„Eine Mannschaft ohne Abenteurer ist wie ein Land ohne Poesie.“
(Menotti, Fussballphilosoph)
„Und in Erinnerung bleiben die Teams, die mit gutem Spiel gewonnen haben … und nicht die Bastarde der modernen Kultur, die Fussball als reine Ware betrachten.“
(dito)
Wenn ich ihn sehe, dann immer an der Hand unserer Mutter. Wenn ich ihn spüre, dann durch seine verschwitzte Hand, die mich den Berg hinaufzog. Wir waren 12, er 14, seine Freunde waren die Söhne der Helden vom „Wunder von Bern“. Fritz Walter war unser Fussballgott. Wir stiegen mit erregtem Gemüt und viel Gaudi hinauf zum Betzenberg, so wie wir später in die Tempel- und Konzertarenen zogen. Wir waren wild things. Wir pendelten zwischen Ottmar Walter’s Kino und der roten Hölle. In K-Town gab es immer eine nervöse Spannung wegen der anwesenden Garnisonen. Auf dem Peak in der Westkurve konnten sich solche Emotionen gefährlich entladen. Günther Netzer: „Da war man schon in grösserer Gefahr.“ Fritz Walter gab den roten Teufeln die Farbe, er spielte während des 2. Weltkriegs bereits in der Soldatenmannschaft „Rote Jäger“. Es waren er und später Sepp Herberger, die den 1. FCK beziehungsweise die Nationalmannschaft geformt hatten. Zu seinem 65. Geburtstag taufte man den Platz auf seinen Namen: Fritz Walter Stadion.
Wenn ich mir meine Leidenschaft für Fussball erklären will, treten rationale Bezüge vollkommen in den Hintergrund. Es sind ganz grosse Gefühle, die ich mit dem „Betze“ verbinde: das Bruder/Schwester Ereignis, die zarten Küsse meiner ersten Liebe, die ausgelassene Freude über das 7:4 gegen die Bayern oder 5:0 gegen Madrid. Es sind die Überraschungen, die als 6. grundlegendes Element der Emotionen der Ratio den Platz verweisen. „Take my hand – life is what happens to you while you’re busy making other plans …“ (John Lennon).
Mein letztes Highlight auf dem Betzenberg war das WM Spiel 2006. Die FIFA hatte mit dem Letzten noch Lebenden der Waltermannschaft, Horst Eckel, einen teuflischen Deal ausgehandelt. Er holte die saudische Mannschaft ins Stadion nach K Town, wo sie gegen die Spanier vor deren König aufliefen.
Ich hatte Tickets für meine Kursteilnehmer aus Saudiarabien von deren Botschafter geschenkt bekommen. Spanien gewann knapp mit 1:0. Nach dem Spiel zogen wir eingehüllt in die islamgrünen Nationalflaggen hinunter zum Marktplatz, wo ich ihnen die Erfolgsgeschichte des 1.FCK erzählte: 4 mal Deutscher Meister, 2 mal Pokalmeister und Fritz Walter, unser Lauterer Bub, erzwang mit seinen Jungs das Glück, am Ende kamen sie als Weltmeister zurück.
Ich zeigte ihnen die Stadt mit dem zu gross geratenen Stadion. Ich beschrieb ihnen, wie die ersten Männer mit Schaufel die Erde vor ca.100 Jahren umgruben. Wie 2002 der Umbau zum WM Stadion erfolgte, der den Niedergang des Clubs bereits ein Jahr später anzeigte. Alle Kredite und Sponsorengelder führten nicht dazu, dass der 1. FCK sich in der 1. Liga halten konnte. Heute spielt er in der 3. Liga, manchmal vor ausverkauftem Stadion, das heisst: vor fast 50.000 Zuschauern. Da bebt es in der Westkurve: wenn der Morgen erwacht und die letzten Schatten vergeh’n, sieht man den FCK wieder oben steh’n.