Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 12 Okt

Voicemail (romantic style)

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 4 Comments

 
 

Jemandem eine selbst gesprochene digital gespeicherte Nachricht zukommen zu lassen, ist heutzutage für viele selbstverständlich geworden. Einen anderen Flair hat eine solche Aufnahme, wenn sie auf einem Trägermedium gespeichert wird und nicht mehr verändert oder gelöscht werden kann, zum Beispiel auf einer Schallplatte. Wie das funktioniert, kann man in Terrence Malicks faszinierendem Film Badlands sehen. Kit beschließt nach einem Gewaltakt, mit seiner Freundin Holly aus Fort Dupree/South Dakota zu fliehen. Um die Autoritäten auf eine falsche Spur zu locken, produziert er eine Sprachnachricht, die dann in einem Loop auf einem Plattenspieler neben einem brennenden Haus ein uns andere Mal abgespielt wird. In einem telefonzellengroßen Mini-Studio (Record Booth) kosten fünfzig Sekunden Aufnahme im Jahr 1959 fünfzig Cent. Man muss zwischen einer Aufnahmegeschwindigkeit von 78 oder 45 Umdrehungen pro Minute wählen. Am Ende fällt eine kleine Schallplatte aus einem Schacht, wie wir ihn aus Fotoautomaten kennen. Das Aufnahmegerät ist ein Voice-O-Graph. Mitte der 1930er Jahre erfand Alexander Lissiansky ein Vorläufermodell; am 31. Dezember 1940 reichte er ein Patent für den Voice-O-Graphen ein. Bis in die 1960er Jahre wurden die Modelle weiterentwickelt, dann wurde die Produktion eingestellt. Vermutlich hatten Tonbandgeräte und Kassettenrecorder die Funktion des Voice-O-Graphen übernommen. In zahlreichen Filmen, von Marine Raiders aus dem Jahr 1944 über M*A*S*H* (1973) bis Masters of Sex (2013) tauchen Szenen mit einem Voice-O-Graphen auf, hier eine Filmliste und ein Zusammenschnitt der entsprechenden Voice-O-Graphen-Szenen. Falls sich von Filmen auf die Realität schließen lässt, könnte man vermuten, dass diese Aufnahmeboxen in den USA vor Jahrzehnten geradezu weit verbreitet waren. In Großbritannien und Frankreich scheint es einige Sondermodelle gegeben zu haben. Wie bei der Jukebox, gibt es auch beim Voice-O-Graphen einen Retrotrend. Wer seinen Voice-O-Graphen verkaufen möchte, findet über diese informative Seite glückliche Abnehmer.

This entry was posted on Montag, 12. Oktober 2020 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

4 Comments

  1. Uwe Meilchen:

    Was mich daran erinnert, dass Neil Young doch ein ganzes Album in Jack Whites telefonzellengrossem Studio aufgenommen hat. Die Tonqualität als Ausdruckmittel.

  2. Michael Engelbrecht:

    Text vom 19. Mai 2014

    Die Verrisse erinnern zuweilen an die Häme, die Neil Young entgegenschlug, als er Mitte der Siebziger den Sanftmut von Harvest verliess und mit drei Nachfolgewerken einen Abgesang auf die Ideale der Hippieära inszenierte. Tonight’s The Night etwa war wohl auch alles andere als eine aufnahmetechnisch hochwertige Produktion, es wurde aber ein Klassiker der Rockgeschichte, eine unerhörte Auseinandersetzung mit dem Elend des Sterbens Nahestehender: der psychoakustische Fachbegriff für das Klangbild ist „audio verite“.

    Wenn Young jetzt sozusagen eine Zeitmaschine betritt und alte, ans Herz gewachsene Lieder im Klangfeld alter Schellackplatten ansiedelt, dann ist das a) eine künstlerische Entscheidung und b) einmal mehr „audio verite“. Das Resultat geht mir bei vielen Liedern unter die Haut. Ein wenig schüttel ich den Kopf über sogenannte hard core-Fans, die auf diversen Foren ihren Frust rausposaunen, und irgendwie vergessen haben, dass Young immer wieder Erwartungen von „Fans“ gegen den Strich bürstete. Ich weiss nicht, warum ich mich nach wie vor von alten, ebenso „bescheiden“ klingenden Bluesaufnahmen von Bessie Smith begeistern kann, und jetzt nicht minder Freude an dieser ganz besonderen Zeitreise von Neil Young empfinden sollte.

    Archaische Platte, wenige trauen sich sowas, und diese lo-fi-Produktion tut der Intensität des Vortrags keinen Abbruch. Ganz allein stehe ich mit meiner Meinung nicht da, John Mulvey hat im Blog-Teil der Webseite des englischen Musikmagazins Uncut eine ähnliche Wahrnehmung beschrieben. Keine Frage, für eine kurze Zeit ist Neil Young zu Dr. Who mutiert und in seiner fliegenden Telefonzelle im Jahre 1949 gelandet. Und viele Bewohner des 21. Jahrhunderts schauen jetzt völlig irritiert auf diesen Verrückten, als wolle er bloss einen kleinen Schabernack treiben.

    Wenn Leonard Cohen sich A Letter From Home anhört (wie gesagt, friends and neighbors, dieser Text stammt von 2014), könnte er gut Lust bekommen, seinem Tower Of Song eine neue Strophe anzufügen. Und Julio Cortazar wäre für eine Weile vom alten Jazz zu diesen Liedern konvertiert, die auf dem letzten Loch zu pfeifen scheinen.

    Montaigne hat einmal, schon viel länger ist das her, geschrieben, leben heisse, sterben zu lernen. Wenn Neil Young sich jetzt in so eine sauerstoffarme „Telefonzelle“ begibt, dann ist das durchaus auch eine Auseinandersetzung mit dem Tod: viele der hier gecoverten Lieder stammen von Musikern, die alle schon im „Tower of Song“ ihren Platz gefunden haben. Da muss keine high resolution her, kein polierter Sound: da dringt etwas Altes, Fernes an unsere Ohren, das will ich wie einem alten Schwarzweissfilm erleben, in schlichtem Mono, brüchig. Und so schlägt dieses Werk eine Brücke zu einem seiner alten Meisterwerke, Tonight’s The Night.

  3. Olaf Westfeld:

    Interessante Links über Voice-O-Graphen immer wieder erstaunlich, welche Leidenschaft Menschen entwickeln, spannendes Video von Neil Young und Jack White bei Fallon. Badlands ist so ein Film, den ich nach dem ersten Schauen unbedingt noch einmal sehen wollte – es dann aber nie getan habe. Dieses riesige Baumhaus sehe ich noch vor mir, den Voice-O-Graphen aber nicht.

  4. Martina Weber:

    Freut mich, dass ich dich, Olaf, ein bisschen für den Voice-O-Graphen begeistern konnte. Man kann die entsprechende Passage in „Badlands“ schnell übersehen, weil der Schnitt nicht in der logischen Reihenfolge gesetzt ist, wie wir es als Zuschauer, die den Voice-O-Graphen nicht kennen, bräuchten. Das macht auch den Reiz des Schnitts aus. Ich war gleich begeistert, hatte gestoppt und mir die Stelle nochmal angesehen. Das ist der Vorteil der DVD im Unterschied zum Kino.

    In „Badlands“ tauchen noch zwei weitere technische Geräte auf, die damals vermutlich hip waren und für uns heute fremd oder old fashioned: Da ist zum einen ein einfaches Stereopticon, mit dem Holly während der Zeit im Baumhaus alte Familienfotos betrachtet. Es sind Fotos, die auf Fernreisen entstanden. Ich meine, mich sogar an die Pyramiden zu erinnern. Das wäre auch ein Insignium dafür, dass Holly aus einer wohlhabenden Familie stammt. Ein Stereopticon ermöglicht es, Bilder so anzusehen, dass ein räumlicher Eindruck von Tiefe entsteht, hier ein paar Hintergründe und Beispiele für Geräte:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Stereoskopie

    Im Haus des reichen Mannes, dessen kluges Verhalten ihm das Leben rettet, sitzt Kit in einem Sessel und spricht, als würde er telefonieren. Er hält ein paar Mal länger inne und es scheint, als würde er eine Nachricht für die Nachwelt oder für seine Verfolger formulieren. Holly sagt dem Mann auch, ihr Freund würde das Dictaphone verwenden. Die genaue Technik wird im Film nicht gezeigt; neben dem Telefon stand noch ein Gerät, das war aber nur kurz zu sehen.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz