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on life, music etc beyond mainstream

2020 27 Mai

A propos Mr. Passos

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 7 Comments

Der wesentliche Grund, warum ich nie in Versuchung geriet, über meine Schulsprachen hinaus, eine weitere Fremdsprache zu lernen, lag an den Dingen, die ich bei unserm Englischlehrer Dr. Werlich erfuhr. Noch heute hallt vieles nach, was er uns damals erzählte, mitteilte, z. B. diese Verwandlung des Denkens und Empfindens, die eintritt, wenn man von einem Sprachraum in den anderen wechselt, bei Reisen von Deutschland nach England, oder, wenn man lernt, englisch zu denken. Diese Verwandlungen empfand ich stets dermassen faszinierend, dass ich lieber in den englischen Modus wechselte als mich in einer Vielzahl von Sprachen so nett wie anfängerhaft zu verzetteln. Auf mein Airport-Spanisch kann ich gerne verzichten.

Etwas anders liegt der Fall, wenn man von der eigenen Sprache in die gleiche wechselt, ich meine nicht den Übergang vom Westfälischen ins Friesische, dergleichen, sondern die schöne Unheimlichkeit der Erfahrung, wenn man ein altes Lieblingsbuch in neuer Übersetzung liest. Solches war in den den letzten zwanzig Jahren möglich, als mir Neuübersetzungen alter Favoriten von Georges Simenon, Mark Twain, Dostojewski und anderen auf den Tisch kamen. Nicht immer nahm ich das Angebot wahr, aber wenn, dann wich der alte Zauber einem neuen, und die Freude ging weit darüber hinaus, einem jüngeren Ich zu begegnen, das sich grossenteils ohnehin aufgelöst hatte.

Wunderbar das zweite Lesen von Don Quixote, oder Günther Ohnemus‘ betörender Transfer von Richard Brautigans „Forellenfischen in Amerika“. Diese zweiten Begegnungen mit unvergesslichen, und nun auch noch leicht verwandelten, Büchern, sind Zeitreisen der besonderen Art, und einer der Gründe, wieso ich John Passos‘ „USA Trilogie“ entgegenfiebere. Nur, wann finde ich die Zeit, mich in diesen Schmöker für alle Sinne hinein fallen zu lassen? Ich visiere die Adventszeit an.

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7 Comments

  1. Martina Weber:

    Spannende Themen! Wir verändern uns, wenn wir in fremden Sprachen sprechen, auch das. Eine Freundin erzählte mir, sie fühle sich selbstbewusster, wenn sie Englisch spräche. Die Eleganz der englischen Sprache, der ungeheure Wortschatz – beeinflusst durch zahlreiche Ethnien – sowie die feinen Nuancen der Zeitformen und winziger, kaum erkennbarer Andeutungen faszinieren mich sehr.

    Das Englische und das Spanische haben viele gemeinsame Voraussetzungen: Es gibt Subjekt und Objekt und eine klare Vorstellung von Zeit und Raum. Interessant finde ich einen Einblick in Sprachen, die eine völlig andere Kultur voraussetzen und von ihr hervorbebracht werden. Ezsa Pound beschäftigte sich intensiv mit der chinesischen Sprache, was sich auf die Mikrostruktur seiner Lyrik ausgewirkt hat. Das Reflektieren über diese Metafragen nennt man Metalinguistik, der führende Vertreter scheint Benjamin Lee Whorf zu sein. Vor vielen Jahren habe ich irgendwo ganz zufällig sein Standardwerk „Sprache Denken Wirklichkeit“ gekauft und auch gelesen. Whorf macht hier sehr deutlich, dass die Sprache in Wechselwirkung zu einem Denksystem steht. Immer wieder kommt er auf die Sprache und Kultur der Hopi zurück und erläutert die Struktur deren Sprache anhand von Beispielen. So verschwindet im Denksystem und in der Wahrnehmung der Hopi die Zeit und der Raum ist verändert. Eine Motivation, die Hopisprache zu lernen, habe ich allerdings dann auch wieder nicht. Aber das Bewusstsein, dass die für uns so selbstverständlichen fundamentalen Strukturen eine Interpretation darstellen (so wie auch Mathematik eine Wertentscheidung voraussetzt, nämlich den Newton´schen Raum oder ein anderes Raumkonzept, auf das man sich geeinigt hat), diese Einsicht bleibt.

  2. Olaf:

    Ein guter Freund von mir – Amerikaner, lebt seit 25 Jahren in Berlin – wirkt wie ausgewechselt, wenn er Englisch spricht, wirklich wie ein anderer Mensch. Spannend fand ich dazu auch vor einigen Jahren den Film Arrival, in dem die Menschen durch das Erlernen einer fremden Sprache (von Aliens) einen neues Bewusstsein erlangten.

  3. Michael Engelbrecht:

    Yep. Arrival und Hopi.

    Der Film Arrival enthält, glaube ich, eine Komposition von Max Richter, aus dem einzigen Album, das mir von diesem Neo-Klassizisten gefällt. Ich stiess gestern drauf, als ich Musik suchte für „die etwas andere Klavierstunde“ der Junihorizonte im DLF. Fesselnder Film, btw.

    Natürlich lese ich auch liebend gerne im engl. / amerik. Original, aber bei manchen Lieblingsromanen ist soviel Spezialsprache oder Slang vorhanden, dass der flow fehlt. Deswegen bin ich gespannt auf den neu übersetzten Dos Passos. Das ist wahrlich polyphone Literatur. Ich kannte von früher den ersten Teil der USA-Trilogie.

  4. ijb:

    „Arrival“ enthält, ganz am Anfang (wenn ich mich nicht irre) eine (ganz schöne) Nummer von Richter, ja. (Ich finde ihn auch meist echt langweilig). Das Stück „On The nature Of Daylight“ war zuvor in Scorseses „Shutter Island“ verwendet worden.

    Allerdings ist mir völlig schleierhaft, warum man in diesem sagenhaft guten, völlig kitschfreien Soundtrack von Jóhann Jóhannsson (der ja auch nicht nur gute Sachen gemacht hat und oft keinesfalls kitschfrei war) dieses stilistisch vollkommen andere und im direkten Vergleich auch deutlich schwächere Stück von Max Richter eingefügt hat. Wie gesagt, ich fand es an sich auch nicht schlecht, aber gerade in dem Film ist es ein echter Fehlgriff, ein Kitschberg, wo sonst auf grandiose Weise menschlich und sensibel und kreativ erzählt wird (auch bei der Musikauswahl).

  5. ijb:

    Hier hatte ich über den „Arrival“-Soundtrack geschrieben …

  6. Martina Weber:

    Danke, Olaf, für den Filmtipp. Den bestelle ich gleich. Der Film „Arrival“ basiert auf der Kurzgeschichte „Story of your life“ von Ted Chiang. Ich wollte mich sowieso mal in Richtung SF bewegen, das scheint ein vielversprechender Beginn zu sein.

  7. Michael Engelbrecht:

    Von welchen Prinzipien hat sich Susanne Lange leiten lassen bei der Neuübersetzung eines meiner absoluten Lieblingsbücher, dessen zweites Lesen nach Jahrzehnten mich absolut fasziniert hat, ohne Ende … hier ihre Anmerkung dazu:

    Don Quijote ist eine Figur, die so sehr mit bestimmten Vorstellungen besetzt ist, dass sich sehr schwer dagegen ankämpfen lässt. Dennoch wollte ich das feststehende Don-Quijote-Bild ebenso wie das von Sancho Panza untergraben, um wieder Bewegung in die Bilder kommen zu lassen. Die anderen Übersetzer haben immer versucht, aus Don Quijote ein bestimmtes Symbol zu machen. Zunächst hat man ihn als Narren dargestellt, der moralisch zu verurteilen sei. Später dann, in der Romantik, galt er als Idealist. Jede Zeit hat versucht, ihn ihrem Weltbild entsprechend zu vereinnahmen. Mir kam es demgegenüber darauf an, Don Quijote nicht auf eine Interpretation festzulegen. Darum habe ich versucht, die Vielschichtigkeit der Figuren zu bewahren, indem ich ihre Sprache differenzierter wiedergebe und einzelne Details deutlicher hervortreten lasse und die Figuren eben nicht sprachlich denunziere – indem ich sie übertrieben schwülstig oder altertümlich reden lasse. Ich wollte den Figuren Freiraum für die sprachliche Entwicklung lassen. Denn auch bei Cervantes ist die Sprache sehr subtil, sie ändert sich bisweilen von Satz zu Satz oder sogar innerhalb eines einzigen Satzes. Darum weiß man eigentlich nie genau, was Don Quijote eigentlich antreibt und wie bewusst er sich seiner Taten und Motive ist. Ebenso offen ist auch, ob er die anderen nicht sogar für seine Zwecke einspannt und die Wirklichkeit sozusagen zwingen will, sich nach seinen Vorstellungen zu verhalten: also kein verblendeter Narr, sondern jemand, der sein radikales Uneinverständnis mit der Welt vorführt. Indem man diese Nuancen berücksichtigt, kann man das herkömmliche Quijote-Bild langfristig vielleicht ein wenig verändern – vielleicht. Möglich ist aber auch, dass sich gegen eine 400 Jahre alte Tradition gar nichts ausrichten lässt. Auf jeden Fall wünsche ich mir, dass man ein etwas differenziertes Bild des Ritters bekommt.


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