Seit über 60 Jahren ist der Jazzkeller in Hofheim Brennpunkt und Schnittstelle alternativer und anarchistischer Gegenkultur im sonst eher kleinbürgerlichen Vorstadtmilieu. Von hier aus wurde viele Jahre lang das Hofheimer Jazzfestival organisiert, zu dem fast alle Größen des Jazz früher oder später einmal die in den besten Zeiten völlig überfüllte Stadthalle beehrten. Früher in einem alten Gewölbekeller mit einem metertief mit Bier getränkten Lehmboden und zwei winzigen Fenstern wurde er 1991 in einen Lagerkeller am Bahnhof verlegt, was völlig neue technische Möglichkeiten eröffnete. Wie viele wunderbar psychedelische Abende ich dort seit Teeniezeiten verbracht habe vermag ich heute nicht mehr zu sagen, auch weil viele davon dazu beitrugen, wodurch auch immer assistiert, tief in die Gegenwart einzutauchen und mir kaum Gelegenheit ließen sie in ihrer Fülle in meinem Gedächtnis überhaupt abspeichern zu können.
Neulich treffe ich beim Einkaufen Thomas Zöller, der hier vor Jahren die Dudelsackakademie gegründet hat, der mir von einem neuen Projekt erzählte. Fusion und Improvisation im Jazzkeller. Neugierig fand ich mich ein paar Abende später in vertrauten Gefilden ein, um mich überraschen zu lassen, denn bislang gefielen mir seine interkulturellen Musikprojekte immer sehr. Dieses mal war ich aber nur sehr unzureichend darauf gefasst, was mich in den kommenden anderthalb Stunden packen und herumwirbeln sollte. 9 Musiker auf der winzigen Bühne, alle mit Instrumenten, die im mittleren Frequenzbereich ein hohes Überschneidungspotenzial haben. Und schon durchbrach ein schottischer Dudelsack das wartende Geraune des Publikums. Eine Drehleier stieg ein, eine traditionelle Folkmelodie. Aber halt, was war das? Wie eine Vulkaneruption setzte die restliche Band ein und was gerade noch traditionell klang war auf einmal eine wilde Mischung aus Funk, Jazz, Elektro und Folk. Nahtlos die Übergänge, gnadenlos die Sprünge, wild der Drive, der Overdrive zwischen Bombarde, Bass und Schlagzeug. Kaum zu fassen, wie nah sich die die verschiedenen Stilrichtungen dieser bizarren Mixtur kommen, miteinander verschmelzen um Sekunden später über die Schönheit eines weiteren musikalischen Spagats zu tanzen. Alles improvisiert spielen die Musiker sich die Bälle zu, die genauso wild tanzen, wie inzwischen das Publikum. Funky licks manche traditionellen Melodien so verfremden, bis alles in einer Kernschmelze des Ungehörten fusionieren kann und dazwischen eine Drehleierspielerin, die aus ihrem elektrischen Instrument mehr rausholt, als es vielen routinierten E-Gitarristen in ihrer Laufbahn je gelingen sollte. Ekstatisch und musikalisch zwischen allen Stühlen (die dann ohnehin nur im Weg herumstünden), eine brodelnde Panazee gegen alltägliche Übervernunft und nebulöses Untollsein! Ecstatic outbursts: Ethna.