Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Archives: Januar 2020

2020 31 Jan

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Es ist wohl kaum übertrieben zu sagen,

dass Ambient-, Drone- oder Dauermusik

ein besonderes Verhältnis zur Zeit hat,

und diejenigen unter uns,

die das Privileg haben,  die freie Zeit, sie zu hören

und sich ganz in sie zu vertiefen

können eine wesentliche Erleichterung erfahren.

Crary beschreibt den Schlaf als

„eine kompromisslose Unterbrechung des Zeitdiebstahls“.

Und obwohl die beste Ambient-Musik

die Aufmerksamkeit auf sich zieht,

anstatt in den Hintergrund zu geraten,

trifft seine Aussage zu:

Zeit zu finden,

um sich dem Hören zu widmen,

ist ein weiterer Weg, um Momente

aus dem scheinbar

immer mehr

quantifizierten Alltagsritual

zurückzugewinnen.

Aber in The Ballasted Orchestra steckt etwas Überwältigendes.

McBride und Wiltzie verzerren die Zeit

und dehnen die Seltsamkeit aus, die entsteht,

wenn man aus dem Takt der Uhr gerät.

Da wir scheinbar immer präziser

an das Vergehen der Uhr gebunden sind,

scheint sie noch mehr

ein seltsamer Ausreißer zu sein.

2020 31 Jan

Ein Gastbeitrag von Astrid Nischkauer

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Mein literarisches 2019
 

Als Rezensentin blickt man immer nur nach vorne: auf den immer viel zu hohen Stapel der erst-noch-zu-rezensierenden Bücher, auf die Verlagsvorschauen und die Bücher, die im nächsten Frühjahr erscheinen werden, etc., etc. Der musikalische Jahresrückblick von Michael Engelbrecht hat mir vor Augen geführt, dass Rückblicke im Literaturbetrieb ganz unüblich sind, aber vielleicht gerade deswegen besonders spannend wären. Ich habe mir daher einmal angesehen, welche Bücher und wie viele ich eigentlich im Laufe des Jahres nahezu ausschließlich für fixpoetry.com rezensiert habe und bin auf die doch recht beachtliche Zahl von 23 gekommen, von Oswald Egger bis Ilma Rakusa, das war mein 2019. Ich möchte nun mein literarisches 2019 an dieser Stelle noch einmal im Schnelldurchlauf revuepassieren lassen, und zwar querfeldein und nach Herzenslust über den grün-grünen Rasen rennend:

 

 

Querfeldein

Der Wildfang nimmt nicht die Wege, sondern quert Felder und Wiesen aufs Geratewohl. Auch den grün-grünen Rasen im Park, der vor lauter Gepflegtheit nicht betreten sein will. Rein – und rennen nach Herzenslust, unbekümmert um Grenzen, Vorschriften, Pfade.

 

 

Ilma Rakusa: Mein Alphabet (Droschl, 2019)
Von Steinen (und Sternen)

 

 

Die wunderbare Ilma Rakusa! In Mein Alphabet fächern uns Gedichte, Prosatexte und Selbstinterviews ihr Leben und Schreiben auf, nehmen uns mit in ihre Welt und machen uns mit ihrer Art die Welt zu sehen, zu betrachten und zu bestaunen vertraut: „Oh, schau!“

Hototogisu von Eric Giebel versammelt sehr einfühlsam erzählte Prosaminiaturen, welche in der ganzen Welt verortet sind. Es geht um Menschen und Mitmenschlichkeit, auch wenn viele Tiere in den Kurzerzählungen auftauchen.

 

 

„Lass das!“, wehrt Lani ab. „Ich bin keine Figur, mit der du dein Spiel treiben darfst. Ich bin lebendig, im Jetzt! Du sollst mit mir reden!“

 

 

Eric Giebel: Hototogisu (Pop, 2018)
Von Elstern, Raubkatzen und Nachtmenschen

 

 

Norwegen war diesjähriges Gastland der Frankfurter Buchmesse. Aus diesem Anlass habe ich auf fixpoetry eine Anthologie zeitgenössischer norwegischer Lyrik vorgestellt, und zwar die im Verlag das Wunderhorn erschienene Anthologie Sternenlichtregen. Sie enthält Gedichte von neun Dichterinnen und neun Dichtern aus mehreren Generationen.

 

 

wiege mich sachte
winternacht
wispere mich
still

 

 

Rawdna Carita Eira, übersetzt von Claudia Palser-Kieser in:
Sternenlichtregen. Zeitgenössische Lyrik aus Norwegen (Verlag Das Wunderhorn, 2019)
himmelwärts

 

 

Schreiben als permanentes Weiterschreiben, kaum jemand verkörpert das so radikal wie Franz Dodel mit seinem bereits sechs Bände umfassenden Endlosgedicht Nicht bei Trost. Der zuletzt veröffentlichte Teil davon trägt den Untertitel Capricci. Eine weitere Besonderheit dieses durch und durch besonderen Projekts ist die Tatsache, dass Franz Dodel nicht nur ständig weiterschreibt, sondern uns auch teilhaben lässt an diesem ständigen Weiterschreiben, indem er den noch nicht veröffentlichten neuesten Abschnitt auf seiner Homepage vorab veröffentlicht und laufend neue Zeilen ergänzt. Einfach rein springen, irgendwo anfangen und genießen:

 

 

an Übergängen
vom einen zum anderen
und vom anderen
zum einen geschieht auch mir
Unerwartetes

 

 

Franz Dodel: Nicht bei Trost. Capricci (Edition Korrespondenzen, 2019)
Wenn Bäume sich lieben

 

 

Monika Vasik feiert in ihrem neuen Gedichtband hochgestimmt die weibliche Stimme in all ihren Facetten, Höhen und Tiefen. 67 Gedichte sind es, jedes davon widmet sich je einer Sängerin, ihrer Musik, ihrer Art zu Singen und ihrem Schicksal:

 

 

stille zum zerreißen gespannt plötzlich
erste töne aus den tiefen deines mundes
wie perlen so klar so rein jede silbe

 

 

Monika Vasik: hochgestimmt (Elif Verlag, 2019)
lost in sound

 

 

Ein Debut, das es in sich hat, legte Eva Maria Leuenberger mit dekarnation vor. Unheimliche Gedichte, unheimlich präzise Gedichte. Form und Inhalt sind eins, die Worte gehen, wehen und fließen und die Sprache durchläuft selbst den Prozess einer Dekarnation, bis nur noch fahlweiße Knochen übrig bleiben.

 

 

du spürst das wasser
an deinen knöcheln
darunter stein

das wasser ist klar

 

 

Eva Maria Leuenberger: dekarnation (Droschl, 2019)
bis dein körper kein körper mehr ist

 

 

Dem hochroth-Verlagskollektiv habe ich ein umfangreiches Verlagsportrait gewidmet und je ein Buch der acht verschiedenen Standorte vorgestellt, um die Vielfältigkeit dieses zauberhaften Projekts aufzuzeigen. Achtmal komprimierte Lyrik vom Feinsten, Herz, was willst du mehr? Von hochroth Heidelberg habe ich den zweisprachigen Band Spiegel der Spione / Espejo de los espías von Ángeles Mora vorgestellt:

 

 

Wenn du dem Herz,
das sich dir öffnet,
Wasser gibst,
kannst du glücklicher sein,
als wenn du es herausreißen würdest.

Regando el corazón
que se te ofrece
puedes ser más feliz
que si lo arrancas.

 

 

Ángeles Mora: Spiegel der Spione / Espejo de los espías. Aus dem Spanischen von Geraldine Gutiérrez-Wienken und Martina Weber (hochroth Heidelberg, 2019)
Ángeles Mora: Spiegel der Spione

 

 

Bei Daniel Bayerstorfer (hochroth München) geht es zum einen planetarisch musikalisch zu – „Scheiße, wir müssen zu diesem Zwergplaneten! Andromeda sagen / und sehen.“ – zum anderen nimmt er sich in seinen Gedichten genannten und ungenannten Orten an:

 

 

Die Zypressen von San Michele liegen wie das Blatt einer schwarzen
Säge im Wasser und raspeln ein bisschen am Himmel, streicht der
Wind durch die Nadeln. Ein Phönix aus Marmor hat Opern im
Magen: immer neu aufgeführtes Repertoire;

 

 

Daniel Bayerstorfer: Gegenklaviere (hochroth München, 2017)
Daniel Bayerstorfer: Gegenklaviere

 

 

Ein symphonischer Text von Leon Skottnik (hochroth Bielefeld) ist in vielerlei Hinsichten besonders, handelt es sich doch um einen aus Noten aufgebauten und in vier Sätze unterteilten Text, der in uns einen ähnlichen Empfindungszustand hervorrufen möchte, wie beim Hören einer Symphonie.

 

 

und alles singt
lächelnd und erschlagen
von den Noten
den Worten
den Zweigen
im Sturm

 

 

Leon Skottnik: Ein symphonischer Text (hochroth Bielefeld, 2018)
Leon Skottnik: Ein symphonischer Text

 

 

Sehr stille, bedachte und sachte Gedichte schreibt Melanie Katz (hochroth Wiesenburg):

 

 

so zupften wir einander
die blätter von blüten
aus den augen
die fielen in meine geöffnete hand

 

 

Melanie Katz: Silent Syntax (hochroth Wiesenburg, 2018)
Melanie Katz: Silent Syntax

 

 

Von Herta Müller sind bei hochroth Paris rumänische Collagen mit Übersetzungen ins Französische erschienen:

 

 

Mais quand je le suis, je le suis! Disons
coupable.
Oui mais voilà
je ne sais pas quand
vers le soir
dans le vent, des nids carrés
plus ou moins
foin

 

 

Herta Müller: ion ou non (hochroth Paris, 2018)
Herta Müller: ion ou non

 

 

Auf Deutsch wäre das in etwa in eigener Übersetzung: „Aber wenn ich’s bin, bin ich’s! Sagen wir / schuldig. / Ja aber hier sind / ich weiß nicht wann / gegen Abend / im Wind, viereckige Nester / mehr oder weniger / Heu“

 

Die tschechische Dichterin Marie Šťastná geht in ihren Gedichten an die Schmerzgrenze, beschreibt beispielsweise den Moment in welchem zwei Mütter um das Leben ihrer Kinder bangen und eine der beiden trotz Angst im Bauch und Zittern in den Händen die andere Frau anblickt und wünscht, sie könnte sie irgendwie trösten. Das Besondere und Unerwartete findet Marie Šťastná gerade im scheinbar Alltäglichen. Das kann mitunter durchaus unheimlich sein, kann doch selbst ein ganz gewöhnlicher Brieföffner zur Mordwaffe umfunktioniert werden. Gedichte als eine Möglichkeit, die Wirklichkeit wie Blumen in Backpapier flach zu bügeln und so jedes Äderchen und jede Unregelmäßigkeit erkennen zu können, das führt uns der Band sehr eindrücklich vor Augen:

 

 

Blumen in Backpapier bügeln
Jedes Äderchen tritt heraus
jeder zufällige Fehler
der eigentlich kein Fehler ist
denn die Natur irrt sich nicht
sie irrt sich nie
nur manchmal weicht sie ab

Žehlení květin v pečícím papíře
Vystoupí každá žilka
každá náhodná chyba
která vlastně není chybou
protože příroda se nemýlí
nikdy se nemýlí
jen občas uhne stranou

 

 

Marie Šťastná: Wenn das Wasser kocht. Aus dem Tschechischen von Julia Miesenböck (hochroth Leipzig 2018)
Marie Šťastná: Wenn das Wasser kocht

 

 

Von hochroth Wien habe ich ebenfalls einen Band mit übersetzten Gedichten vorgestellt, und zwar von der iranischen Dichterin Nahid Kabiri, in der Übersetzung von Kurt Scharf. Sehr persönlich und zugleich sehr politisch auf dezente Art und Weise mit einer sehr poetischen Sprache, das sind ihre Gedichte.

 

 

Granatapfelkerne
Sie tropfen
Tropfen
Für Tropfen
Von der „Straße der Revolution“
Auf die Straße namens „Freiheit“…

 

 

Nahid Kabiri: Garten, mit Nägeln. aus dem Persischen übersetzt von Kurt Scharf (hochroth Wien, 2017)
Nahid Kabiri: Garten, mit Nägeln

 

 

Ich hatte das große Glück, den Ethnopoeten Jerome Rothenberg in Wien bei einer Lesung in der Alten Schmiede gemeinsam mit seinem Übersetzer Norbert Lange erleben zu dürfen. Sein bei hochroth Berlin erschienener Band Rituale & Events versammelt ebensolche aus der ganzen Welt:

 

 

MEERESWASSER-EVENT

Die Gezeiten des Meeres werden getanzt; einige Vögel & Tiere
werden miteinbezogen.
(Arnhemland, Australien)

 

 

Jerome Rothenberg: Rituale & Events. Übertragen von Norbert Lange (hochroth Berlin, 2019)
Jerome Rothenberg: Rituale & Events

 

 

Zeitschriften habe ich 2019 auch zwei besprochen und zwar zum einen das Wespennest, eine der ältesten Literaturzeitschriften, die ich kenne. Und zum anderen die Wortschau, eine der schönsten Literaturzeitschriften, die ich kenne. Nummer 176 des Wespennests, der Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder, widmet sich dem Klima als großem Thema unserer Zeit. Während Nummer 33 der Wortschau mit einem lauten Tusch und Trommelwirbel: „Vorhang auf!“ – ruft.

 

 

Brauchbare Texte und Bilder

Vorhang auf!

 

 

I schea mi ned um de aundan Leid
weu fia sowos hobi wiaglich ka Zeid.

 

 

Christine Nöstlinger: Ned, dasi ned gean do warat. (Residenz Verlag, 2019)
Von Buttaschas und Zechalkas

 

 

Der Band Ned, dasi ned gean do warat enthält Wiener Dialektgedichte aus dem Nachlass der vor allem auch für ihre Kinder- und Jugendbücher bekannten Christine Nöstlinger. Es sind bitterböse und rabenschwarze Gedichte. Voller Respekt und sehr liebevoll blickt die Dichterin auf die alltäglichen Abgründe in den Seelen und Leben ihrer Mitmenschen, die vielleicht Tür an Tür mit uns leben, ohne dass wir etwas von ihren Sorgen mitbekämen.

 

 

Elisabeth Wandeler-Deck entführt uns in Tagumtagkairo in das Kairo, das sie im Jahre 2007 kennen lernen durfte. Jede Doppelseite des überaus schönen und schön gemachten Buches enthält jeweils ein Foto, ein Gedicht und einen Prosatext, was eine sehr gelungene Komposition ergibt.

 

 

balkon rand flüstere ich lieblich die
morgensonne lächere mich wenn
bloss du hier wärst umarme das
teeglas bald ist oder ein spazieren
gehen zum NIL das ist gar nicht so
einfach einfach

 

 

Elisabeth Wandeler-Deck: Tagumtagkairo (Edition Howeg, 2019)
Mein Notiz Körper ICH lege mich mit Kairo an

 

 

Einen sehr vielstimmigen Gedichtband hat Timo Brandt mit Ab hier nur Schriften vorgelegt. Der Titel verrät uns schon vieles über das Buch, zum einen wäre da die Mehrzahlform „Schriften“, es heißt eben nicht „Ab hier nur Schrift“, sondern „Ab hier nur Schriften“, uns erwarten also verschiedene Schriftarten und –typen, verschiedene Stile und Schreibweisen. Und dann ist im Titel auch ein kleiner Witz versteckt, wie Timo Brandt einmal bei einer Lesung verriet, denn man kann „Ab hier nur Schriften“ auch zusammenziehen zu „Abschriften“. In dem Sinne, dass jedes Schreiben ein Weiterschreiben ist, des eigenen Schreibens, aber auch von allem je Geschriebenen.

 

 

Wind
nur der Wind
sanft in den Ästen
das Trillern der Vögel
am Morgen

 

 

Timo Brandt: Ab hier nur Schriften (Aphaia Verlag, 2019)
{abschweifen} (einfangen) [festhalten]

 

 

Eine Entdeckung der besonderen Art war für mich dieses Jahr Jewdokija Rostoptschina in der Übersetzung bzw. Nachdichtung von Alexander Nitzberg. Das Werk der laut Nitzberg bedeutendsten russischen Dichterin des 19. Jahrhunderts geriet bald völlig in Vergessenheit und darf nun wiederentdeckt werden. Der Band enthält Gedichte und ihr Drama Die Menschenfeindin.

 

 

Ich bin es herzlich leid, für Gaffer mich zu schmücken,
so mancher dummen Gans in meinem Spitzenkleid
zu knicksen engelsgleich, ich bin es herzlich leid
so manchem, der mir bös gesinnt, die Hand zu drücken,
zu gähnen still und leis aus Sterbensmüdigkeit …

 

 

Jewdokija Rostoptschina: Die Menschenfeindin. Herausgegeben und übertragen von Alexander Nitzberg (Klever Verlag, 2019)
Die Welt ist viel zu trist, mich Träumende zu trösten. –

 

 

Ein Bilderbuch bei dem man (bzw. Kinder) mit- und weitermalen kann – diese Idee ist einfach genial und funktioniert großartig, wie man mit dem Geburtstagsbuch Für … zum Geburtstag von mir von Annika Thamm selbst ausprobieren kann. Man sieht beispielsweise auf der rechten Seite eine leere Blumenvase, die nur darauf wartet, mit wunderschönen selbstgemalten Blumen gefüllt zu werden, und liest auf der linken Seite:

 

 

… in der Zwischenzeit
pflücke ich dir einen
Blumenstrauß …

 

 

Annika Thamm: Für … zum Geburtstag von mir (Schaltzeitverlag, 2018)
für dich von mir…

 

 

Lydia Haider, the one and only. Von ihr habe ich ein Buch rezensiert, bei dem der Titel schon Programm ist: Wahrlich fuck you du Sau, bist du komplett zugeschissen in deinem Leib drin oder: Zehrung Reiser Rosi. Ein Gesang. Es handelt sich dabei um eine Schimpftirade, die ihresgleichen sucht, über alles Denkbare und Undenkbare, die, sobald sie einmal begonnen hat ohne ein einziges Atemholen loswütet um dann schlussendlich mit den folgenden Worten zu enden:

 

 

da kannst du gleich hingehen zum Fenster und dich raushaun in deinem Elend, den Kopf kannst du dann ins Backrohr legen und den Gashahn aufdrehn, dir ein Feuer machen du Trottel, ja geh ins Wasser, ersäuf dich, schneide dich auf, erschieß dich, leg dich aufs Gleis, erstick dich, zerreiß dich, zersetz dich doch.

 

 

Lydia Haider: Wahrlich fuck you du Sau, bist du komplett zugeschissen in deinem Leib drin oder: Zehrung Reiser Rosi. Ein Gesang (redelsteiner dahimène edition, 2018)
du grenzdebiler Nasenbluter du

 

 

Das Jahr begann mit Triumph der Farben von Oswald Egger, dem diesjährigen Jandl-Preisträger. Auf dem Einband sieht man einen überbunten gespiegelten Harlekin, wie auf einer Spielkarte, der eine Farbenkugel zwischen seinen Fingern dreht. Die Eggersche Sprache dreht und verdreht sich gleichsam, schlägt Purzelbäume und Räder. Man kommt sich vor wie in einem Kaleidoskop, das sich bei jeder Bewegung ändert und verändert.

 

 

Das Gesehene ist nicht etwa bildlich klar und entsteht mir aus einer Umdeutung der Lichtpunkte am Fenster. Ich kann z. B. auf dem Fenstervorhang, der einzelne Lichtpunkte zeigt, alles Mögliche sehen, was er schildert, so lange ich will.

 

 

Oswald Egger: Triumph der Farben (Lilienfeld Verlag, 2018)
Über die Umdeutung der Lichtpunkte am Fenster

 

 

Veranstaltungstechnisch waren die beiden poetischen Höhepunkte des Jahres in Wien das Lyrikfestival Dichterloh in der Alten Schmiede und die dreitägige Poesiegalerie im November. Über beide habe ich berichtet, auch das lässt sich auf fixpoetry nachlesen.

 

 

DICHT, DICHTER, DICHTERLOH

Poesiegalerie 2019

Poesiegalerie 2019, Tag3

 

 

Das war mein literarisches 2019! Obwohl noch nicht ganz: Denn jetzt gerade lese und rezensiere ich Jan Röhnert: Breughels Affen (Elif Verlag, 2019) und Julia Grinberg: kill-your-darlinge (gutleut verlag, 2019).

 

and there was no man around

who could track or chain him down

he was never known to make a foolish move

(Bobby)

 
Aufgewachsen in einer südwestlichen Garnisonenstadt ohne großem Flair, gab es doch zumindest einmal im Jahr ein Highlight und zwar die Maikirmes in K-Town. Unsere Clique zog es dann zu den Boxautos und zu dem erbärmlich ausgestatteten, windzerfressenen Boxzelt. Intuitiv hielten wir, den Kopf voller amerikanischer Musik, zu den jungen GIs, die freiwillig zum Boxkampf gegen die Kirmesmuskeltiere antraten (Birds: „You gonna catch that horse if you can …“). Der Eintritt ins Zelt blieb uns verwehrt, wir waren zu jung.

Boxen ist ein harter Sport. Später sah ich gerne Sumò mit Berliner Freunden, die einen payTV hatten. Die oberste Regel bei diesem japanischen Ringkampf ist: es darf nicht wehtun! Ich bestaunte die schwergewichtigen Fleischpakete ob ihrer Behendigkeit und Geschicklichkeit. Die Ringkämpfer müssen verhindern, dass ihr Gegner mit einem Kõrperteil, ausser den Füssen, Kontakt zu dem Sandboden in der Arena nehmen.

Hier auf El Hierro ist der „Lucha Canaria“ sehr beliebt. Er folgt im Prinzip den Regeln des Sumò. Es darf nicht weh getan werden. Es gibt jeweils 2 Mannschaften à 12 Mann, die sich gegenüberstehen. Jede Mannschaft schickt einen Einzelkämpfer in die Arena. Kann er den Gegner auch in der 2. Runde zu Fall bringen, hat er gewonnen. Beeindruckend ist das soziale Verhalten bei dem Geschehen. Die Familienangehörigen eines Verlierers verlassen in Schmach den Platz. Weshalb zwei Polizisten während des Kampfes anwesend sind, konnte ich nicht erfahren.
 
 

 
 
Auch im kanarischen Ringkampf ist es egal, wie schwer der luchador ist. Ausschlaggebend ist allein die Beherrschung der 40 Griffe. Ein Kniff ist z. B. das Ziehen an der aufgekrempelten Hose. Seit einigen Jahren ist die uralte Sportart offiziell auch im Fernsehen zu sehen. Frauen gehen mittlerweile auch in den Ring. Dort schieben, drücken, rangeln, zerren sie gleich den Männern. Denn: „El pollito ha nacido para ganar.“

2020 29 Jan

„Warum?“

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2020 29 Jan

Mixing Colours

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Fast zwei Monate werden wir noch warten müssen, um die neue Kollaboration von Roger und Brian Eno hören zu können. Mit Celeste ist ein schon sehr vielversprechendes Stück vorabveröffentlicht. Etwas mehr Informationen dazu gibt es hier.

 
 

2020 28 Jan

Private Parts (7)

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Er war nicht zufrieden mit der Welt
Er arbeitete mit der Vorwärts- und Rückwärtsgewandtheit
Er arbeitete mit den Dingen, die vor uns sind
Und welche Dinge hinter uns liegen
Ich denke, die andere Art wäre
Mit den Dingen zu arbeiten, die daneben sind, den Anhängseln

Gehorsam war für ihn unmöglich
Zugleich war er kooperativ und in der Tat fürsorglich
Niemand auf der Welt hätte ihn mit einem echten Menschen verwechselt.
Gehorsam, et cetera
Die andere Art arbeitet mit den Dingen
die neben uns sind, den Anhaftungen

Gleichzeitig war er aber auch kooperativ.
Die Nummern auf dem Telefon
Die Teile des Buches, die Noten der Tonleiter
Sie sind das Gleiche, nicht wahr?
Sie kommen von der Gleichheit der Idee des Außen
Nicht die neben der Äußerlichkeit, die Andersartigkeit
Es war ein Problem, kooperativ zu sein und gleichzeitig
Gehorsam zu verweigern und die Last der Idee des Andersseins zu tragen

2020 27 Jan

Private Parts (8)

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Das war er, er kümmert sich am Morgen um sich selbst
Es ist genau wie bei jedem anderen Mann
Die Fantasie ist der Abstand
Die Zurückhaltung, die Wiedergeburt, das Anderssein
Die Fantasie ist die Unreinheit
So wird das Aufstehen zum Problem für einen sensiblen Menschen wie ihn
Das Problem ist, wieder den Spießrutenlauf zu machen
Problem entfernen, Spießrutenlauf entfernen, entfernen
Entfernen ist zu, entfernen Sie das, entfernen Sie das
Lass das, mach das, was auch immer
Er beleuchtet das Motelzimmer mit einem leicht blauen Körperlicht
Wenn er allein ist, vergisst er manchmal zu gehen, er bewegt sich einfach
Manchmal berühren sie sich, manchmal nicht
Und alles dazwischen
So wie er manchmal vergisst, Reden mit Denken zu verbinden
und denkt nur, oder redet nur.
Ich glaube, das passiert besonders in diesen Räumen.
Wer weiß, warum?
Die Art und Weise, wie er sich von dem abkoppelt, was gerade draußen ist, ist vorhersehbar
Ist es nicht so?
Es hört nie auf, ein Rätsel zu sein. Wir haben darüber gesprochen.
Wenn er „Hallo“ sagt, hört man einen langen, wimmernden Ton.
Das ist seine Stimme und das „Hallo“.
Es ist so verschieden von allem
An das man sich erinnern mag
Wie ein Geräusch, das eine Katze machen würde
Darin ist er nicht ungewöhnlich, glaube ich
Er ist absolut unbewohnbar, ein undankbarer Stern
Entferne Stern, entferne undankbar, entferne a, ersetze mit
Er hat eine besondere Art zu sprechen
Doch das scheint ihn nur noch mehr wie andere Männer zu machen

2020 26 Jan

Zwei Wittgensteine

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„Wenn man mit Leuten redet, die einen nicht wirklich verstehen, fühlt man immer das man has made a fool of oneself, wenigstens ich. Und das geschieht mir hier immer wieder.“

(LW, Public and Private Occasions)

 

„Die Schwierigkeit ist mit einem Menschen freundlich zu sprechen ohne Punkte zu berühren in denen man sich nicht verstehen kann.“

(LW, dito)

 

Patchouli war der Duft einer ganzen Generation. Schwer und süß durchwaberte er wenigstens ein Jahrzehnt nach 68, erdete und wirkte dank der in dem ätherischen Öl eines asiatischen Lippenblütlers reichlich enthaltenen Pheromonen besänftigend und aphrodisierend auf die Sinne und den Geist. Ein Duft, der sich harmonisch mit dem aromatischen Rauch feinen, pur gerauchten Haschischs vertrug, inspirierte und intime Räume öffnete. Eine Essenz der Nacht. Total Falsch. Das dunkle Blau der späten Abendstunden senkt sich in Zeitlupe in den Raum und nimmt ihm jede Gegenwärtigkeit. Zu langsam für die übliche Entschleunigung. Verwirrung am Strand. Wo bin ich wenn der Klang des Saxophons heranschleicht, Glaub mir kein Wort. Patchouli Blue. Wenn das einmal Jazz gewesen wäre, hätte ich geträumt. Von meiner Jugend, Musikhören in Räucherstäbchenschwaden und still verliebt sein. Deine Kusine. Vergessen & Vorbei. Die Titel bleiben kryptisch: Sollen es doch alle wissen! Tief Gesunken, nein, versunken in die nachtschwarzen Schwaden, die die Bar am Rande der Unendlichkeit mit ihren letzten, einsamen wie sehnsüchtigen Gästen, durchwabern. Blicke aus dunkelbraunen, wehen Augen, Zwei Herzen aus Gold. Sag Mir, Wie Lang. Ich weiß es nicht, Jahrhunderte vielleicht? Das fahle bunte Licht scheint auf die Totenschädel, ein Bild wie auf einer alten mexikanischen Totenfeier. Ein Requiem für kulturaffine Untote. Jenseitig könnte es schöner sein, aber warum am Steg des Fährmanns ins Totenreich noch etwas wähnen, denn Meine Welt ist Schön. Und sehr, sehr langsam, kurz vor dem Stillstand. Die Herrlichkeit der Schatten, durch die Fragmente bunten Lichts orientalischer Schatzhöhlen funkeln, werden verzerrt und ihrer Düsterkeit in melancholisch süßer Schwere entrückt. Wem das zu phantastisch erscheint oder wer glaubt der narkotisierende Rauch einer Opiumpfeife habe meine Sinne verschleiert der höre sich die Stücke von Patchouli Blue, dem neuen Album von Bohren & Der Club of Gore auf YouTube an und nutze die Funktion bei den drei Punkten, die Stücke einfach nochmals in halber Geschwindigkeit abzuspielen …

 
 
 

 

The Westway. London Fields. Battersea Power Station seen from the train on the way to Kent. Shadwell seen thru the window of a DLR train, under an indifferent sky. McDonald’s on the King’s Road, early evening in November. Powis Square in January sunlight. 3am „night safari“ around King’s Cross in mid July 2012, the madness and the law all around, dubstep vibe of the Subway restaurant at that hour, coffee and silence, Eurostar all the way to Avignon in 3 hours from St Pancras. Jamaica Road, Bermondsey. Trafalgar Square falconers: pigeon dispersal zone – 4 bronze lions, Spanish schoolkids climbing them, lion indifference under an indifferent sky. The Shard when it was still under construction. The Gherkin when it was still under construction. Electronics shops on the Tottenham Court Road. Turkish food in Dalston. Turkish coffee in Shoreditch. Chance meeting: outside LN-CC. I laugh. Coffee at Nico’s on Westbourne Grove (is it still there?). Weird dilapidated mansions at Kensington Palace Gardens sometime last decade, before the real money moved in. Brick Lane, graffiti on doors on Fournier Street. Getting off a bus at the wrong stop in the Murder Mile, Hackney and not getting murdered: it’s calm, hipsters walking past with „2013 beards“ even though it’s 2014. The Ikea advertising on the plastic wallet they give you for your Oyster card. The M&S food outlet that used to be Damien Hirst’s Pharmacy restaurant.

Before [Pharmacy]: http://damienhirst.com/exhibitions/projects/1998/pharmacy-restaurant

After: [M&S Simply Food] https://goo.gl/maps/OzwEP

I think I bought a cake there. Reduced price.

Karl Marx’s ridiculously extravagant grave in Highgate Cemetery, someone had left an orange on it. William Friese-Greene’s grave at the same skeletonyard. Ghosts. Ghosts in the cafe in Brockwell Park. Spirits. Everywhere, every day.

London, England, not a city I know, much: but I like the fragments I’ve seen.


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