Es gibt ein Bonmot, das ich aus einem bitterbösen Sketch Bruno Jonas‘ kenne. Es ist auf irgendeiner meiner Festplatten oder CDs. Ich finde die Datei einfach nicht. Sollte ich einmal darüber stolpern, werde ich sie nachliefern. Nach meiner Erinnerung lautet ein Satz sinngemäß: „Jo, der is scho a Lehrer, abba koa Pädagoge“. Was mit Pädagoge genau gemeint ist, wird freilich nicht definiert. Wahrscheinlich bildet eine professionelle Ausbildung die Grundlage. Wie die aussieht, weiß ich nicht, denn ich habe keine erfahren.
Im 8. Semester der fachlichen Ausbildung waren die students verpflichtet, eine Vorlesung an der LMU zu besuchen. Man hatte die Wahl zwischen *Psychologie* und *Pädagogik*. Ich wählte *Pädagogik* und hörte ein Mal in der Woche eine Vorlesung über Philosophen und Pädagogen der Antike. Eine schriftliche Prüfung musste abgelegt werden. Es wurde Platons Höhlengleichnis abgefragt.
Eine Schulstube kann eine Höhle sein, manchmal eine Hölle für Schüler wie Lehrer. Damals konnte es mir schon den Schweiß auf die Stirn treiben, wenn mir auf dem Weg vom Bahnhof Icking zu meiner Bude die Schüler des Gymnasiums nach Schulschluss entgegenkamen. Ich war total unsicher, ob ich mich zum Lehrer eigne und vor Schulklassen bestehen kann. Ein Jahr bevor ich in Icking auszog, ließ sich Klaus Doldinger in Icking nieder.
Bevor ich letztlich in Kronach „eingeschult“ wurde, gab es noch die 2-jährige pädagogische Ausbildung im Studienseminar. Kurzes Fazit: was ich den beiden music teachern abschauen konnte, führte zu diesem Statement: so wie die, mache ich es auf keinen Fall. Eigentlich war deren Aufgabe die Vermittlung fachlicher Kompetenzen im Bereich Methodik und Didaktik des Unterrichts.
Aber es gab sehr wohl auch eine pädagogische Ausbildung. Einmal die Woche fand eine Fachsitzung in Pädagogik statt. Ein gutmütiger GymProf des Faches Latein las mit leiser monotoner Stimme aus Fachzeitschriften vor. Rückblickend war es ein Erleben früher Ambient Music. Ich brachte das Kunststück fertig, mit offenen Augen zu schlafen.
Ich betrieb fast ein Vierteljahrhundert Trial-and-Error-Pädagogik. Die professionelle Pädagogik holte mich im Jahr 1994 unerwartet ein. Da wurde mir aufgebürdet, den Job des Seminarlehrers Pädagogik auszuüben. Nach einigem Hin und Her sagte ich zu, ich wollte nicht kneifen. Aber bevor es losging, war es schlimmer, als Ickinger Gymnasiasten im Gegenstrom nahe des Bahnhofs zu begegnen. Ich hatte wochenlang massive Schlafstörungen. Kein Wunder, denn ich hörte jahrelang im Raucherabteil des Lehrerzimmers, in dem sich eine andere Sorte von Lehrern traf als im rauchfreien Bereich, viele Referendare abfällig kritisch über die Fachsitzungen in Pädagogik und Psychologie sprechen. Und ich? Meint ihr, ich komme daher wie der Große Zampano und alles wird gut?
Ich habe erstmals pädagogische Fachliteratur gekauft und durchgepflügt. Es könnte 1998 gewesen sein, da gab es erstmals im Angebot der VHS Kronach einen Flirtkurs. Irre! Ich habe die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Nein wir haben nicht den Kurs besucht. Ich habe in der ersten Stunde mit den Seminaristen nach der Begrüßung gefragt, ob jemand Lust hätte, den Flirt-Kurs der VHS zu besuchen. Mit dieser Frage hatte niemand gerechnet, aber die Diskussion begann, und es war witzig zu beobachten – ich machte das ja öfter über die Jahre – wie unterschiedlich lang es dauerte, bis die Semis auf die Analogie kamen, die auf die Frage hinauslief, „ist man zum Lehrer geboren, oder ist es erlernbar, ein guter Lehrer zu werden“.
Die Aufgabe hat mich viel Energie gekostet, weshalb ich 3 Jahre in Teilzeit arbeitete. Nun kann man Teilzeit nur mit guten, amtlich akzeptierten Gründen beantragen. Ich konnte wegen meines Jüngsten familienpolitische Gründe anführen. Ich hätte ja gerne „wegen der Scheiß-Pädagogik“ als Grund genannt. Aber der stand nicht zum Ankreuzen zur Verfügung. Trotzdem bin ich dankbar, denn sonst wäre ich NICHT auf Friedemann Schulz von Thuns Buch Miteinander reden gestoßen.
Immerhin findet man bei YouTube zahlreiche Videos, die Thuns Konzept erklären. Ich habe solange gesucht, bis ich eines fand, das mir persönlich zusagt. Hier bitteschön kann man sich Thuns Modell erklären lassen. Was ich entscheidend daraus lernte, ist die Wirkung von ICH- und DU-Botschaften, die eng mit der Appell- und Beziehungsebene verknüpft sind. Fehler hab ich trotzdem noch gemacht, z.B. mit meinem Jüngsten, zwar nicht in der verbalen Drastik, die ich jetzt als Beispiel anbiete: „Das musst du anders machen, stell dich nicht so deppert an. Das geht nämlich so, ich zeig’s dir mal“. So etwas hat praktisch nie funktioniert, nur zu Konflikten geführt.
Das Konzept ICH-Botschaft geht vor DU-Botschaft ist besser, und es kann wirklich gut funktionieren. Die Chorprobe am Freitag nach der 6. Stunde fand gewiss nicht zum günstigsten Zeitpunkt statt. Ich hatte nur Freiwillige im Chor, immerhin 30 bis 40 Sängerinnen und Sänger. Aber oft genug gab es verschwätzte Grüppchen, störend, klar! „Seid doch ruhig“ war abgedroschen und wirkungslos. Ich hab es mal so probiert: „Leute, ich habe das Gefühl, dass ihr mich ärgern wollt“.
Unweit des Thunschen Kommunikations-Konzepts hält sich das Hamburger Verständlichkeitsmodell auf, zu dem auch von Thun seinen Betrag leistete. Gut erklären können ist bestimmt essentiell für wirksames Lehren und Lernen. Ich hatte einen Mathe- und Physiklehrer in der Mittelstufe, der brillanten Frontalunterricht ablieferte, spannend, rhetorisch vom Feinsten und vor allem konnte er erklären, dass uns die Schuppen nur so von den Augen fielen. Raffiniert war er auch, im schülerfreundlichen Sinn. Bei der ersten Mathe-Schulaufgabe, die wir bei ihm schrieben, sagte er gleich zu Beginn „wundert euch nicht über die krummen Ergebnisse“. Ich weiß, dass ich in solchen Fällen immer einen Fehler vermutete, ihn suchte, dabei Zeit verlor, die für die anderen Aufgaben nötig gewesen wären. Ok, beim Mathe-Meyer kam halt 271/313 raus und nicht 2/3 – und gut wars. Bei einer Physik-Schulaufgabe – die Parallelklasse, die den Meyer nicht hatte, hielt sie für hammerschwer – gab es 7 Einser, noch mehr Zweier, die schlechteste Note war 4. Leider blieb der Mathe-Meyer nur für 1 Jahr am Gymnasium Münchberg, dann suchte er das Weite aus dieser verlassenen Gegend.
Wer nicht eingeschlafen ist, kann hier einen fulminanten Abschluss abholen.
Oh, eigentlich soll es hier losgehen … nämlich bei 6:00 und nicht von vorne. Das klappt, wenn man die rechte Maustaste betätigt und *Öffnen in neuem Tab* wählt.