El Hierro es muy bonito
Unlängst stieg eine Frau in die Straßenbahn ein, sie pfiff die ganze Zeit. Alle Fahrgäste schauten in ihre Richtung, ich auch. Mir gefiel ihr unbekümmertes Treiben. Pfeifen hat was Fröhliches, Beschwingtes, aber nicht immer. Der schrille Pfiff, der zur Ordnung ruft, kann durch Mark und Bein dringen. Welcher Fussballnarr kennt nicht das bange Warten auf den erlösenden Schlusspfiff des Schiedsrichters. Das Pfeifen als Sprache ist mir auf El Hierro begegnet. Bei der Ankunft auf dem kleinen Inselflughafen lernte ich einen alten Mann kennen, der mir unter anderem erzählte, dass er die Pfeifsprache von früher beherrsche. Ich bat ihn spontan, mir mehr über „El Silbo“ zu erzählen. Wir verabredeten uns in einer Bar. Folgende Fragen hatte ich für das Treffen vorbereitet:
Von wem haben Sie die Sprache gelernt?
Wer kann das Pfeifen heute noch?
Wann und wo wird die Pfeifsprache benutzt?
Wie wird die Sprache ins Pfeifen umgesetzt?
Können auch Frauen so kommunizieren?
Lernen Kinder in der Schule „El Silbo“?
Der alte Herreño hatte sichtbare Freude an unserer Unterhaltung. Er zeigte mir die drei Methoden des Fingeranlegens am bzw. im Mund. Er sagte, dass man bei bestimmter Wetterlage und Stille in der Umgebung das Pfeifen bis zu 3 Kilometer hõren, verstehen und beantworten könnte. Es seien vor allem die Priester gewesen, die ihre „Schäflein“ zur Messe zitierten und natürlich die Hirten, die ihre Ziegen zusammentrieben. Früher gab es Warnpfeifer, die die Inselbewohner mittels Pfeifen zum Strand riefen, wenn die Insel vom Meer her angegriffen wurde. Die Silbensprache ist eine alte kulturelle Tradition und es gleicht einem Wunder, dass einige noch in dieser alten Guanchensprache über weite Distanzen kommunizieren können. Ich hatte grossen Respekt vor dem alten Mann, der stolz auf das Weitertragen seiner Kultur war. Er sagte mir, dass bei ihm zu Hause die Silbensprache gesprochen wurde und er sich noch gut an die Kommunikation seiner Mutter mit seinem Vater in der Küche erinnere:
Domingo! – Què? Ya voy, ya voy. – Bueno, bueno.
Die Basis der Silbensprache ist das gesprochene kastilianische Spanisch . Die Vokale werden erhõht, die Töne werden durch die Kraft der Luft in der Lunge erzeugt, die im Mund mehr oder weniger stark zirkuliert.
Der Herreño erzählte mir, dass er am Vortag in einer Schule war und erstaunt war, wie die Kinder die Technik der Silbensprache so selbstverständlich erlernten, fast wie ihre Muttersprache. Er hätte den Schulkindern erklärt, dass die Pfeifsprache auf Silben basiert. Dass ein kleiner Mund kleine Pfeifvokale herausbringt und ein grosser Mund die schweren Töne bewältigt. Es brauche sehr viel Übung, um den richtigen Pfeifton der Silben zu treffen und dann zu kommunizieren.
Also – mano a la boca: „yi-yo-ye-yo-ya-yo …“