissen, ein bestmögliches Ergebnis auf die Bühne zu bringen, sind größtenteils über sich hinausgewachsen, haben sich gegenseitig unterstützt, so dass das Gemeinschaftsgefühl nun deutlich enger ist. Die Armen durften anschließend noch nicht einmal ordentlich feiern.
Zwei Wochen später ist keiner erkrankt, eine Sorge, die mich während der Proben durchgehend begleitet hat. Ganz erholt habe ich mich noch nicht, die Frage, ob es sich gelohnt hat, verfolgt mich mehr als in den Jahren zuvor – wir bekommen immer noch Nachrichten, die unsere Entscheidung, ohne Zuschauer aufzuführen, kritisieren. Komische Zeiten.