Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 14 Apr

Das Unaussprechliche umkreisen

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | Tags:  | 3 Comments

Orte, an denen der Schleier zwischen unserer Welt und der Welt der Toten durchlässig wurde, hatten die Kelten angeblich als dünne Orte bezeichnet. Verbindungen und Vermischungen sind dort möglich, erklärt Alke Stachler im Anhang ihres ersten Gedichtbandes mit dem Titel Dünner Ort. Auch die Gedichte ihres zweiten, Ende 2019 erschienenen Gedichtbandes Geliebtes Biest sind in einer solchen Zwischenzone angesiedelt. Man merkt es nicht sofort, weil Alke Stachler weder im ersten noch im zweiten Gedichtband ihren Gedichten Titel gibt, doch man spürt es nach einigen Seiten: Die 48 Texte, die das Büchlein umfasst, sind Teil eines Zyklus, sie sind sehr fein und durchdacht miteinander und gegeneinander verflochten. Motive werden wieder aufgenommen, Farben, Satzfragmente. Zwischen Annäherungen, Anrufungen und Offenbarungen geht es um Erinnerung und Heilung. Die Erfahrung ist existenziell. Die Gedichte entfalten einen Sog zwischen Motiven und Begriffen aus Märchen, Spiritualität, Religion, Naturwissenschaften und Alltag. „es gibt eine kurze und eine lange version“, heißt es in einem Gedicht, und in einem anderen: „ich weiß, dieses thema ist so alt wie die erde.“ Die zentrale Erfahrung, der Schreibanlass, wird auf sehr dezente Weise gestreift, eine Andeutung, die überlagert wird durch neue Gedankenansätze, harte Schnitte, Irritationen oder „laufmaschen in der matrix“. Alke Stachlers Gedichte kreisen um etwas, was jenseits der Sätze, also jenseits der Sprache liegt, weil es nicht ausgesprochen werden kann: „so viele wörter für die abwesenheit von wörtern“. Den Gedichten gelingt es, diese Sphäre spürbar zu machen, die Grenzen des Verstandes zu überwinden. Entworfen wird eine Schattenwelt, in der der Lesende letztlich auf sich und sein Unterbewusstsein gestellt ist.

 

ein zu lange gehaltener ton, erinnerungen wie an
eine jahreszeit. lass es winter gewesen sein. theorie
der melancholie als theorie der farben. dass es in
schüben kommt, verrätselte bewegungen ohne
muster. dass der irdische teil eines bildes immer
der kältere ist. weißes rauschen in den zähnen,
der punkt vor dem sprechen. ich als anemone,
dreizehnte zauberin. unwesen aus deinem frü-
heren leben. gibt es eine sphinx des lichtes oder
eine sphinx der finsternis. ist dieser körper eine
fälschung. schwanengerüst, glasnerven. ist schwarz
meine stiefmuttersprache, vergissmein.

 

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3 Comments

  1. Julia Grinberg:

    ja, das stimmt, diese gedichte erzeugen ein sog – man fängt an zu lesen, man ist weg, man sieht die letzte seite und denkt – ach neeee… zum gluck kann ich dieses buch immer wieder aufschlagen, egal auf welcher seite.

  2. Martina Weber:

    Hej, Julia, schön, dass du den Weg zu dieser kleinen Besprechung gefunden hast. Ich schreibe dir dieser Tage mehr …

  3. Geraldine Gutiérrez-Wienken:

    Danke für diesen Text, der genauso fein ist wie das vorgestellte Gedicht von Alke Stachler. Ich werde mir ein Buch von ihr bestellen! Liebe Grüße, G


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