Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 16 Mrz

Menschen im Hotel

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

„I am“… I said
To no one there
And no one heard at all
Not even the chair

(Neil Diamond)


Am 21. Januar 2013 schrieb ich auf dem Blog über das erstmalige Hören von „The Girl from Ipanema“, und dabei fiel mir eine Reise als Fünfzehnjähriger nach Mallorca ein, mit meinen Eltern. Ein klassischer Sommerurlaub aus der Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat. Zu dem Hotel kam man nur über eine lange Autofahrt, auf reichlich verschlungenen Wegen, ein nahezu versteckter Ort – ich las damals, was für eine Verschmelzung von behüteter Kindheit, wilden Träumen, und Urängsten, Albert Camus‘ „Die Pest“ (ein Rowohlt-Taschenbuch, tief gesättigtes Rot auf dem Cover), trank Schokolade mit besonders fluffigem Schaum, an den ich mich heute noch erinnere, sass auf kleinen Felsvorsprüngen am Meer, mit Camus, sah anderntags – und fotografierte -, wie sich Mario Adorf und Lex Barker (Old Shatterhand!) ihren Salat in den Mund schoben, und hörte, immer wieder, aus kleinen Boxen, Astrud Gilbertos traumverlorenen Gesang, und andere Musik, die elterntauglich war. Und auch mich Beatles- und Kinksfan nicht völlig unberührt liess.

Frank Sinatra begegnete fortlaufend Fremden in der Nacht. Neil Diamond war genauso Teil der Barmusik wie von James Last flachgelegte Oldies, der Soundtrack endloser Diaprojektor-Abende. Meine Mutter zeigte mir auch einen englischen Schauspieler, einen aus dem Charakterfach, der nur wenige Jahre später Selbstmord beging. Und im Pool des Hotels schwamm der angehende Superminister Karl Schiller mit seiner Geliebten gar nicht so einsame Bahnen, aber damals gab es eine Übereinkunft mit der Presse, solche Privatangelegenheiten privat zu belassen.

 

 

 

Die Sicherheitskontrollen sollen streng sein, und das Militär sei angefordert. Stille Post oder nicht, die Pools, die Strände in Puerto del Carmen, sind abgesperrt, und bei täglich wechselnder Nachrichtenlage ist die Frage berechtigt, ob wir Menschen im Hotel überhaupt noch zeitnah ausgeflogen werden, oder Zeuge eines allgemeinen  „shutdowns“ auf Lanzarote werden. Ein Quantum Unheimlichkeit liegt über allem, man rückt, gesprächsweise, nicht was die Körperdistanz betrifft, näher an andere Gäste heran, weicht beim Gang zum Buffet fast tänzerisch, jedem nah auftauchenden Körper, jedem Husten, aus,  beredet jüngste Meldungen, und hofft nebenbei, dass man sich keinen dummen bzw. gefährlichen, Infekt einfängt – beides wäre, ein Unwort des Jahres, ein „Stresstest“. Das Hotel leert sich, gute Bücher im Gepäck, immerhin. „Miracle Creek“ etwa, von Angie Kim. Oder „Die Schopenhauer-Kur“, von Irwin D. Yalom. Und das Mädchen von Ipanema ist lange schon abgereist.

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