Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 10 Jan.

Before the Police came …

von: Uli Koch Filed under: Blog | TB | Tags:  | 3 Comments

1969 fuhr der junge Dirigent der Münchner Kammeroper nach Amerika zu Bob Moog, um sich über dessen Modularsynthesizer zu informieren. Von einer Mäzenin hatte er 60000,- DM mitbekommen, um bei gefallen einen solchen erwerben zu können. Nach mehrtägiger Einweisung war er mehr als begeistert und kaufbereit. Doch Bob Moog musste ihn wegen der gerade explodierenden Bestellliste gründlich desillusionieren und bat ihn in zwei Jahren wiederzukommen. Doch kurz bevor er zurückfliegen wollte traf eine Lieferung mit vier riesigen Kisten im Hof des Herstellers ein: John Lennon hatte seinen Synthesizer mit der lakonischen Bemerkung: „Too complicated!“ wieder zurückgeschickt. Das war die Chance für Eberhard Schoener, der sofort zugriff und das Exemplar nach München bringen ließ. Bald darauf trat er zum ersten mal damit auf der Weltausstellung in Osaka auf und setzte seine Ideen und Experimente in den folgenden Jahren musikalisch sehr vielschichtig um, wobei seine Herkunft aus der Klassik auf subtile Weise sicherstellte, dass er hierbei die klischeehaften Entgleisungen vieler anderer Musiker weiträumig umschiffen konnte. So legte er 1974 mit Meditation ein bemerkenswertes frühes Ambientalbum vor, dass sich hinter den Klangforschungen der Berliner Schule nicht verstecken musste. Es folgten Bali Agung, das irgendwo zwischen Gamelan unf Trance den Hörer mit auf eine damals völlig neuartige Reise nahm und das programmatische Trance-Formation. Dieses Album markierte den Einstieg des späteres Police-Mitgründers Andy Summers; auf dem Folgealbum Flashback waren dann auch schon Sting und Steward Copeland dabei. Wer aber vermutet, dass sich hier auch nur irgendetwas nach den späteren The Police angehört hätte, irrt aber gewaltig. Es war eher ein Einstieg in den damaligen elektronischen Prog-Rock, dem man den klassischen Hintergrund und eine hohe musikalische Differenziertheit schnell anmerkte. Allein deshalb bin ich es bis heute nicht müde geworden seine 70er-Jahre-Alben immer wieder einmal aufzulegen und überraschend Neues, bisher Überhörtes zu entdecken. Das Ende dieser wunderbaren Serie bildete Video-Magic, das bis heute aus mir unbegreiflichen Gründen nie mehr wiederaufgelegt wurde und irgendwo im Niemandsland zwischen tranceartiger Elektronik, Jazz, Prog-Rock und klassischer Musik spielend wandelt.

 
 

In our day and age

we are experiencing the magic

of technical science.

II see the magic

in the city neon signs.

In the newspaper advertisements.

In the everpresent television

and in the constant

availability of music.

The music of „Video-Magic“

involves all this aspects.

For no one can deny

himself this magic.

A Koan.

 
 

schreibt Eberhard Schoener im Innencover. Ein Text der die magische Aufbruchstimmung der 70er-Jahre, die Faszination für das Artifizielle in Musik und visuellen Künsten, das Spiel mit Neon und Lasern recht treffend wiedergibt. Dinge, die schon lange nicht mehr innovativ sind und auch über die hyperpräsente Musik macht sich auch kaum noch einer Gedanken. Eine Zeitreise. Die erste Seite des Albums ist noch eher rockorientiert: Der elegante Opener Octogon erinnert ein bisschen an Pink Floyd, Speech Behind Speech ist eine komplexe Prognummer mit Ohrwurmmelodie, die von der noch etwas dünnen Stimme Stings intoniert wird, Natural High zitiert in geschickt arrangierten Fragmenten aus der damaligen Rock-Historie, wobei etwas ganz neues entsteht. Und schließlich Code Word Elvis, eine lange magische Ballade, die zwischen den Stilen nahtlos schwingt und auch das Orchester der Münchner Kammeroper, dessen Dirigent Schoener immer noch war, zum Einsatz kommt. Die zweite Seite ist dann hypnotischer und der grosse Moog bestimmt die Klangräume recht komplex und vielschichtig. Video-Magic steigt in eine sequentielle Trance ein, die in Night Bound City elegant fortgeführt wird. Mit San Francisco Waitress kommt Sting noch einmal zum Einsatz und schließlich endet das Album mit Koan, einem langen magischen, von Synthesizerflirren, Streichern und Jazzelementen getragenem Stück, in dem der Brückenschlag zwischen Elektronik, klassischer Komposition und einer Vorwegnahme von Elementen des New Wave am elegantesten gelingt und den Hörer am Ende, wie bei jedem anständigen Koan mit fragend-meditierendem Staunen absetzt. Ein sehr bemerkenswertes Werk, das in dieser Melange nur in Deutschland entstehen konnte und selbst im Rückblick in der Musik der 70er-Jahre wie ein sehr eigenwilliger, vieles vorwegnehmender Fremdkörper verbleibt.

 
 

This entry was posted on Freitag, 10. Januar 2020 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

3 Comments

  1. Jan Reetze:

    Sehr vielen Dank, dass nicht nur an dieses Album, sondern an diesen Künstler erinnert wird. „Koan“ von dieser Platte halte ich für eines der wichtigsten Stücke der deutschen elektronischen Rockszene überhaupt.

    Eberhard Schoener, der übrigens seinen nach wie vor spielbaren Moog (den von John Lennon) gerade vor ein paar Wochen dem Deutschen Museum in München gestiftet hat, hat in meinem demnächst erscheinenden Buch ein eigenes Kapitel. Das wurde Zeit.

    Ich erinnere mich mit Vergnügen an die Aromaschwaden, die Schoener seinerzeit bei einem Konzert durchs CCH in Hamburg jagte — sie benutzen die Klimaanlage dafür, und das CCH brauchte Wochen, bis der große Saal wieder geruchsneutral war.

    Und nie werde ich die völlig ratlosen Gesichter der Studiozuschauer vergessen, als Schoener bei Rudi Carrell mit dem balinesischen Orchester auftrat. Einfach wunderschön.

  2. Uwe Meilchen:

    An den Auftritt des Gamelan Orchester bei Rudi Carrell erinnere ich mich auch und gerne. Vielleicht ist diese ungewöhnliche Samstagabendshowbesetzung ein Verdienst von Alfred Biolek, der Produzent der „Am laufenden Band“ Sendungen beim WDR war – und in seinem „Bio’s Bahnhof“ eine ganz eigene Mischung aus Luigi Nono, Paper Music, Kate Bush und vielen mehr präsentierte.

  3. Uli Koch:

    Lieber Jan, bezüglich „Koan“ teile ich Deine Einschätzung völlig, auch weil es meines Wissens kein Pendant in der elektronischen Szene gegeben hat. Dieses Stück hat eine einzigartige Magie.

    Wenn Eberhard Schoener in Deinem Buch ein ganzes Kapitel bekommt macht mich das natürlich neugierig auf das, was da kommt …

    Schoener hat mit einer erstaunlichen Souveränität und einem großen Selbstverständnis mit vielen Konventionen des damaligen Musikbetriebes gebrochen, oder besser: sie einfach geschickt ignoriert und so den Raum für seine eigenwilligen Kreationen geschaffen.

    Und da musste halt auch die Chance genutzt werden bei Rudi Carrell aufzutreten.


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