Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 19 Okt

My four favourite archival discoveries 2020

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 18 Comments

1. Jon Hassell: Vernal Equinox

2. Various Artists: From Brussels with Love 

3. Brian Eno: Film Music 1976-2020

4. Neil Young: Homegrown

 

 

 

 

Damals, 1980, war das, was das Label Crepuscule, und überhaupt in Brüssel ans Tageslicht gelockt wurde, ganz und gar erstaunlich. Ob wir der Stimme von Jeanne Moreau lauschten, Brian Enos verzweigtem Monolog in elektronischem Ambiente, oder Pionieren der Factory-Szene Manchesters: stets fand sich noch eine weitere Abzweigung, ein anderes Gewebe aus europäischem Minimalismus, Wo-bin-ich-Musik, und der Radikalkunst, die unter unförmigen Etiketten wie Post-Punk oder New Wave schubladisiert wurde. Macht nichts, sagten sich Macher, Zeitzeugen, und Archäologen, und setzten nun diesem einmaligen Dokument ein definitives Statement, in dem sie einfach weiter gruben, weiter horchten, weiter den Staub alter Kassetten abschüttelten, und das opus magnum aus Brüssel mit neuen, alten, unerhörten Klängen anreicherten. Und einem  tollen Büchlein.

 

Back then, in 1980, what the Crepuscule label, and Brussels’ uplifting underground,  brought to light was absolutely amazing. Whether we listened to Jeanne Moreau’s voice, Brian Eno’s ramified monologue in an electronic ambience, or pioneers of Manchester’s factory scene, there was always another branch, another fabric of European minimalism, where-am-i-music, and radical art pigeonholed under shapeless labels like post-punk or new wave. Never mind, said the makers, contemporary witnesses and archaeologists, and now they made a definitive statement to this unique document, in which they simply continued to dig, continued to listen, continued to shake off the dust of old tapes, and enriched the opus magnum from Brussels with new, old, outrageous sounds. And a great booklet.

 

Bisher schrieb ich nur eine „preview“ zu dieser Compilation, gestern hörte ich sie zum ersten Mal, warf absichtlich keinen Blick auf die „tracklist“ – und siehe da, die Kunst eines genialen „sequencing“: es machte gar nichts, das mir einige Eno-Stücke  so urvertraut waren, andere seltsam unbekannt. Diese Mischung ist so perfekt geraten, dass man Altes mit neuen Ohren und Neues mit alten Ohren hören kann. Herrlich heterogen, und doch eine einzige Handschrift, erzählt diese „Filmmusik“ einen vollkommen neuen Film. Einen jener „Filme“, bei denen nicht mal Bilder im Kopf entstehen müssen, und deren Narrativ sich vorwiegend sprachlos entfaltet. Film Music: 1076 – 2020 is a wonderful album, and a great example of how good a compilation album can be when care is taken and thought is given to the collection.

 

Kaum jemand ausser Neil Young und David Briggs wird  dieses Album gekannt haben, als es in der Mitte der Siebziger Jahre als „zu privat“ abgelegt wurde. Jetzt tauchte es auf einmal auf, aus seinem immensen Archiv. „This is  folkie Neil on the way to the ditch, sharing the introspective qualities of On The Beach with the vérité nakedness of Tonight’s The Night.“  Bei der einen und anderen social distancing Party, zwischen den Lockdowns, hängte ich zwei kleine Boom-Boxen in den grossen Apfelbaum hier, und dann wollten es alle noch einmal hören, und noch einmal. Irgendwie „homegrown“.

 

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18 Comments

  1. ijb:

    Ahh, jetzt! Hätte mich doch echt erstaunt, wenn es wirklich mal eine Jahreshitliste ohne Eno unter den ersten drei gegeben hätte. :-) [Hm, wie macht ihr eigentlich immer diese Smilies/Emojis? Ich krieg das nicht hin.]

    Apropos Homegrown – letztens schickte ich deine Neil-Young-Top12 an meinen Freund Ben weiter, der mich fragte, ob ich „Rust Never Sleeps“ hätte. Da tauschten wir uns über die Guardian-Rangliste aus, und ich frug mich, an welcher Position du eigentlich Homegrown einordnen würdest, da sie unter den ersten 12 ja nicht war/ist. Aber vielleicht noch zu früh für eine Einordnung … da du mit den anderen Alben ja z.T. schon viele Jahrzehnte verbracht hast.

  2. Michael Engelbrecht:

    Easy peasy: No. 20, and four stars.

    Ist ja nichts in Stein gemeisselt.

    Bei No.12 bis No.19 heissen einige der Alben Le Noise (13) , Everybody Knows This Is Nowhere (14) , und Re-Ac-Tor (19) 😅

    Bin gespannt auf deine Liste. Kommt ja wegen deines defekten CD Players vielleicht erst nach Weihnachten 🎧

  3. ijb:

    Ich habe einen antiken CD-Spieler bei Ebay ersteigert. Er sieht aus wie aus den 80ern. Ist er vielleicht auch. Bin gespannt…
    Meine Liste hat nach aktuellem Stand gerade mal zweieinhalb Überschneidungen mit deiner. Aber ich habe auch noch keine richtige Liste, nur eine Seite im Notizbuch, wo ich alle Alben reinschreibe, die potenziell überhaupt für eine Liste in Frage kommen. Manchen von deiner Liste habe ich tatsächlich gar keine Aufmerksamkeit geschenkt, hatte z.B. keine rechte Lust auf Bang/Aarset, auf I.W.Craig, Rustin Man oder Callahans neue CD. Die Wilde Jagd konnte mich nach dem ersten faszinierten Hören bald so gelangweilt, dass ich die Platte wieder entsorgt habe. Das vorhergehende Album finde ich sehr viel besser. Hassells neue LP konnte mich bislang auch leider nicht recht begeistern (ich warte und hoffe noch, manchmal passiert’s eben auch erst ein Jahr später) – obgleich ich sein Gesamtwerk doch sehr verehre. Noch besorgen will ich mir allerdings Navarro & Holmes und Afel Bocoum.

    Ganz aktuelle neue Kandidaten für meine Rückblickliste sind hingegen eine Wiener Rockband mit einer eigenartig apart singenden Frontfrau
    https://www.plattentests.de/rezi.php?show=17243
    eine kolumbianische Clubmusik-Elektronikerin mit vorsichtigem Hang zum Pop-Appeal https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/album-der-woche-ela-minus-acts-of-rebellion-100.html
    und ein Soloalbum einer georgischen Pianistin, die diesmal einen famosen Bogen von Morricone, Villa-Lobos und Bach über Ligeti und Gainsbourg, Pärt, Glass bis hin zu Cages 4’33“ schlägt:
    https://theclassicreview.com/album-reviews/double-review-khatia-buniatishvili-labyrinth-bertrand-chamayou-good-night

  4. Michael Engelbrecht:

    Vive la difference!

    Ich bin weiter bei der Wilden Jagd dabei, wunderbare Musik.

  5. ijb:

    Everybody Knows This Is Nowhere und Re-Ac-Tor gehören zu den wenigen Alben von Neil, die meinen Ohren noch fehlen. Aber Le Noise zählt auch zu meinen Favoriten, ebenso wie die deinerseits ausgesparten Sleeps With Angels, Living With War (beide Versionen) und Mirror Ball (letzteres wahrscheinlich eher aus Gründen). Ach ja, und natürlich Weld.

  6. Michael Engelbrecht:

    Ah, sleeps with angels ist immerhin meine no. 16, viereinhalb Sterne. Ich weiss noch, wie gut mir Konrad Heidkamps Besprechung in der ZEIT gefiel.

    Mit Engeln schlafen, ein gutes Stichwort.

    Good night, and keep your spirits high!

  7. ijb:

    Vielleicht solltest du deine Nummern 13 bis 20 einfach noch in deiner Neil-Liste ergänzen. Jetzt bin ich schon neugierig.
    (Petridis hat ja anders als du eigentlich nur sogenannte „Studio-Alben“ erwähnt, aber da das bei NY manchmal eine nicht wirklich klar zu ziehende Grenze ist, wird er dann etwas unentschieden, wenn er Time Fades Away und Arc und ein, zwei andere dabei hat, aber The Visitor wiederum nicht.)

  8. Michael Engelbrecht:

    Done, with some little changes – i did the first one out of menory, now, with a look at the discography, I got it close to perfect (in regards to my feelings / opinions) … Peace Trail would be no. 21 with *** 1/2 stars.

    https://www.manafonistas.de/2020/10/20/my-ten-favourite-neil-young-albums/

  9. Michael Engelbrecht:

    Was ich schrieb, als ich die Tracklist las, von Film Music 1976 – 2020, und das Album noch nicht gehört hatte, eine Art „Preview“:

    Wenn ich daran denke, wie aufregend der Tag war, als mir der Postbote „Music for Films“ überreichte, 1976, 77, 78 oder 79 – wer will schon Erinnerungen ständig googelnd datieren – nun, das wird im November nicht annähernd vergleichbar sein, wenn „Film Music 1976 – 2020“ ins Haus steht. Ich werde einige Kompositionen ganz gut kennen, andere nicht oder nur wenig, und endlich findet sich Enos wunderbare Version von „You don‘t miss your water“ in einer sorgsam kompilierten, und rein instrumentaler, Umgebung wieder. Aber bei allen kleinen Entdeckungen bleibt das Album ein Querschnitt durch vergangene Jahrzehnte, der manche vielleicht anmimieren wird, „Die Mafiosibraut“ oder „The Lovely Bones“ noch einmal anzuschauen. Als ich damals mitbekam, dass Eno ein, zwei Stücke für David Lynchs Sci-Fi-Epos „Der Wüstenplanet“ komponiert hatte, wartete ich ungeduldig, um im Kino grandios enttäuscht zu werden. Entgegen all meiner Erwartung fand ich den Film unsagbar langweilig, und auch Brian konnte da nichts rausreissen. Kam mir da nicht auch sein Sphärengeraune etwas zu sakral vor?! Das Abenteuer seiner ersten Filmmusik wird der Nostalgie eines Rückblicks weichen, und trotzdem werde ich die eine und andere blaue Stunde anzetteln, in einem Raum voller Abendlicht. In einer komplett aus den Fugen geratenen Welt des Jahres 2020.

  10. ijb:

    This collection includes “The Prophecy Theme,” which you, your brother Roger and Daniel Lanois wrote for David Lynch’s “Dune.” I’ve read some rumors that you actually ghostwrote the “Dune” score, though it’s attributed to Toto. Is there any truth to that?

    I didn’t ghostwrite anything. The only thing I wrote was that piece. This was in the days when people used to fly you everywhere — ugh, I’m glad those days are finished — but David [Lynch] flew me to Los Angeles to see “Dune,” as it was at that point. It wasn’t finished then. And I don’t know whether his intention or his hope was that I would do the whole soundtrack, but I didn’t want to, anyway. It was a huge project, and I just didn’t feel like doing it. But I did feel like making one piece for it, so that’s what I did.

    https://www.nytimes.com/2020/11/04/arts/music/brian-eno-film-music.html

  11. Michael Engelbrecht:

    In dem Film damals mochte ich das Stück nicht, aber jetzt hier, auf dem Album, sehr.

  12. Martina Weber:

    Ingo, diese alten Geräte sind langlebig. Ich habe mir vor ein paar Jahren als Zusatzgerät eine Art Ghettoblaster von Philips über ebay gekauft, mit Kassettentape und CD Spieler und zwei integrierten Boxen. Schätzungsweise stammt es aus der Zeit Anfang der 90er. Das ist eine Zeit, in der stabile Geräte gebaut wurden. Bin sehr begeistert davon und nutze es oft. Gerade läuft „Lifestyles of the Laptop Cafe“.

  13. Michael Engelbrecht:

    Lifestyles of the Laptop Cafe ist eine ganz tolle CD. Die ich vor Jahren ausgiebig spielte in der Nacht.

    https://pitchfork.com/reviews/albums/22869-lifestyles-of-the-laptop-cafe/

    https://www.hhv-mag.com/de/feature/9208/records-revisited-the-other-people-place-lifestyles-of-the-laptop-cafe-2001

  14. Martina Weber:

    Klar. Deshalb habe ich mir die CD ja gekauft. Ist auch ein tolles Laptop auf dem Cover, definitiv kein zeitgemäßes, und ich erinnere mich daran, dass du in deiner Sendung sagtest, das Laptop, wie es so auf dem Waldboden mit aufgeklapptem Bildschirm liegt, würde es an einen Grabstein erinnern. Und dann hast du etwas zur dramatischen Familiengeschichte von „The other people place“ gesagt.

  15. Michael Engelbrecht:

    Und dann noch dieser Text, aus den Archiven der Manas:

    https://www.manafonistas.de/2017/04/25/the-cafe-where-i-found-the-golden-ticket/

  16. Martina Weber:

    Seltsam, ich hatte mich vage an diesen Text erinnert, als ich meinen comment vorhin schrieb, vor allem an das magic laptop café. Es sind so viele Ebenen in dem Text unter dem obigen Link verwoben, dass mir fast schwindlig wird. Und wo sie wieder aufgetaucht sind und auftauchen werden. Danke!

  17. Michael Engelbrecht:

    Was man über die Jahre alles entdeckt, selbst, wenn man schon etwas länger auf dem Planeten ist. Ich habe eine kleine Liste von Alben, die ich sehr gerne auf Vinyl und in bestem Zustand erwerben möchte, ohne eine Vermögen dafür auszugeben.

    Eine davon ist Anfang der Achtziger erschienen, und sie wurde zu Beginn des neuen Jahrhunderts ausgegraben. (Und man kann Hudsons Album bestens nach der Laptop-CD auflegen, Martina!)

    Andy Beta begann seine Besprechung damals ungefähr so:

    „Ist es reiner Zufall, dass in der Woche, in der ich den schrecklichen Schmerzen eines Wurzelkanals eine Ampulle Vicodin entgegen setze, das Berliner Label Label Basic Channel seinen neuen Zweig Basic Replay mit einem tollkühnen Dub-Showcase-Set eines Produzenten anreichert, der auch als Zahnarzt tätig war?

    Zusammengenommen ist die kombinierte Wirkung von pharmazeutischen Schmerzmitteln und den Dub-Imginationen von Keith Hudson Anfang der achtziger Jahre selbst in normaler Dosierung auf die richtige Art und Weise benebelnd und desorientierend.“

    Ich fand die Rezension, als ich mich im Netz auf die Suche machte nach dem von Moritz von Oswald remasterten Vinyl von Keith Hudsons „Playing It Cool And Playing It Right“. Ich zahle max. 30 Euros für eine Scheibe in allerbestem Zustand. Nehme sie gerne auch als Geschenk entgegen 😂

    Ich liebe die Arbeiten von Keith Hudson. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft sein Schwanengesang auf meinem Kopfhörer, TUFF GONG EXPERIENCE.

    Muss ich wirklich Nat Birchall anschreiben ? ! 😉

  18. Martina Weber:

    Oh, ich hatte schon eine CD von „Bohren und der Club of Gore“ nach dem Laptop Café aufgelegt. „Sunset Mission“ und „Black Earth“ zählen zu den Alben, die ich gern im Hintergrund laufen lasse.


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