Dies ist die nunmehr sechste Janis-Joplin-Biographie in meinem Bücherregal, erschienen im Oktober letzten Jahres. Da inzwischen nun wirklich keine Neuigkeiten mehr aus dem Leben der Sängerin herauszupressen sind, schon gar keine sensationellen, hat die Autorin Holly George-Warren in erster Linie die allseits bekannten Stationen aus Janis‘ Leben nachgearbeitet und sie dabei neu gewichtet.
So unoriginell wie der Titel ist die Vorgehensweise der Autorin. Vielleicht gerade deshalb gelingen ihr gelegentlich Perspektiven, die so noch nicht beschrieben worden sind. Ein Schwerpunkt liegt auf Janis‘ Kindheit und Jugend und ihrem Verhältnis zu Geschwistern, Eltern und Mitschülern. Dass sie zeitlebens versucht hat, ihre Eltern davon zu überzeugen, dass sie mit ihrer Entscheidung, nach San Francisco und zu BBHC zu gehen, den richtigen Schritt getan hatte, zieht sich durch viele Briefe, aus denen die Autorin zitiert. Dass dabei ihre objektive Situation nicht immer dem entsprach, was sie ihren Eltern erzählte, wird hier sehr deutlich. Janis‘ Talent, andere vor den Kopf zu stoßen, ihr ständiger Alkohol-, Pillen- und Heroinkonsum, ihre dauernden Versuche, damit aufzuhören und es doch nicht zu schaffen, ebenso ihr ständiger Fight mit diversen Sex- und Liebesabenteuern: das alles wird in diesem Buch nicht anekdotisch am Rande abgehandelt, sondern in zum Teil epischer Breite als die lebensbestimmenden Faktoren, die sie wohl waren. Gleichwohl bin ich nicht davon überzeugt, dass alle, die heute behaupten, mit Janis geschlafen zu haben, das wirklich getan haben. Es ist nun mal nicht mehr überprüfbar.
Es ist dies die erste Joplin-Bio, in der wirklich detailliert auf die Geschichte ihrer verschiedenen Bands eingegangen wird. Dass Janis‘ Ausnahmetalent die Jungs von Big Brother & The Holding Company überforderte, kann jeder hören, der Ohren hat. Das wusste Janis auch selbst. Gleichzeitig aber war die Band für sie so etwas wie ein sicherer Hafen. Die Band hielt zusammen wie Pech und Schwefel, und Janis sah sie als eine Art Familie an. Um sie endlich dazu zu bringen, BBHC zu verlassen und eine eigene Band zu gründen, brauchte es eine starke Vaterfigur, in diesem Fall ihren Manager Albert Grossman. Und selbst das tat sie nicht, ohne Sam Andrew aus BBHC mitzunehmen. Das führte wiederum zu Schwierigkeiten mit den erstklassigen Musikern ihrer Kozmic Blues Band, mit deren Fähigkeiten Sam nicht mithalten konnte. Und Janis selbst stellte schon bald fest, dass es ihr nicht lag, eine Band zu führen. Genau das aber hätte sie tun müssen; die Kozmic-Blues-Leute konnten zwar alles spielen, was man von ihnen verlangte, aber man musste ihnen genau sagen, was sie spielen sollten. Auch das Publikum akzeptierte die neue Band und den souligen Sound nicht so ohne weiteres. Und so erfahren wir dann auch, wie Janis an ihre dritte und beste Band kam, die dann den Namen Full Tilt Boogie Band annahm.
Nebenher wird beschrieben, wie BBHC einen sehr dummen Knebelvertrag mit dem Jazzlabel Mainstream Records abschloss, aus dem sie schließlich von Columbia Records mit 200.000 Dollars herausgekauft wurden — damals eine ungeheure Summe, die ahnen lässt, welche Hoffnungen Labelboss Clive Davis in Janis gesetzt haben muss. Aber auch ihm war klar, dass Janis das nicht mit BBHC schaffen würde, und so wirkte er hinter den Kulissen auf Grossman ein. Gelegentlich tauchen dabei auch Widersprüche zu früheren Biografien auf; etwa über die Story des Songs „Mercedes Benz“ oder das Zustandekommen des namens „Pearl“ — ich kenne da inzwischen drei Varianten. Das Buch erweckt auch den Eindruck, dass Janis kaum jemals allein gewesen ist; immer waren irgendwelche Leute, Lover oder Musiker um sie herum, immer sollen auch Southern Comfort oder sonstwelche Mittelchen im Spiel gewesen sein; gleichzeitig aber wird geschildert, dass sie ständig mit einem großen Stapel Bücher reiste und viel und konzentriert gelesen haben soll. Das geht schlecht zusammen; es verträgt sich auch nicht mit Janis‘ überlieferter Klage, „On stage, I make love to 25,000 different people, then I go home alone„. Und wie war das nun mit ihrem Tod — hat da noch jemand etwas aus ihrem Hotelzimmer entfernt oder nicht? Auch hier gilt: Es ist nicht mehr überprüfbar.
Es sind die kleinen Randgeschichten und Anekdoten, die das Buch interessant machen auch für Leute, die schon andere Janis-Biografien kennen. Pflichtlektüre ist es nicht, aber sauber recherchiert ist es, und im Zusammenhang mit anderen Janis-Biografien ergibt sich ein insgesamt stimmiges Bild einer einmaligen, aber hochgradig zerrissenen Persönlichkeit, die wohl immer auf der Suche war, aber selbst nicht wussste, wonach.
Holly George-Warren
Janis — Her Life And Music
Simon & Schuster 2019,
ISBN 9-781476-793108