Katie Gately hat aufgeräumt. Die klangliche Überdrehtheit ihres Debütalbums Color im Herbst 2016 konnte einen wahnsinnig machen, wenn man sich gerade nicht auf der richtigen Wellenlänge befand. Es hat ein paar Jahre gedauert, doch nun ist endlich der Nachfolger da – und die CD trägt den Titel Loom (Webstuhl). Wer in den frühen Neunzigerjahren jugendlich war und „Adventure“-Computerspiele am PC spielte, verbindet mit „Loom“ lebenslang das radikal besondere, märchenhafte Grafikadventure der Firma Lucasfilm, bei dem der Spieler die Handlung nicht mit den üblichen Aufforderungen in Verbform, sondern durch zu spielende Melodien vorantreibt, die man im Verlauf der Geschichte erlernen muss. Keine Ahnung, ob Katie Gately das Spiel kennt; ihr Albumcover zeigt eine komplett zerlegte Fabrikhalle, aber ob da einst Webstühle drinstanden…? Womöglich wurde das Foto aus eher ästhetischer Motivation gewählt. Letztlich ist es auch ein angemessenes Bild für den Tod ihrer Mutter im Jahr 2018. Die Diagnose der Krebserkrankung war wesentlicher Ausgangspunkt für die Arbeit an diesem Album.
Wie Color hat Loom eine Gesamtspielzeit von 42 Minuten, und wieder gibt es Songs mit kurzen Titeln, aber teils epischer Länge. Allerdings steht der Gesang diesmal mehr im Vordergrund; die komplexe Instrumentierung und die extravaganten Rhythmusbasteleien wurden deutlich vereinfacht und auch transparenter gemischt, doch die ambitionierte Erzählhaltung bleibt dieselbe. Gately möchte ihre ganz eigene, neue Art von Songs erarbeiten, die zwar Avantgarde sind, aber diesmal um einiges eingängiger als zuletzt. Es ist also viel passiert in den etwa drei Jahren. Zwischenzeitlich durfte sie Remixes für Björk und Zola Jesus machen und einen Teil des vielgelobten Debütalbums ihres Landsmanns Josiah Wise, der unter dem Alias serpentwithfeet in Erscheinung tritt, produzieren – und dabei hat sie dessen Gospel-/Soul-Songs mit ihrer wilden Soundästhetik aufgekratzt. Daher klebt auf der CD lustigerweise gleich der Hinweis, dass es sich bei Katie Gately um die serpentwithfeet-Producerin handelt – als wäre das eine entscheidende Verkaufshilfe.
Ein schöner Einstieg in den Kosmos von Loom ist der Song Waltz, früher hätte man gesagt: die Single – zu der es auch direkt ein eindrucksvolles Musikvideo von der jungen Regisseurin und Performerin Samantha Shay gibt, die schon mit Marina Abramovic arbeitete und auch sonst viel mit Musiker/innen macht. Auf ihrer Webseite steht, dass sie „multisensorische, poetische Landschaften schafft, die an lebendige Träume erinnern und wie eine willkommene Halluzination auf den Körper wirken.“ Auf Waltz trifft diese Beschreibung jedenfalls sehr gut zu. Der Song ist inspiriert von Leonard Cohens Take This Waltz, dem Lieblingslied ihrer Mutter, das Gately 24 Stunden lang in Schleife gehört haben soll, bevor sie ihr eigenes Stück ausarbeitete. Katie Gately zog für die Arbeit an diesem Album von Los Angeles zu ihren Eltern nach Brooklyn um, wo sie meist nachts an der Musik arbeitete. In den wenigen Presseinformationen, die ich finden konnte, ist zu lesen, dass die verschiedenen Stücke „Personifikationen“ seien oder „abstrakte Gefühle“ aus dieser Zeit beschreiben. Das kann dann aber auch mal die Sicht der Mutter einnehmen oder gar die Perspektive der Krebskrankheit oder der Medikamente. Liest man, dass Samples wie die Schreie eines Pfaus, heulende Wölfe, das Geräusch vom Schließen eines Sarges oder des Schüttelns von Pillenbehältern und sogar Erdbeben auf der Platte zum Einsatz kommen, wird man, gerade auch nach Color, ein weitaus geräuschhafteres und extremeres Album vermuten, als Loom, das oftmals sogar gerade poetisch und sanft schillernd songhaft geworden ist, tatsächlich klingt. Und vor allem ist es alles andere als derart düster.
Ich empfehle einen Ausflug in die musikalische Welt von Katie Gately jedem, der die Popmusik der Zukunft sucht. Ihre reiche, sehr zeitgemäße Songkunst könnte ein Weg dorthin sein.