Wann wird die Avantgarde zur Folklore? Die beiden Teilnehmer dieses Albums waren sicherlich mehrmals an vorderster Front der Klangerzeugung tätig.
Conrad Schnitzler war Schüler des radikalen Künstlers Joseph Beuys und als Mitglied von Tangerine Dream und Kluster führend im utopischen Denken und in der radikalen Klangerzeugung der 1970er Jahre in Westdeutschland.
Frank Bretschneider war in den 1980er Jahren mutig als Underground-Musiker in Ostdeutschland tätig, in Partnerschaft mit Olaf Bender – und, wieder mit Bender und später mit Carsten Nicolai, im vereinigten Deutschland in den 1990er Jahren und danach verantwortlich für einige der konzeptionell strengsten Electronica mit den Labels Rastermusic und raster-noton.
Die Musik, die sie hier zusammen machen, hat jedoch etwas an sich, das den Anschein erweckt, als ginge es weniger darum, an Grenzen zu gehen oder unerforschten musikalischen Raum zu finden, als vielmehr darum, sich an etwas zu erfreuen, das sie beide sehr gut kennen.
Was nicht heißt, dass es einfach oder offensichtlich ist: Es handelt sich hier um völlig abstrakte Synthesizer- und Computermusik, ohne jeglichen konventionellen Rhythmus, Harmonie oder Wiederholung. Man könnte kein Genre daran festmachen. Es ist auch nicht Old-School – die Komplexität der Swoops, Drums, Boinks und Fizzes hier ähneln der furchterregend hochtechnologischen Band Autechre mindestens genauso sehr wie jeder älteren elektronischen Musik.
Irgendwie mutet die Musik traditionell an, als Teil einer Linie – mit dem BBC Radiophonic Workshop, mit Pierre Henry und Pierre Schaeffer und David Tudor, mit Kluster und Holger Czukay. Schnitzler und Bretschneider experimentieren hier wahrhaftig, lassen komplexe Klänge in sich zusammenfalten oder sich in ebenso komplexe Räume auflösen und improvisieren eindeutig, während sie die Ergebnisse hören.
Aber diese Improvisation, dieses Experimentieren geschieht auf vertraute Art und Weise, und die Klänge, so ostentativ schräg und abstrahiert sie von unserer alltäglichen akustischen Realität sind, haben dadurch eine wunderbare, beruhigende Vertrautheit.
Könnte es sein, dass sich diese digitale klangliche Abstraktion in unserem zunehmend digitalen und immer abstrakteren Leben tatsächlich normalisiert?