Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 22 Juni

„Immer wieder Stegarbeiten, und andere Notizen von der Insel“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 1 Comment

Dank Rosato gibt es jetzt („for the happy few“) die gekürzte und m. E. bessere Version der „Syltstunde“. Sie beginnt, wie sie beginnt, und endet mit Leonard Cohens Vortrag von „The Goal“. Mit dieser ganzen Inselgeschichte hat es noch etwas anderes auf sich. Natürlich stehe ich für eine persönliche Art des Radiomachens, nichts finde ich so schwer erträglich wie eine stereotype Dauerheiterkeit des Tonfalls. Oder chronische Seriosität (in cultural matters), Aber wie geht man so eine Darstellung einer nordfriesischen Insel im Lockdown an?

Mir war schnell klar, dass es hier sehr persönlich werden muss (im Sinne der schwankenden Aggregatzustände, in denen sich ein Ich im Laufe von Tagen und Nächten bewegt), denn ich hatte wenig Lust, den geläufigen Diskurs dieser Tage mit ein wenig Inselkolorit aufzubrezeln. Für mich ging es beim Zusammenstellen der Episoden (und der Musikstücke) darum, Gegensätze auszuloten: zum Beispiel: selige Vorfreude vs. Unheimlichkeit. Das seltsame Umschlagen von Gefühlen in Einsamkeitszonen. Plötzliche Euphorie. Kindheitserinnerungen vs. horror vacui. Die Natur Natur sein lassen. Da greift zu leicht der beschauliche Zugang, der idyllische Ton, und genau den wollte ich unterlaufen mit manchen Klängen (speziell vom Bersarin Quartet, und Kraftwerk („Mitternacht“ stammt aus „Autobahn“ und ist absolut nostalgieresistent).

Ich wollte nun auch keine Schauergeschichten erzählen, obwohl der Regen des öfteren ein willkommener Begleiter war. Dafür sorgen wohl eine gute Prise Humor und Selbstironie. Hätte ich das Archiv der „Dying Sounds Of Sylt“ ausfindig gemacht, würde ich sogar jetzt noch dem Sender eine ausgefeilte „Hörspiel-Version“ vorschlagen. Und Ulrike Haage um zwei, drei Klangskizzen gebeten. Ein Dutzend Stories blieben unerzählt. Als ich das falsche Stück von Yo La Tengo (nach Leonard Cohen) spielte, überlegte ich, wie ich diesen Fehler nutzen könnte, und mir fiel nur Schweigen ein – und eine gewisse Leere des Raumes: auch das letzte japanische Klavierstück hat nichts Anheimelndes. Passt schon.

Das Unvollkommene einer Live-Situation fordert manch schnelle Entscheidung heraus. Einiges ist nicht zurückzunehmen. Zum Beispiel, dem biologischen Tief um vier Uhr nachts geschuldet: trinke nie Blubberwasser, wenn du gleich vorhast, fünf Minuten am Stück zu erzählen! Ich schweife ab.

Wäre nicht das melancholische Schlaflied von Yo La Tengo gelaufen (von ihrer ansonsten traumhaften Platte „And then nothing turned itself inside-out“), es hätte noch eine finale Story gegeben, wahrscheinlich sogar zwei: in der einen wäre Richard Brautigan vorgekommen, und seine Schilderung von „Halloween am Meer“, in der anderen hätte ich eine Brücke geschlagen von melancholischen Schwingungen des kleinen Meisterwerks „Absolute Giganten“ (der Film ist auf BluRay und DVD erhältlich), mit der betörenden Filmmusik von The Notwist, zu einer Morgendämmerung an der Küste hinter der „Sansibar“. Momente ohne falsche Erhabenheit. Es wäre da auch eine andere Musik gelaufen, und an der richtigen Stelle wäre eine Schallplatte zweimal, dreimal gesprungen. Und jeder hätte gewusst warum.

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1 Comment

  1. Lajla:

    Die Syltstunde beginnt mit Meeresrauschen, das kein Virus zur Stille bringt. Also es rauscht zu jeder Zeit. Aber dieser horror locum außerhalb des lockdowns, dieses piece of wasteland während des lockdowns, dieses von Michael grandios geschilderte Parkplatzbild werde ich bei meinen zukünftigen Syltfahrten immer erinnern.


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