Gregors Rückblick auf Musik des Jahres 2019 hat mir deswegen außerordentlich gut gefallen, weil mein Musikgeschmack großvolumige Übereinstimmung mit seinem aufweist. Ich konnte die Sendung nicht anhören als sie on Air lief. Ich musste mitschneiden, konnte deswegen mich umso intensiver auf das Gehörte einlassen, ich konnte stoppen, mir Gedanken und Notizen machen und mich zum Recherchieren auf den Weg begeben. Es liegt also nahe, die Eindrücke in ein Hörprotokoll zu verpacken.
„Es ist genau 19 Uhr, Sie hören das Freie Radio für Stuttgart mit der Sendung Jazz funkt, am Mikrophon begrüßt Sie herzlich Gregor Mundt“.
Das kommt ein wenig hastig aus Gregors Mund. Naja, ich kenne das. Man ist aufgeregt, und schon spielt man das Klavierstück vor Publikum schneller denn je, wie aufgezogen eben.
Es geht sofort los mit Klavier, mit The Windup, was von Google als „Das Aufziehen“ übersetzt wird. Die Tonqualität ist nicht high fidel, es klingt nach einem klanglich ordentlichen Bootleg – hä? doch nicht etwa eine bisher unveröffentlichte Perle des European Quartets von Jarrett? Welcher andere Pianeur als Keith würde sich an diesen affenschweren Fingerbrecher wagen? Aber der Verdacht fällt in sich zusammen, sobald der Drummer loslegt. Der ist mir doch etwas zu aufgedreht, zu hyperaktiv, und zwar das ganze Stück hindurch. Das hat Jon Christensen wesentlich geschmackvoller und raffinierter hinbekommen. Aber der Pianist macht es fantastisch – er heißt Joey, das bürgt für Qualität. Joey Calderazzo (einst Schüler von Richie Beirach) spielt ein fulminantes Solo. Der Saxophonist, der Bandleader ist Branford Marsalis, ebenfalls ein großer Virtuose mit herrlichen Einfällen. Joey und Branford gelingt eine verschmitzte Rückkehr ins Thema, wie mir scheint mit ein paar kleinen Zitaten bzw. bekannten Licks garniert, dem Hörer zum Rätselraten vorgesetzt. Beim Thema angekommen fühlt man sich wieder im Jarrett-Kosmos zu Hause, man kehrt zurück aus einer Bebop-Postbop-Welt, die das Jarrett-Garbarek-Quartet in ihrem aufgedrehten „Windup“ von 1974 nie betreten hat.
Branford Marsalis Quartet
The Windup
Album The Secret Between The Shadow And The Soul
Das erste Stück des Radioabends ist eine Jarrett-Komposition, gespielt vom Branford-Marsalis-Quartet. Nur noch einer hat es gewagt, The Windup auf ein Album zu bringen: der schwedische Gitarrist Ulf Wakenius. Die Komposition ist entstanden, als der große Klavierimprovisator auf dem Hochplateau seiner Kreativität weilte. Schade. Jarrett, der Komponist – diese Quelle hat Keith still gelegt seit er mit anderen Musikern nur noch Standards interpretierte.
Das Label Hubro
Das Label Hubro kenne ich noch nicht lange. Es mögen Klanghorizonte des Jahres 2018 gewesen sein, da widmete Michael Engelbrecht eine Stunde einem ungewöhnlichen norwegischen Instrument, der Hardingfele (Hardanger Fiedel).
Dadurch kam es zur Bekanntschaft mit Musikern wie Nils Økland, Erlend Apneseth, mit ihren Bands, mit ihrer Musik. Das war doch eine Entdeckung! Unglaublich, wie auf Basis tief respektierter Traditioneller Nordischer Musik ein neuer regionaler Tonfall entstanden ist durch die offene Aufnahme von Elementen aus der Ferne, aus Jazz, Rock, Ambient und and et …
Der Block begann mit Inngang aus dem Album Umbra von Lumen Drones. ’Drones‘ ist die englische Bezeichnung für ‘Bordun‘, was so viel heißt wie ’Brummbass‘. Ein Drone, ein Bordun ist ein meist tiefer Halteton zur Begleitung einer Melodie. Diese Technik, eine Melodie klanglich einzukleiden mit einem Ton oder einem Quintklang ist uralt und weltweit verbreitet. Vielen Instrumenten ist der ’Drone‘ einverleibt, dem Dudelsack als fest eingestimmte Bordunpfeifen, der Hardingfele als ungegriffen mitschwingende, „leere“ Aliquot-Saiten. Bei Lumen Drones wimmelt es vor betörenden Haltetönen und natürlich auch bei den folgenden gut gewählten Stücken.
Lumen Drones, Umbra – Inngang
Frode Haltli, Border Woods – Taneli`s Lament (Sorrow Comes To All)
Stein Urheim, Simple Pieces & Paper Cut-Outs – Blavals
Mats Eilertsen, Reveries And Revelations – Appreciate
Mats Eilertsen, And Then Comes The Night – After The Rain
Olivier Messiaen
Album Catalogue d’Oiseaux
Gut 40 Minuten sind vergangen, da erklingt wieder ein Klavier. Was für ein hinreißender Sound im Vergleich zum bootlägigen Klang des Pianos von Joey. Aber viel bedeutender ist die erklingende Musik. Was man von diesem Stück wissen sollte, hat Gregor in seinem Kommentar dargelegt. Ich mag Messiaen sehr, vor allem, man kann sagen fast ausschließlich seine Klavierwerke, die Préludes (ein Frühwerk), die Vingt régards sur l’enfant-Jésus und den Catalogue d’Oiseaux aus dem ein Stück vorgestellt wurde.
Daniele Di Bonaventura
Album Garofani Rossi
Lieder des Widerstands und der Revolution sind ja, vorzugsweise von großen Menschenmassen, „auf den Straßen zu singen“ (Hanns Eisler). Entsprechend schlicht und eingängig sind sie gehalten. Interessieren sich Jazzmusiker dafür, solche Lieder zu spielen? Nicht nur Peter Brötzmann oder Das Kapital haben es getan („Einheitsfrontlied“), auch Feingeister wie Charlie Haden (mit seinem Liberation Music Orchestra) oder Jan Garbarek („Hasta Siempre“).
Jetzt nimmt der italienische Bandoneonist Daniele di Bonaventura sich ihrer an. Ihn kennt man etwa als Duopartner von Paolo Fresu, auf dessen feinem Label Tûk er nun erscheint.
Wie der wortspielerische Bandname „Band’Union“ sein Instrument mit der Vorstellung eines Kollektivs verknüpft, hat Witz. „Garofani rossi“ („Rote Nelken“), der Titel des Albums, und die Wandmalerei auf dem Cover weisen auf die „Nelkenrevolution“ von 1974 in Portugal, das Ende der Militärdiktatur. Ausgelöst wurde sie durch ein Lied: „Grândola, vila morena“, das 2013 gegen die Sparpolitik von Regierung und Troika erneut aktiviert wurde.
Dieses stellt Bonaventura ins Zentrum seines Albums, umgeben von „Hasta siempre“, „Bella ciao“, „Die Internationale“, „El pueblo unido …“ und anderen Klassikern des Genres. Mit seinem Quartett unterstreicht er ihren kantablen Gestus, reichert sie harmonisch an und schafft Raum für einfühlsame Improvisationen. Der Klang des Bandoneons verleiht dem Ganzen einen Hauch von modernem Tango, sein Zusammenspiel mit einer zehnsaitigen Gitarre ist von kammermusikalischer Finesse. Kampflieder als filigran-mediterraner Jazz, ohne ihr widerständiges Potenzial glattzubügeln.
Quelle: Berthold Klostermann in FONO FORUM
Rabbia, Petrella, Aarset
Night Sea Journey
Album Lost River
ECM 2609
Umwerfend, was für eine Klangwelt!
Lorenzo Feliciati, Michele Rabbia
Parapegma
Album Antikythera
Rarenoise
Was für seltsame Namen! Nicht die der Musiker! Antikythera? Nie gehört, da muss ich nachgoogeln.
Es war die wohl erste Unterwasser-Archäologieexpedition aller Zeiten, doch das wichtigste Fundstück blieb fast unbeachtet. Rund ein Jahr, nachdem der griechische Schwammtaucher Elias Stadiatis im Frühjahr 1900 nahe der kleinen Insel Antikythera ein versunkenes römisches Schiffswrack entdeckt hatte, durfte er auch bei der Hebung der vermuteten Schätze mitarbeiten. Aus rund 40 Metern Tiefe bargen Stadiatis und seine Kollegen Statuen aus Marmor und Bronze sowie andere Kunstschätze aus dem 300-Tonnen-Handelsschiff. Auch Alltagsgegenstände wie Amphoren und Münzen kamen ans Tageslicht – und ein schuhkartongroßer Klumpen, der unter der Archivnummer 15087 katalogisiert und anschließend vergessen wurde.
Während vor allem die Statuen die Wissenschaftler faszinierten, kümmerte sich kaum jemand um den deformierten Klumpen. Im Mai 1902 bemerkte der griechische Archäologe Valerios Stais dann, dass das Artefakt aufgesprungen und in mehrere Teile zerbröselt war. Das Gerät, das später als Mechanismus von Antikythera bekannt werden sollte, war zerstört – und Forscher versuchen seitdem mühevoll, den Überbleibseln ihre Geheimnisse zu entlocken.
Erst seit einigen Jahren ist klar, dass der mysteriöse Mechanismus unter anderem ein Kalender zur Vorhersage von Mond- und Sonnenfinsternissen war – und, wie man seit vergangenem Sommer weiß, auch eine Art Terminplaner für die Wettbewerbe in den Zeiten zwischen den Olympischen Spielen. Doch längst sind noch nicht alle Fragen geklärt. Der antike Computer, dessen Präzision mehr als tausend Jahre lang unerreicht blieb, gibt den Forschern noch immer Rätsel auf.Quelle Spiegel 2009
Wikipedia verrät: Ein Parapegma (griechisch παράπηγμα „Tafel“, „Kalender“) ist ein antiker Steckkalender, der von den Griechen auf Grundlage der babylonischen Astronomie mit Wettervorhersagen verbunden wurde.
Rolf Kühn
Both Sides Now
Album Yellow & Blue
MPS
Eine minutenlanges betörendes Solo des Pianisten Frank Chastanier leitet hin zu Rolf Kühns warmem Klarinettenton für Joni Mitchells wunderbare Ballade Both Sides Now. Das ist Musik, die keine Worte braucht.
Liederbuch
Dazu kann ich nicht viel sagen. Ich bin ein Anhänger von Instrumentalmusik. Ich habe schon sehr lange keine Schubert-Lieder mehr gehört und Popsongs gehe ich aus dem Weg. Bestimmt versäume ich etwas dabei, aber das stört mich nicht. Alles habe ich nicht versäumt. Immerhin habe ich viel Frank Zappa – was ich nicht zur Popmusik rechne – gehört. Da gibt es auch eine Menge Text, aber nix Gefühlsduseliges. Die Beatles sind musikalisch so gut, da kann der Text nichts vermasseln. Die Beatles Texte entpuppten sich ohnehin schon längst als literarische Preziosen. Pink Floyd waren am besten auf dem Studioalbum von Ummagumma. Da gebrauchten sie nicht viel Worte. Aber das lieben die pinken Musiker nicht, sondern mögen eher den Schmalz und Bombast ihrer anderen Alben. Ok, das gehört nicht daher. Aber wortlos möchte ich nicht am Liederbuch vorbeigehen.
Nick Cave & The Bad Seeds, Ghosteen – Waiting For You
Wilco, Ode to Joy – Love is everywhere (Beware)
James Yorkston, The Route to the Harmonium – Like Bees to Foxglove
mute records – STUMM433
Gregors Ansage und sein Kommentar kamen erst nach dem Vortrag dieses Stücks zu Gehör. Deshalb verschiebe ich meine Ansage und meinen Kommentar hinter das Bekenntnis meiner Eindrücke.
Man hört ein sich gering wandelndes Rauschen, gelegentliche Tierlaute. Ab und zu erinnert ein rollendes Grummeln an fernen Donner, weshalb ich die Ursache des Geräuschs leichtem Regen zuschreibe. Aha, dachte ich, ein klassisches Ambient-Stück. Wenn es also eine Aufnahme im Freien ist, mag sie eine gewisse Bedeutung für den Aufnehmenden haben. Ich habe schon einmal Regengeräusche erlebt, Regen, der ununterbrochen fiel von 2 Uhr morgens bis 24 Uhr abends. Sicher habe ich nicht alle Tropfen gehört, denn ich bin in meinem Zelt wohl ab und zu eingeschlummert wenn der Wind das Zelttuch nicht zu laut knattern ließ. Es war eine Übung in geduldigem Zuhören, damals in Island unterhalb des Hellnafjalls. Ich kenne noch das Datum des Tages. Es war der 22. Juli 2011. Als ich am nächsten Tag meinen Freund in Reykjavík anrief und nach der Wetterlage fragte, erzählte er von den Anschlägen in Oslo und auf der Insel Utøya. Ich hatte schon einmal die Idee, bei meinen Islandreisen keine Kamera, sondern meinen SONY Digital-Recorder mitzunehmen und statt eines Fotoalbums ein Klangalbum anzulegen.
Die Idee des Labels ist natürlich pfiffig. „mute records“ heißt ja „Plattenfirma Stumm“. Da muss man wissen, was mit 433 gemeint ist: die Auflage des Albums umfasst 433 Exemplare. Und dann muss man wissen, dass 4’33 (4 Minuten 33 Sekunden) eine Komposition von John Cage ist. Und dann muss man wissen, dass diese Komposition von John Cage auf dieser Edition von Mute Records enthalten ist, leider nicht 433, sondern nur 58 Mal. Und dann muss man das Geheimnis von John Cages Stück kennen.
Gregor lüftete das Geheimnis in weniger als viereinhalb Minuten. Der Inhalt seiner Rede war nicht unähnlich Worten, die ich im Spiegel gefunden habe:
Am 29. August 1952 führte der Pianist David Tudor zum ersten Mal John Cages Stück 4’33“ auf. Das Konzert in der Maverick Concert Hall nahe Woodstock erzeugte im Publikum einen mittelschweren Aufruhr. Nicht so tumulthaft wie etwa nach Stravinskys „Le sacre du printemps“-Uraufführung, aber doch so heftig, dass er in die Musikgeschichte einging. Cage hatte verfügt, dass der ausführende Musiker sein Instrument nicht bedient – viereinhalb Minuten lang.
Hörbar wurden durch 4’33“ mit einem Mal die Geräusche des Raumes, das Räuspern im Publikum, der sich steigernde Unmut. Tudor selbst sah in dem Stück „eine der intensivsten Hörerfahrungen, die man haben kann“. Anders gesagt: 4’33“ ist eine mit einfachsten Mitteln hergestellte Erweiterung des Begriffes davon, was Musik ist und sein kann.Quelle: Spiegel
Was Musik ist und sein kann, wird nicht – zumindest nicht im Sinne von John Cage – durch den Vertrieb dieser Vinyl-Box hinterfragt. Das liefert nur die altbekannte Antwort, dass Alles im kapitalistischen Wirtschaftssystem eine Ware ist. Hier ein kleiner Beleg für diese These, einer von vielen möglichen, gefunden bei Facebook:
#STUMM433 ist die neueste Version der MUTE 4.0 – Reihe:
Ein Box-Set, das eine beispiellose Auswahl vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Mute-Künstler auf Vinyl zusammenstellt (5Vinyl Box-Set), als sehr limitierte Box-Set-Edition mit einer Auflage von 433 Stück, die auch von Daniel Miller signiert wurden, auch als 5CD (Ltd Deluxe Box Set) sowie zum Herunterladen und Streamen.
#STUMM433 bietet eine riesige Auswahl von über 50 Mute-Künstlern.
Was Musik ist und sein kann, ist eine Frage, die ich für unlösbar halte. Es soll Sprachen geben, die kein Wort für Musik kennen. Schon bei Vogelgesängen scheiden sich die Geister. Ist das Gezwitscher Musik? Oder ist es erst dann Musik, wenn Olivier Messiaen die Vogellaute als Klaviermusik katalogisiert? Nun geht es John Cage um wesentlich mehr als diese Frage. Wer mehr über Cage wissen möchte, möge sich den wunderbaren Film The Revenge of the Dead Indians von Henning Lohner besorgen bevor er vergriffen ist.
John Cage interessierte die Stille auf vielfältige Weise. So besuchte er einmal einen schalltoten Raum, um Stille zu erfahren. Ich hatte ein einziges Mal in meinem Leben eine schalltote Gegend in freier Wildbahn erleben dürfen.
Unserer Umwelt wird nicht nur Licht, Feinstaub, Mikroplastik und zeeeOzwei im Übermaß zugeführt, sondern auch Schall. Die Welt war vor ein paar hundert Jahren leiser. Fernab der Zivilisation lebende indigene Völker hören besser.
Hörverlust im Alter scheint zumindest zum Teil zivilisationsbedingt zu sein. Bei Hörmessungen an den Ureinwohnern Australiens stellte man fest, dass ältere Aborigines noch fast so gut hören konnten wie jüngere. Daraus zog man den Schluss, dass das menschliche Gehör in Industrieländern wesentlich stärker dem Verschleiß ausgesetzt ist als in weniger entwickelten Regionen.
Quelle KIND Hörgeräte (Ex-Präsident Hannover 96)
Im Mittelalter waren Schmiede wegen der täglichen wuchtigen Hammerschläge von Schwerhörigkeit und Tinnitus bedroht. Aber zurück zur STUMM433 Vinyl-Box. Es handelt sich um ein originelles Gimmick, aber John Cages Idee wird verfehlt, wenn 4’33 auf Tonträger verbannt wird. Wahrscheinlich liefern alle 58 mute records Artisten irgendein Gedudel ab. 4’33 sollte vor Publikum erklingen. Die verrückteste Version ist hier zu finden. Unbedingt anschauen und bis zum Ende durchhalten! Ich verstehe, warum Keith Jarrett so gern und so oft in Japan aufgetreten ist. Wo sonst findet man so höfliche, stille, fast hustenfreie Zuhörer? Übrigens spendet mute records einen Teil des Verkaufserlöses der British Tinnitus Association. Angesichts der Auflage von 433 Exemplaren dürfte die Spende von überschaubarem Umfang sein.
Rachmaninoff / Trifonov: Vocalise op. 34 Nr. 14 für Klavier
Daniil Trifonov (*1991) gehört jetzt schon zu den bedeutendsten Pianisten der Gegenwart. Er steht in meiner Favoritenliste 2019. Vocalise ist ein recht bekanntes Werk Rachmaninoffs, eine anrührende Miniatur, die in Livekonzerten eher als Encore zu hören ist. Die Hauptwerke des hier vorliegenden Albums sind Rachmaninoffs Klavierkonzerte No. 1 und No. 3. Wer eine Aufnahme von „Rach 3“ sein eigen nennt, möge sich einen Liveauftritt Trifonovs (Paris 2015) zu Gemüte führen. Natürlich ist es eine Empfehlung für alle. Aber man muss schon ca. 40’33 aufbringen …
Rachmaninoff, Klavierkonzert No. 3 in d-Moll
Vocalise (arr. Daniil Trifonov)
Louis Sclavis
La dame de Martigues
Album Characters On A Wall
ECM 2645
Vier herrliche Stücke, von denen drei auf ECM-Alben zu finden sind bilden den Ausklang. Ohne den gesamten ECM-Kosmos zu repräsentieren wird erneut demonstriert, was ohnehin bekannt ist: ECM ist das außergewöhnlichste Label in der bisherigen Geschichte der Tonträger.
Marco Ambrosini & Ensemble Supersonus
Rosary Sonata No. 1
Album Resonances
ECM 2497
Dass die Titel und die Besetzung der Stücke erst angesagt wurden, nachdem sie verklungen sind, ließ Freiraum beim Zuhören. Bei diesem Stück habe ich mir viele Notizen gemacht:
da ist Maultrommel dabei – Obertonspiel / Nyckelharpa? oder Gambe / Cembalo / hohe Flöte mit unangenehmem Ton oder singende Säge? nee das ist Obertongesang a la Tuva / Psalterium (Hackbrett) ? / interessante Instrumentierung / Zeit: Renaissance Frühbarock / Variationsform
Und hier ist die Besetzung:
Marco Ambrosini – Nyckelharpa / Anna-Liisa Eller – Kannel / Anna-Maria Hefele – Polyphonic Overtone Singing, Harp / Wolf Janscha – Jew’s Harp / Eva-Maria Rusche – Harpsichord, Square Piano
Was für eine Klangwelt und was für ein inspirierter Umgang mit Alter Musik! Der Titel brachte mich auf die richtige Spur. „Rosary Sonata“ – es konnte sich nur um eine der Rosenkranz-Sonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber handeln. Ich kenne sie nicht gut. Es ist lange her, dass ich sie gehört habe und dann bestimmt nur einmal. Aber sie sind berühmt. Im Jahr 2017 gab es eine wunderbare Sendung bei WDR3, die 2019 wiederholt wurde und deshalb noch bis zum 29. Mai 2020 nachgehört und heruntergeladen werden kann
Das Mysterium der Zeitlosigkeit
Bibers „Rosenkranz-Sonaten“ und das radikal Moderne
Von Janko HanushevskyAufnahme des WDR 2017
Der Komponist Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704) hat seine fünfzehn
Mysterien Sonaten den Geheimnissen des Rosenkranzes gewidmet. Sein Zyklus für Violine und Generalbass galt damals als radikal modern und zählt noch heute zum Schwierigsten, was das Repertoire des Frühbarock zu bieten hat.
„Heinrich Ignaz Franz Biber war ein Experimentierer“, sagt die Barockgeigerin Maya Homburger. Seit drei Jahrzehnten beschäftigt sie sich mit seinem Werk. Sie hat eine Gesamteinspielung der Mysterien Sonaten auf Originalinstumenten vorgelegt, hat aber auch Werke Bibers in unkonventioneller Duobesetzung mit ihrem Mann, dem Komponisten und Kontrabassisten Barry Guy, aufgenommen. Das Duo bewegt sich im Grenzgebiet zwischen alter und neuer Musik, verbindet Barock mit zeitgenössische Klangsprache, Komposition mit Improvisation. Dabei fühlen sich die beiden Musiker dem Experiment verpflichtet. So hat Guy Interventionen zu einer Mysterien Sonate komponiert und neue Musik für Barockgeige, die Referenzen auf Biber enthält.Quelle WDR
Sylvie Courvoisier, Mark Feldman
Homesick for Another World
Album Time Gone Out
intakt CD 326 http://www.intaktrec.ch/326-a.htm
Meine Notizen:
Streichinstrument, leicht verfremdet klingende Geige – sehr interessantes Intro / Piano, inneren Saitenglissandi, Anschlag handgedämpfter Saiten / extrem interessant
Seit bald zwanzig Jahren definieren Sylvie Courvoisier und Mark Feldman den Dialog zwischen westlicher und amerikanischer Musik, Improvisation und Komposition, Tradition und Moderne kontinuierlich neu. Die verschiedensten Spielhaltungen und atmosphärischen Valeurs vernetzen sich in den hellwachen Reaktionen der beiden Spieler – Tanz, Weltschmerz, befreiende Energie, Bekenntnis zu schlichter Schönheit, schrille Sprungkaskaden.
Quelle: INTACT RECORDS
G. Trovesi & G. Coscia
Gragnola
Album La Misteriosa Musica Della Regina Loana
ECM 2652
Dieses äußerst unterhaltsame und höchst erfindungsreiche Album ist dem verstorbenen Umberto Eco gewidmet, einem lebenslangen Freund des Akkordeonisten Gianni Coscia und leidenschaftlichen Unterstützer dieses besonderen Duos. Ecos „The Mysterious Flame of Queen Loana“, eine Meditation über die Natur der Erinnerung, inspiriert Trovesi und Coscia auf ihrer eigenen nostalgischen musikalischen Forschungsreise, die auf die im Roman erwähnte Musik verweist und sich frei auf seine philosophischen Themen bezieht.
Quelle: ECM Records
Keith Jarrett
Somewhere Over The Rainbow
Album Munich 2016
ECM 2667
Mit Keith Jarrett als Komponist wurde die Sendung eröffnet, geschlossen wird sie mit Keith Jarrett als Interpret einer Fremdkomposition, mit seiner Lieblingszugabe in einer unglaublich komplexen Version, vielleicht seiner besten dieses hübschen Standards.
Dieses Solokonzert von Keith Jarrett – aufgenommen in der Münchner Philharmonie am 16. Juli 2016, am letzten Abend einer Europatournee – zeigt den großen Klavierimprovisator auf dem Höhepunkt seiner Kreativität.
Quelle: ECM
Ich bin nicht dieser Meinung. Ich halte – wie Michael Engelbrecht auch – die 60er und 70er Jahre für seine kreativste Zeit. Beim Münchner Konzert 2016 war ich glücklicherweise im Publikum. Dazu existiert ein Blogbeitrag, den ich für meine jüngste Amazon-Rezension verwendet habe.