Als in der Mitte der Achtziger Jahre des Nachts auf BBC das Solodebüt eines englischen Musikers vorgestellt wurde, von dem ich vorher noch nie etwas gehört hatte, da wusste ich auch nicht, dass dieser einst einen ähnlichen Stellenwert bekommen würde wie den zuvor schon John Martyn, Joni Mitchell und zeitweise James Taylor inne hatten – ich bekam noch gerade den Teil einer Sendung mit, in dem also ein Gast war, den ich nicht einzuordnen wusste. Geradezu elektrisiert wurde am nächsten Tag im Plattenladen fiebrig nachgefragt. Dem Verkäufer bei Musicland zu Hannover wurden hilflos im Dunkeln tapsend Anhaltspunkte um die Ohren gehauen: „erstes Soloalbum“, irgendwas mit „Japan“, „klingt wie Brian Ferry“. Der hingegen wusste natürlich gleich Bescheid und gab das gesuchte Album mit auf den Weg. Ich trug es nach Hause wie eine Trophäe, als stolzer Besitzer von David Sylvians Brilliant Trees. Es war wohl John Peel damals in den alten Radiozeiten, der in jener Sendung die Fragen stellte: „What are you reading these days, Mr. Sylvian?“. Ein Buch von Jean Cocteau sei es mit dem Titel The Difficulty of Beeing, war die erstaunliche Antwort. Der Titel bildete seitdem einen der zahlreichen Brückenschläge zu dem, was mich an der Philosophie zu interessieren begann – es hing auch mit einem allgemeinen Unbehagen zusammen und dem Gefühl, dass im richtigen Leben viel Falsches sei und die Erde zuweilen unbewohnbar wie der Mond. Hegel nannte es das Negative und auch Krishnamurti sprach davon. Ausdrücklich geht es hier nicht um Erbaulichkeiten, die sich als Lehrstoff für die Schule eignen. Seit jenen Tagen in den Achzigern war ich lange Zeit gewissermassen als Botschafter in Sachen „Sylvian“ unterwegs: die Identifikationsfigur schlechthin in dieser Gemengelage aus personeller Selbstfindung, spirituellem Abenteurertum und Reimen, die nach Shakespeare klingen. Anspruchsvolle Hybridität auch, die ihre Wurzeln im british folk genauso hat wie in der Popmusik und im Avantgarde-Jazz. Heute höre ich diese Musik nur noch selten, der identifikatorische Reiz zumindest scheint verblasst. Zuweilen allerdings spiele ich einige von David Sylvian´s Liedern gerne auf Gitarre nach, haben mich doch deren teils rätselhafte Akkordstrukturen stets verwundert. Die Melodielinien, von einer Jahrhundertstimme vorgetragen, als habe Orpheus persönlich sie gesungen, sie bleiben zeitlos schön.
2 Comments
-
Martina Weber:
Von Jean Cocteau gibt es ein feines, sensibles Buch mit dem Titel „Kino und Poesie. Notizen.“ Hier ein zufällig ausgewähltes, von mir angestrichenes Zitat: „Es ist wichtig, zum Geheimnis zurückzukehren, zu Büchern, die wenig gelesen werden, zu Gedichten, die ein Gipfel der Einsamheit sind.“ Ich kenne nur die Songs von Sylvian, die Michael in seiner Sendung gespielt hat, aber eine Verbindung zu Cocteau kann ich nachempfinden. Ich werde auf die Suche gehen, nach „The Difficulty of Being“. Danke, Jochen.
-
Michael Engelbrecht:
Dann lieber „Die herrliche Leichtigkeit des Seins“ von Milan Kundera.
Auch wenn es viel gelesen wurde.