Zwei Kobolde begleiten mich stets, flüstern mir zuverlässig ins Ohr. Auf meiner schmalen rechten Schulter sitzt leicht zusammengekauert Frank Asperger, schüchtern und seriös, rausgeputzt in feinem Zwirn. Auf der etwas breiteren, linken sitzt ein namenloser Frechdachs mit Tourette-Syndrom. Nun ist das Koboldhafte sowenig allein mein Brevier, wie es die multiplen Persönlichkeiten sind oder die polymorph perversen Spielarten (Kraft-Ebbing hätte seine helle Freude angesichts dessen, was sich auf den digitalen Pornoseiten offenbart und jeden restriktiv scheinheiligen Saubermann gründlichst blamiert). Was auch so manchem Manafonisten vertraut vorkommen mag, fand literarische Bezüge schon bei Pessoa oder Musil (a man without qualities) und auch in der aktuelleren Frage: „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ Womit wir wiedermal bei Richard David Precht wären. „Enttäuschung, Laberkopf, Alleserklärer!“ krächzt das leibhaftige Tourette-Syndrom an meiner Seite. Ganz ruhig, gemahne ich, wir möchten uns zunächst ein Bild verschaffen. „Sinnlose Zukunftsträume, unrealistisches Grundeinkommen!“ geht es vorlaut weiter. Ich verpasse dem Frechdachs eine Valium, damit ich und mein Herr Asperger uns konzentrieren können – meine Güte, wir sind doch nicht im Kindergarten! Also, der Reihe nach: eigentlich nämlich sind die medial-öffentlichen Auftritte und Äusserungen des genannten Bestseller-Philosophen sehr angenehm, da sie wichtige Zeitgeist-Themen präzise und wortgewand auf den Punkt bringen, gleich ob es um „Digitalisierung“ geht, um das Bedingungslose Grundeinkommen, den problematischen Fleischkonsum oder anderes. So lockte mich sein aktuelles Buch nun: Jäger, Hirten, Kritiker. Unbestritten sind auch hier wichtige Aspekte und gute Gedanken aneinander gereiht. Im üppigen Literaturverzeichnis suche ich nach Byung-Chul Han, finde ihn dort nicht. Nanu? Etwas trotzig nehme ich dessen Buch Im Schwarm aus dem Regal, das ebenso kritische Aspekte der Digitalisierung betrachtet, stilistisch aber geradezu kontrapunktisch angelegt ist verglichen mit Prechts utopischer Gedanken-Schau. Sieh an! Gleich einem Chirurgen ist Hans Vorgehen punktgenau, präzise und minimal-invasiv. Solche extrem kurz gefassten Sätze bilden ein Novum in der Szene und sind ein Affront gegen allseits bekannte raunende Jargons oder ausufernde Weitschweifigkeiten. Mir gefallen ja jene Bücher, die dem Leser Raum lassen für eigene Gedanken und Schlussfolgerungen. Precht hingegen ist Pädagoge. Im passenden Setting, im Klassenraum etwa oder in der abendlichen Talk-Show mag das seine Berechtigung haben. Freikarten fürs Hirn bietet aber eher Han. Wie auf dem Rummel („Ischa Freimarkt!“) heisst es dann: noch einmal in die Achterbahn, es war so schön. Hier macht sogar die Wiederholung Spass, Monotonie bleibt aussen vor, weil eigene Gedankenspiele und die Einbildungskraft kaleidoskopisch mitschwingen. Deshalb, auf Reisen oder im Wartezimmer einer Arztpraxis habe ich stets meinen Han dabei, denn es ist gut zu wissen: nur ein, zwei Sätze lesen und schwupps driftet man ins Eigene ab. „Kein roter Faden!“ Auf meiner linken Schulter regt sich was, das Valium lässt nach, vertrautes Blöken macht sich breit. „Blödmann, Blogger, Laberkopf.“ Ich werde das Notierte trotzdem posten, mich nicht beirren lassen. Frank Asperger stimmt zögernd zu. Auch er kennt seine Gründe.