Die Wolkenkratzer in New York City, zur Zeit der Abenddämmerung. Ein junger Mann eilt eine Straße entlang und betritt die Peep-O-Rama-Lounge. Junge Frauen räkeln sich an Stangen, vollführen akrobatische Bewegungen, sind spärlich bekleidet. Nur wenige Besucher sind da. Ein älterer Mann mit lockigem Haar stochert mit einem Plastikstrohhalm in seinem Drink, er pustet den Rauch seiner Zigarette gezielt teilnahmslos in den Raum. Alles ist in weiches Licht getaucht, in warme Farben. An einem großen Bildschirm werden Fotos präsentiert, Polaroids, verwaschene Formen und Farben. Als blätterte jemand ein unsortiertes Fotoalbum durch. Ein Junge beim Baseballspiel, der Hund, Ausflüge mit dem Vater, Herumsitzen mit der Freundin auf dem Campus. Das Geländer der Brooklyn Bridge im Nebel. Der junge Mann sieht davon nichts, er starrt vor sich hin. Dann nimmt er die Bilder wahr, starrt, Tränen in den Augen. Er zittert, denn es ist sein Fotoalbum, seine Geschichte. Ich nehme die Fernbedienung, spule zurück. Es ist eine Schlüsselszene in dem Film „Stay“ mit Ryan Gosling, und so spannend es auch war, die Fotos wollte ich mir sofort nochmal ansehen. Polaroids von einem solchen Zauber, einer derartigen Tiefe bei gleichzeitiger Unschärfe hatte ich noch nie gesehen. Über den Audiokommentar erfahre ich, wer die Fotos gemacht hat: Es ist Stefanie Schneider, die in Norddeutschland aufgewachsen ist und teils in Berlin, teils in der kalifornischen Wüste lebt. Sie arbeitet seit 1996 mit abgelaufenen Polaroidfilmen, also mit analogem Material. In einem Interview, abgedruckt in dem Fotoband Instantdreams, bezieht sich Stefanie Schneider auf die japanische Weltanschauung des Wabi-Sabi. „Ein abgelaufener Polaroidfilm erzeugt Unvollkommenheiten“, sagt sie, „die für mich den Verfall des amerikanischen Traums widerspiegeln. Diese sogenannten Unvollkommenheiten stellen die Realität dieses Traumes dar, wie er sich in einen Albtraum verwandelt.“ Abgelaufene Polaroidfilme verfremden die Bilder, weil die Entwicklung unberechenbar wird, durch blasse Stellen, Flecken, verwischte Farben. Der Effekt hat etwas Unheimliches, gleichzeitig werden die Motive auf eine surreale Weise auf eine abstraktere Ebene gehoben. Als prägende ästhetische Einflüsse nennt Stefanie Schneider Michelangelo Antonionis Red Desert und Zabriskie Point, Peter Bogdanivichs The Last Picture Show, Vanishing Point (Fluchtpunkt San Francisco) sowie den provokativen Film Gummo von Harmony Korine. Eine Auswahl von Polaroids aus dem Film Stay finden sich in Stefanie Schneiders Fotoband Stranger than Paradise, außerdem diverse Fotozyklen, verknüpft mit offenen Lebensexperimenten, wie dem Whiskey Dance. Wo findet Wirklichkeit statt? Wie erinnern wir uns? Woher stammen die Bilder, die ins kollektive Gedächtnis eingehen? Stefanie Schneider führt uns an Orte, an denen wir nie gewesen sind, in ein Land, das wir zu kennen meinen, und das es dennoch nicht gibt.