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2020 19 Jul

One Note Samba

von: Hans-Dieter Klinger Filed under: Blog | TB | 5 Comments

Das ist ein verwegener Titel, zweifellos! Ein Musikstück, das nur One Note, Einen Ton anbietet, kann nur … ähm, eintönig sein. Und der Komponist? Naja, dem fällt halt nichts ein. Es ist noch nicht lange her, dass Eintönigkeit und Einfallslosigkeit als enges Paar galten. Für Albert Lortzing (1801-1851) war es das gebotene Stilmittel, die begrenzte Kreativität eines dichtenden Bürgermeisters und eines komponierenden Kantors zu karikieren. Beider Huldigungskantate auf den russischen Zaren beginnt so: Heil sei dem Tag, an welchem du bei uns er – elfmal derselbe Ton, von nur drei anderen gefolgt – schiehienen, dideldum, dideldum, das ist das Zwischenspiel …

 
 

Albert Lortzing – aus „Zar und Zimmermann“

 
 
This is just a little samba built upon a single note.
Other notes are bound to follow but the root is still that note.

Oha, nach 19 Sekunden ist es schon vorbei mit der One Note und es stellt sich heraus, dass es gar nicht um Töne geht.

Now this new note is the consequence of the one we’ve just been through.
As I’m bound to be the unavoidable consequence of you.

 
 

Stacey Kent – One Note Samba

 
 

Mir geht es aber um Töne und die Frage, ob es überhaupt One Note Musikstücke gibt, wenigstens eines. Ich kenne keines. Ich weiß, dass ein Komponist ganz nahe dran war. Er entwarf immerhin ein Two Note Piece. Die Composition 1960 #7 besteht nur aus den zwei notierten Tönen h und fis mit der Interpretationsanweisung »to be held for a long time«.

One Note Samba ist Pop. Deshalb kann ich verstehen, dass nach 19 Sekunden Schluss ist mit One Note. LaMonte Youngs Composition #7 ist nicht Pop. Hier geht es um etwas anderes. Wahrscheinlich ahnt man das erst, wenn man drei Stunden oder länger zuhört. Der Mix mit The Tamburas of Pandit Pran Nath ist von wunderbarer Wirkung.

 
 

LaMonte Young – Composition 1960 #7

 
 

Es kann ja sein, dass es nicht ein einziges One Note Piece gibt. Jedoch gibt es Musik, in der ein One Note Ton aus verschiedenen Gründen eine besondere Rolle spielt, zum Beispiel deswegen:

 

About this brief chanson an amusing story is recounted by the Swiss monk Glareanus in his compendious text book the Dodecachordon (1547).

Louis XII, the French King, is said to have a very inadequate voice. He once asked Josquin if there was anyone who would compose a song in several voices in which he could also sing some part. Josquin, wondering at the demand of the King, whom he knew to be entirely ignorant of music, hesitated and finally decided what he would answer. „My King“ he said „I shall compose a song in which your Majesty will also be given a place in the singing.“ The following day, after he had breakfast and was to be refreshed with songs, according to royal custum, Josquin produced his song in four voices, composed so that the exceedingly thin voice of the King should not be drowned out. He had given the King, in a range that would be suitable to the royal voice, a part consisting of just ONE NOTE … The King laughed merrily at the trick and gladly dismissed the composer with a present.

 

Josquin Desprez – Guillaume se va chaufer

 
 

Man sieht, King’s Singers gab es schon im 16. Jahrhundert. Die King’s Singers des 20./21. Jahrhunderts haben es Josquin nachgemacht. „Blackbird“ statteten sie aus mit einer „Regis Vox“, einer königlichen Stimme, verweilend auf dem Ton g. Ich stelle mir vor, der Ton war für Queen Elizabeth gedacht, falls ein noch lebender Beatle zum Ritter geschlagen und die Ehrung mit einem Gstanzl gefeiert wird.

 
 

The King’s Singers – Blackbird

 

Als Zugabe gibt es eine wahrhaft geniale Fassung von Brad Mehldau

 

Brad Mehldau solo – Blackbird

 
 

 
 

In den letzten Wochen habe ich Maurice Ravels „Gaspard de la Nuit“, eines meiner Lieblingswerke weltweit, sehr oft angehört. Es sind drei Poems nach Gedichten von Aloysius Bertrand (1807 – 1841) – Ondine, La Gibet, Scarbo. Das zweite ist eines der irrsinnigsten One Note Stücke.

 

DER GALGEN
 
Horch! ist’s eine nächtige Windsbraut, die winselt,
oder hat der Gehenkte am Galgen geächzt?

Ist es ein zirpendes Heimchen, das sich im Moos und im kargen Efeu verbirgt,
womit sich das Holzgerüst mitleidig den Fuß bekleidet?

Ist’s eine Schnake auf Jagd, die das Horn bläst um die Ohren,
die taub sind für das Halali der Jagd?

Ist es ein Schröter, der auf seinem schwankenden Flug
von diesem kahlen Schädel ein blutiges Haar zwackt?

Oder ist’s eine Spinne, die eine halbe Elle Musselin
als Tuch für diesen erdrosselten Hals wirkt?

Es ist die Glocke, die an die Mauern einer Stadt unterm Horizont schlägt,
und das Gerippe eines Gehenkten, das die untergehende Sonne rötet.

 

Maurice Ravel – Gaspard de la Nuit, Le Gibet

 
 

Nun gibt es doch ein One Note Piece, das so gut, so außergewöhnlich ist, dass es NICHT auf youtube verfügbar ist. Im besten Fall besitzt man das Album oder verfügt wenigsten über einen Spotify Account für den unmittelbaren Zugriff.

 

Keith Jarrett – Sun Bear Concerts, Encore from Sapporo

 

Die Zugabe trägt ständig den Ton C mit sich bis dieser gegen Ende etwa zwei Minuten lang in fast völliger Einsamkeit zurück bleibt und zu bestaunen ist als facettenreicher Einzelgänger. Man höre hinein. Er steckt voller Töne, die den schönen Namen harmonies tragen.

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5 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Das ist dann auch mal eine „etwas andere“ Klavierstunde. Habe mir gleich mal die hypnotische Zugabe aus Sapporo angehört. Im Garten, unterm Apfelbaum.

  2. Lajla:

    Das ist interessant zu lesen, Danke Rosato. Es gibt ja einen Künstler, Gerhard Rühm, der viel mit Reduktionen in der Kunst experimentierte: Einwort / Einton. Und dann gibt es noch ein Mann, ein Wort 😅

  3. Hans-Dieter Klinger:

     
    Ah ja, Gerhard Rühm. Er hat spätestens 2018 seinen Einstand im Mana-Blog gegeben:
     
     

    Beethoven geht vorüber

     
     

    Ich hatte von G. Rühm Abhandlung über das Weltall auf Cassette. Vor einigen Jahren wollte ich diese Rarität digitalisieren. Das Cassetten-Tonband musste ich zum Anfang zurückspulen, wo es dann bei der Ankunft gerissen ist – irreparabel.

    Ich hätte den Hörtext, gesprochen von Rühm, gerne. Er ist nicht zu finden, nicht bei discogs, nicht bei youtube, nicht bei amazon. Das ist geradezu eine Auszeichnung

    Vielleicht liest jemand den Text dieser Flaschenpost und ruft „ich hab’s!“

  4. Lajla:

    Ich wollt, ich hätt‘s!

  5. Martina:

    Was für ein interessantes Thema, Hans-Dieter.

    Ich habe einige Hörspiel-Raritäten auf Audiokassette, auch eine Sendung über G. Rühm, aber nicht die Abhandlung über das Weltall. Gern hätte ich dir eine Flaschenpost zukommen lassen.


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