Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

Es gibt einige Songalben aus dem alten England, in die ich vernarrt bin, und die aus diesem Jahrhundert kommen, und dazu zählen, neben mindestens einem Album von The Unthanks und Sleaford Mods, neben Everyday Robots von Damon Albarn, Cuckooland von Robert Wyatt, und Someday World von Eno & Hyde, auch die drei Alben, die Darren Heymans Reise über die Dörfer dokumentieren, drei Schallplatten lang. Die CD-Editionen quellen über an flüchtigen, herzlichen Begegnungen, und wenn man das alles liest, freut man sich noch mehr auf die Lieder, mit ihren kleinen Stories und Feldaufnahmen   –  Hörspiele im liebevoll verwitterten Songformat.

 
 

 
 

Ich glaube, es ist eine gute Idee, seinen klingenden Dorfgeschichten im August eine „blaue Stunde“ in der Nacht zu widmen. Unterhält man sich mit ihm über Musik, da gerät man, wie bei seinen Alben, auf interessante Seitenwege, und Cliff Richard und John Coltrane liegen, bei seiner besonderen Plattenstöberei, nur einen Handgriff und eine Story auseinander. Hier sein Solo über ein Solo von John:

 
 

Dieses Album, Miles Davis and John Coltrane Live in Stockholm 1960, hat mehrere Cover und Titel; es scheint kaum offiziell zu sein. Dies ist die letzte Tournee von Coltrane mit Davis. Coltrane wollte nicht dabei sein. Seine Karriere hatte bereits eine andere Richtung eingeschlagen. Bei diesen Shows ist er mürrisch und launisch. Sein Spiel neigt sich dem heftigeren Heulen seiner späteren revolutionären Periode entgegen.

Am Abend vor dieser Show wurde er in Paris ausgebuht; Miles würde während seiner Soli die Bühne verlassen. In Stockholm, acht Minuten nach „All Blues“, macht Coltrane eine bemerkenswerte Sache. Er schlägt einen gespaltenen Ton an, eine strangulierte Harmonie, die eindeutig unbeabsichtigt ist.

Er spielt den gleichen Fehler ein zweites Mal, und ich wäre bereit, zu behaupten, dass auch dieses zweite Mal ein Zufall war. Dann spielt er ihn ein drittes Mal, dann ein viertes und fünftes Mal. Es könnte sein, dass er sich an die Regel hält, dass, wenn man einen Fehler spielt, man ihn noch einmal spielen sollte, und er wird zur Rolle. Man unterstreicht ihn und lässt ihn absichtlich erscheinen.

Aber es ist mehr als das. Coltrane ist fasziniert von dieser gequälten Phrase. Er wird besessen von dem, was sein Saxophon macht, oder besser gesagt, was es nicht macht. Er fällt in Trance und umkreist die fünf Töne immer wieder, manchmal mit kleinsten Veränderungen, manchmal auf verschiedene Weise wiederholt, aber immer diese merkwürdige, seltsame, raue Note in der Mitte. Das Publikum existiert nicht. Es gibt nur ihn und diese eine Phrase. Insgesamt wiederholt er die Zeile 33 Mal. Ich habe gerade gezählt.

Auch die Band geht mit ihm mit, von anfänglicher Sorge über Unsicherheit bis hin zu unverschämter Zuversicht. Es ist sowohl das beknackteste als auch das intelligenteste Musikstück, das ich je gehört habe, und ich denke oft daran, wenn ich Platten aufnehme. Es spricht über die Kraft der Wiederholung, über die Schönheit des reinen Experimentierens und darüber, was man erreichen kann, wenn man Vertrauen zeigt.

This entry was posted on Freitag, 22. Mai 2020 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

2 Comments

  1. Lajla:

    Zu den Dorfgeschichten im August fällt mir Byung-Chul Han ein. In seinem Buch Vom Verschwinden der Rituale erzählt der koreanische Philosoph von einem Wildkirschbaum, an dem sich die Dorfbewohner stets treffen, um zusammen zu schweigen. Eigentlich ist das sehr schöne Bild einem Essay von Peter Nadas entnommen.

    Mal lesen.

  2. Martina Weber:

    Was für eine interessante Story, die mit dem Konzert in Stockholm ab Minute acht. Ich höre mir das Stück gerade an. Wie die Band zunächst verunsichert ist und zögert und dann mitgeht. In Minute 10:45 pfeift es im Publikum, einige klatschen. Nach dem unfreiwilligen Experiment geht das Stück wieder seine „geordneten“ Wege.

    Eine andere Erfahrung mit dem Experimentieren macht Sun Kil Moon mit seinem „Vague Rock Song“ aus dem Album „Common as Life and Love are red Valleys of Blood“. Die Lyrics sind fantastisch, er ändert ständig das Thema und den Stil und reflektiert das auch („you weren´t expecting this frank zappa part“) und er endet mit „i gave my best try i learned that i´m not a vague rock guy“).


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