Eine Zeitlang, in einem Duo mit anderem Namen, hatte M. Ward die Lust verspürt, angenehm vergängliche Pop-Songs zu spielen, sie in grosser Zahl, mit einer sympathischen Frau an seiner Seite, aus dem Ärmel geschüttelt, alles für die Liegestühle, die Longdrinks, und die sonnige Seite der Strasse. Seine andere Seite war, wen überrascht es, schattiger, und eine nie die Jahreszeit wechselnde, herbstliche Melancholie ihr seltsam zeitloses Markenzeichen. Migration Stories erweitert die bewährte Palette nur dezent, ohne gleich Frühlingsgefühle wachzurufen. Er nennt seine neuen Songs „einen Sci-Fi-Schnellvorlauf zu einer ruhigeren Nacht viele Generationen von hier entfernt“, und das ist schon etwas gewagt. Denn mindestens zwei Stücke sind der Reise gewidmet, die seinen Grossvater vor hundert Jahre von Mexiko aus nach Texas führte. Normale Cowboylieder hat M. Ward ohnehin nie geschrieben, trotz der Liebe zum guten alten Onkel Twang. Einmal erzählte er mir am Telefon von seiner Begeisterung für eine späte Billie Holiday-Platte, „Lady in Satin“, die mit den vielen Streichinstrumenten. Während der Arrangeur Ray Ellis den Studiomusikern ihr bestes „late night-feeling“ abrang, trank die grosse Jazzsängerin Wodka wie Sprudelwasser. Das ist lange her und, zugegeben, eine andere traurige Geschichte. M. Ward bläst aber, und das ist die gelungene Paradoxie dieses neuen Albums, keinerlei Trübsal, er beschert uns, allen Verlustmeldungen zum Trotz, so was wie eine sanft betörende Gute-Laune-Platte der tiefer gehenden Sorte. Das heisst, die sog. joie de vivre springt einen nicht auf Anhieb an! Und wenn unser Spezialist für die Bestückung von Jukeboxen wieder nach Hörnum fahren darf, über den Hindenburgdamm, dann ist der Song „Unreal City“ schon mal gesetzt.
2020 4 Apr
„Migration Stories“
von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags: M. Ward | Comments off