Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

You are currently browsing the blog archives for the month Dezember 2019.

Archives: Dezember 2019

2019 2 Dez.

Favoriten 2019

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off

 

Stephan Eicher — Homeless Songs

Leonard Cohen — Thanks For The Dance

David Knopfler — Heartlands

AncolagE — Desolation

Semyon Bychkov / Czech Philharmonic — The Tchaikovsky Project

Joe Henry — The Gospel According To Water

Max Richter / Lorne Balfe / Nils Frahm — Ad Astra

Rabih Abou-Khalil — The Flood And The Fate Of The Fish

Les Penning & Robert Reed — Return To Penhros

Hawkwind — All Aboard The Skylark

Jan Garbarek & The Hilliard Ensemble — Remember Me, My Dear

 

2019 2 Dez.

Meine Platten 2019

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 3 Comments

 

Meine Top 10:

 

1. Terry Riley: Sun Rings (Kronos Quartet)

2. Gong: The Universe Also Collapses

3. David Byrne: American Utopia on Broadway

4. Laurie Anderson, Tenzin Choegyal & Jesse Paris Smith: Songs from the Bardo

5. Creedence Clearwater Revival: Live at Woodstock

6. Kit Downes: Dreamlife of Debris

7. Willie Nelson: Ride Me Back Home

8. Leonard Cohen: Thanks for the Dance

9. Various: Kankyō Ongaku — Japanese Ambient, Environmental & New Age Music 1980-1990

10. Joe Lovano: Trio Tapestry

 

Sun Rings gehört für mich zum Besten, was Terry Riley bis jetzt komponiert hat, und bessere Interpreten als das Kronos Quartet konnte man dafür nicht finden.

Willie Nelson gehört schon allein wegen dieses Songs in die Liste, den ich manchen Leuten gern dreimal am Tag vorspielen möchte, wenn es denn helfen würde. Und Leonard Cohen hatte ich zunächst glatt vergessen. Wie konnte ich nur.

 

In der engeren Auswahl waren außerdem:

 

Areni Agbabian: Bloom
Nick Cave & The Bad Seeds: Ghosteen
Fennesz: Agora
John Fogerty: 50 Year Trip Live At Red Rock (2-CD-Version)
Matmos: Plastic Anniversary
Múm & Kronos Quartet: Smell Memory (Split single)
Lee „Scratch“ Perry: Rainford
Pet Shop Boys: Agenda (EP)
Pet Shop Boys: Inner Sanctum
Bruce Springsteen: Western Stars

 

Keine Chance hatten:

 

Lana Del Rey: Norman Fucking Rockwell
Jeff Lynne’s ELO: From Out Of Nowhere
Madonna: Madame X

 

Reissues:

 

Beatles: Abbey Road (Super DeLuxe Edition)
Brian Eno, Daniel Lanois, Roger Eno: Apollo (Ext. Version)
Gong: Love from Planet Gong — The Virgin Years 1973-1975 (12 CD + DVD)
Tangerine Dream: In Search Of Hades — The Virgin Recordings 1973-1979 (16 CD, 2 BD)
Eberhard Weber: The Following Morning

 

Ob man wirklich die ganze Gong-Box benötigt, möge dahinstehen. Die Remasters, in einigen Fällen auch Neuabmischungen, sind erstklassig; die Flying-Teapot-Trilogie habe ich noch nie so gut gehört (definitiv besser als die Versionen des Charly-Labels), desgleichen das Shamal-Album. Dazu gibt es Live-Aufnahmen und ein sehr schönes Buch. Es gibt aber die Trilogie auch als Einzel-CDs (Flying Teapot, Angel’s Egg und You), ergänzt jeweils um eine Live-CD. Schade nur, dass die ersten Alben (Magick Brother, Mystic Sister, das seinerzeit nicht mal auf Tape aufgenommen wurde, sondern in einer Garage auf einer Tonfilmpiste, und Camembert electrique) nicht enthalten sind, aber sie entstanden vor dem Virgin-Vertrag.

Die Tangerine-Dream-Box enthält einige Highlights, aber auch einige Aufnahmen, die meines Erachtens in der Schublade gut aufgehoben waren, zumal die Auswahl einige Fragezeichen aufwirft — wo sind Exit, Hyperborea, Logos, White Eagle? Außerdem gab es Mitte der 1990er Jahre bereits eine remasterte “definitive edition” — ist die Industrie inzwischen schon so verzweifelt, dass sie anfangen muss, die Remasters zu remastern?

Das Apollo-Reissue lohnt sich vor allem wegen der neuproduzierten zweiten CD, die mir fast besser gefällt als die erste.

 

Rediscovered:

 

 

Willy DeVille: The Willy DeVille Acoustic Trio in Berlin (2002)
Stephan Eicher: Hotels (2001)
Pat Metheny Group: Travels (1982)
Lalo Schifrin: Mission Impossible … And More! (The Best, 1962-1972)
David Van Tieghem: These Things Happen (1984)

 

 

 

 

2019 1 Dez.

Burial: Tunes 2011 – 2019 (From The Archives)

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off

Pünktlich zum Ende der 2010er bringt das renommierte britische Label Hyperdub, dessen Renommee wesentlich durch die 2006 und 2007 erschienen Alben von Burial (alias Will Bevan) geprägt wurde, am heutigen Nikolaustag – und im 15. Jahr seines Bestehens – Burials Kollektion Tunes 2011-2019 heraus. Klar, der Titel ist unmissverständlich: Hier gibt es 150 Minuten Musik, die quer durchs Jahrzehnt entstand, von einem Musiker, dessen zweite CD Untrue von nicht wenigen als eines der besten elektronischen bzw. „Dance“-Alben (wenngleich man dazu nur bedingt tanzen kann) überhaupt bezeichnet wird. Eigentlich gibt es hier also nichts Neues zu hören, denn alle Stücke sind zuvor auf EPs und Singles erschienen. (Bedauerlicherweise gibt es trotz der epischen Laufzeit und uneingeschränkten Qualität noch Mängel anzukreiden: Warum fehlt etwa die gelungene Single Rodent, die bislang nur auf Vinyl erhältlich ist?)

12 Jahre nach Untrue schließt Hyperdub damit eine Lücke – nämlich die, dass es in diesem Jahrzehnt noch kein Album von Burial gab. Nun gibt es also gleich eine Doppel-CD, und jeder, der die Meisterschaft Will Bevans wieder oder neu entdecken möchte, kann hier eines der besten Alben des Jahres, wenn nicht gar des Jahrzehnts preisgünstig erwerben. Nur die Aufmerksamsten werden bereits alle Stücke im Plattenschrank haben; insofern ist für jeden was dabei.

Gerne wird über Burial gesagt bzw. geschrieben, dass man seit eben 12 Jahren auf ein neues Album von ihm warte; zugleich werden zwischen den Zeilen (berechtigte) Zweifel geäußert, ob einer, der im Jahr 2007 ein stilbildendes Meisterwerk ablieferte, das wie wenig anderes über die Grenzen von Genres und Milieus hinweg gleichermaßen verehrt wurde und nach wie vor geschätzt wird, nicht mit jedem Nachfolgealbum quasi zum Scheitern verurteilt ist. (Siehe auch: Massive Attack) Doch mehrere von Burials sogenannten EPs, also rund halbstündigen Tonträgern, sind eigentlich kurze Alben — Rival Dealer, Street Halo, Kindred; sie wurden nur nie als solche präsentiert (anders als das seit ein paar Jahren etwa Kanye West praktiziert). Die darauf vertretenen Stücke entwickeln sich über bis zu 14 Minuten;  Rough Sleeper, Come Down To Us oder Ashtray Wasp sind eher komplexe Suiten als gewöhnliche Dance-Tracks.

Tunes 2011-2019 bietet nun also die Gelegenheit, Bildungslücken zu schließen und die durchweg schillernd fantasievolle Musik und die überaus eigene, subtile und reiche Klangwelt, die Will Bevan alias Burial in den letzten neun Jahren immer weiter verfeinert und variiert hat, kennenzulernen. Es gibt nicht ein schwaches Stück auf diesem Album, wenngleich viele sich nicht unmittelbar, beim ersten oder beim Nebenbei-Hören erschließen – gerade eben die episch angelegten Erzählungen entfalten sich nach und nach. Es ist ein verzaubernd eindringliches und vor allem abwechslungsreiches Universum, das hier über zweieinhalb Stunden dargeboten wird. Im direkten Vergleich ist das meisterhafte Untrue zwar ein sehr viel homogeneres Epos; auf der anderen Seite zeigt Tunes 2011-2019 aber auch, wie man sich von Fesseln (der Erwartung / der stilistischen Prägnanz) befreien kann und seine Kunst in alle möglichen Richtungen ausstreckend gestalten kann, so sehr, dass der Zuhörer überall auf Ideen stößt, die es wert wären, auf Albumlänge vertieft zu werden. Burials Tunes packen immer wieder, emotional unmittelbar, auf überraschende Weise mit ungewohnten, durchweg schlüssigen Kombinationen scheinbar disparater Elemente. Und das tun sie auch beim x-ten Wiederhören noch, womöglich sogar mit der Zeit immer besser. Die ältesten Stücke des Doppelalbums vom Anfang des Jahrzehnts sind auch fast zehn Jahre später noch immer so bewegend wie einst. Die Kollektion bekräftigt, dass Burial auch in den 2010ern zu den Meistern seines Fachs gehört.

Burials Musik wird landläufig zwar dem Dubstep-Genre zugeordnet, doch diese Schublade ist nicht weniger irreführend als würde man bei Stichwort „Rockmusik“ an Bill Haley denken, aber dann Sonic Youth oder King Crimson hören.

2019 1 Dez.

R.E.M.: Monster (25th Anniversary Edition)

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off

 

 

Als Jugendlicher habe ich mit Vorliebe und Hingabe, viele Jahre lang, für wahrscheinlich alle meine Freunde und Freundinnen (und auch solche, die dies dann doch nie wurden) Kassetten mit unterschiedlichsten Zusammenstellungen von Musik aufgenommen, üblicherweise immer spezifisch auf den Empfänger zugeschnitten. Ich liebte es, überraschende Wendungen und Brüche einzubauen, Leute mit etwas zu konfrontieren, das sie sonst wohl nie angehört hätten, und ich glaube, ich kann mit einer gewissen Selbstsicherheit sagen dass ich über die Jahr das dramaturgisch ausgefeilte Zusammenstellen von Musik in unterschiedlichsten Gesamtlängen zu einer komplex vollendeten Form geführt habe.

Die Zeit der Musikkassetten ist lange vorbei. Später habe ich oft noch CDs zusammengestellt; tatsächlich ist das noch gar nicht so lange her. Meine Musiksammlung ist über die Jahrzehnte enorm gewachsen, und so war es mehr und mehr eine Herausforderung, aus tausenden von Alben und Quellen Musik zu wählen, die sich dann zu einer dramaturgischen Zusammenstellung von maximal 80 Minuten (der Länge einer CD) — manchmal wurden es natürlich auch zwei CDs – fügten, etwa mit einem „Best of“ des zu Ende gegangenen Jahres.

Seit es Spotify und „Playlists“ gibt, scheint das, was früher Musikkassetten waren, im Internet zu passieren, doch da ich nur sporadisch über iTunes und noch viel seltener per Streaming Musik höre, geht das weitgehend an mir vorbei. Die DJ-Mixes und „Podcasts“ von Musikern und DJs interessieren mich zwar, und da gibt es enorm viel Spannendes, aber eben auch bei weitem zu vieles für die wenige Zeit, die ein Tag, eine Woche, ein Monat, ein Leben zur Verfügung stellt. Man müsste eigentlich komplett aufs Sammeln verzichten und Alben nurmehr ein, zwei Mal anhören, um irgendwie ansatzweise dem hinterherzukommen, was es an spannender Musik und hörenswerten Zusammenstellungen in der großen, weiten Welt der Internets gibt. Immerhin kaufe ich manchmal DJ-Mix-CDs, speziell wenn mich ein/e DJ interessiert – oder wenn ich aufgrund der vertretenen Genres, einzelner Namen im Mix, aufgrund von Empfehlungen, einer bestimmten geschätzten Mix-Reihe oder anderer Attraktivitätsfaktoren neugierig werde.

Leider ist mein potenzielles Publikum für solche Zusammenstellungen geschrumpft. Ebenso wie meine Zeit. Dennoch kommt es noch immer, von Zeit zu Zeit vor, dass mich etwas dazu veranlasst, einen Mix zu erstellen. Erzählt etwa ein (in England aufgewachsener) Freund, dass er zum Konzert der Einstürzenden Neubauten gehen wird, aber die Musik der Band gar nicht kennt und möchte meine Meinung hören, bekommt er ungefragt eine zweieinhalbstündige Zusammenstellung quer durchs Werk der Band von mir zugeschickt. Kommt im Kino, in dem ich zur Berlinale arbeite, ein Film mit / über PJ Harvey, und die anfang-20jährigen Mitarbeiterinnen wissen eigentlich gar nicht, wer PJ Harvey ist, komme ich nicht umhin, einen repräsentativen Querschnitt aus allen Alben der Künstlerin in iTunes zu erstellen, inklusive allerhand „Nebenwerken“ wie etwa ihren Zusammenarbeiten mit Marianne Faithfull oder wunderbaren Cover-Interpretationen von Caroline Henderson und Ane Brun. Meine alternativen, zweitstündigen „Deep Cuts“ aus dem Œuvre von Elton John (als Entgegnung auf die von ihm selbst hinter den Möglichkeiten zurückgebliebene Liste) hatte ich vor wenigen Jahren ja hier kundgetan.

Natürlich gebe ich mir mit solchen Zusammenstellungen sehr viel Mühe, höre sie selbst mindestens einmal komplett durch, bevor ich sie aus der Hand gebe — und verbessere dann oft noch vieles, bevor (und nachdem) ich sie weitergebe.

Mittlerweile, seit ich iTunes für unterwegs, etwa für lange Autofahrten nutze, mache ich gerne auch mal solche Zusammenstellungen für mein mobiles Gerät, um diese Kompilationen dann unterwegs zu hören, etwa “Twenty Years in the Life of Robert Anthony Plant, CBE“, als ich Lust hatte, das Beste aus den streckenweise großartigen Alben der letzten 20 Jahre von Herrn Plant zu kompilieren, mit dem Bemühen, nicht länger als 120 Minuten zu werden. Oder „5 Years of R.E.M.“ – was eigentlich ein Schreibfehler war; aus dem Ziel, meine Lieblingslieder von allen R.E.M.-Alben inkl. B-Seiten, Raritäten, Alternativ-, Demo- und Live-Versionen (Star me Kitten mit William Burroughs als „Sänger“, eine Adaption von Leonard Cohens First We Take Manhattan, World Leader Pretend als ergreifendeUnplugged-Version…) zu kompilieren, wurden auch nach strenger Auswahl noch immer fünf volle Stunden. Letztlich ist so eine Zusammenstellung auch eine gute Option, um das Beste von R.E.M. / PJ Harvey / Einstürzende Neubauten / Robert Plant etc. in der Tasche parat zu haben, ohne von der Qual der Wahl, sich für ein einziges Album entscheiden zu müssen, erschlagen zu werden.

R.E.M. also. Auch wenn ich nie ein „Über-Fan“ der Band war, so habe ich doch zuverlässig alle Alben mit Hingabe verfolgt, gehört und im Detail lieben gelernt, so dass ich mir durchaus zutrauen darf, Around The Sun den Status eines zu Unrecht geringgeschätzten Spätwerks anzuheften, Up zum großen, mit Konventionen brechenden Werk der dritten Phase der Band zu erklären oder einige Hits als vernachlässigbar und „generic R.E.M.“ abzustempeln (Imitation of Life, Leaving New York), andere allgemein als Banalitäten und Selbstkopien abgetane Singles wie Überlin hingegen als kluge Perlen aufzuwerten.

Als R.E.M. 1994 Monster veröffentlichten, wollten sie nach den zweieinhalb sensiblen American-Folk-Alben im Millionenseller-Bereich wieder als Alternativ-Rock-Band gesehen und gehört werden. Daher wurde Monster laut, schmuddelig, voll von verzerrten Gitarren und klanglich wenig ausgefeilt rausgehauen. Ihr Produzent und Mixer Scott Litt war mit dem Ergebnis nie so recht glücklich und hat nun, im Zuge der Jubiläumsausgaben, die bislang alle R.E.M.-Alben seit dem Debüt Murmur erfahren haben, die Chance bekommen, eine „Remix“-Version des gesamten Albums zu erstellen, die dann auch ohne Veto oder Änderungswünsche der Band herausgebracht wurde, natürlich nicht ohne den Zusatz, dass diese Versionen keineswegs die alte ersetzen könne, aber eine legitime eigene Lesart darstelle.

Man muss das Originalalbum zum größten Teil recht gut kennen, um die Unterschiede zu hören; das ist erst einmal nichts Schlechtes, meine ich. Litt sagte beispielsweise selbst, dass etwa What’s the Frequency, Kenneth? zu den paar Stücken des Albums zähle, die bereits 1994 sehr gut gemischt wurden; er lässt daher nur ein paar Effekte weg, die ihm zu zeittypisch und selbstverliebt schienen. (Das Entfernen des charakteristischen Tremolo-Overdubs bringt die Aussage „legitime alternative Lesart“ besonders markant zur Geltung, wenngleich man es eh kaum jemandem, der ein Album über 25 Jahre oft und gerne gehört hat, recht machen kann.) Beim folgenden Crush with Eyeliner (schon auf dem Originalalbum eines von zahlreichen persönlichen Lieblingsliedern) aber hat man, nach einem kurzen Schreck über den komplett veränderten, auf den ersten „Blick“ albernen neuen Einstieg („Lalalalala, la“), das Gefühl, eine bislang unentdeckte Aufnahme aus R.E.M.s Schatztruhe zu hören. Nicht nur klingt die neue Version, als sei endlich eine Art matschiger Schleier weg geputzt worden, Litt hat  zudem eine alternative Gesangsspur eingesetzt, die aus dem Song neue, ungehörte Qualitäten herauskehren. Ähnlich ging er bei Tongue vor, einem der wenigen Stücke des Albums, die ich all die Jahre nie so recht mochte. Mit anderer Mischung, anderer Gewichtung der Elemente, vor allem der subtilen Verbesserung der Präsenz von Michael Stipes Gesang ist Tongue nun das Lied geworden, als das andere Hörer es immer beschrieben, was ich indes nie nachvollziehen konnte. Die Veränderungen der Gesangsspuren sind fast durch das ganze Album  hindurch formidabel – und Litt beweist Vielseitigkeit und Klugheit in den meisten seiner Entscheidungen; ich verweise nur mal auf I took your Name (mit der Textzeile „I wanna be Iggy Pop“), dessen Gesang (wie auch die Gitarrensounds) durch den neuen Mix sehr aufgewertet wird. Bei King of Comedy gibt es nun am Ende einen heiteren Ausklang mit einem bewusst unperfekten Background-Chor; I don’t sleep, I dream hat plötzlich einen gut 30 Sekunden längeren Schluss, wo früher ein harter Schnitt den nun zusätzlichen Akzent grob abgeschnitten hatte.

Nicht überall sind Litts Änderungen ein Zugewinn – das als Reaktion auf den Tod von Kurt Cobain entstandene Noise-Stück Let me in im Neil-Young-&-Crazy-Horse-Stil büßt mit herausgeputzter und effektbefreiter Gesangsspur sowie massiv reduzierten Gitarreneffekten und eliminierter Orgel den Großteil seiner Eindringlichkeit ein. Das (im Original) als hingeschludertere Kreuzung aus It’s the End of the World as we know it und Iggy-Pop-Glam-Rock gespielte Star 69 wird mit einem saubereren Mix auch nicht plötzlich zur Perle, wenngleich man sich hier wie in vielen anderen Songs freut, dass Michael Stipe nicht mehr ganz so im „murky mix“ untergeht. Anders schon Strange Currencies: Zwar wird die Nummer nun ein typischerer R.E.M.-Song, aber auf einmal ist da Luft im Mix, Klarheit in der Interpretation, ein schönes bewegendes Schweben, da die seltsam verstimmte Orgel und die verzerrte Gitarre sich besser umspielen, die Zäsur prägnanter gesetzt ist und Stipes Gesang sich besser entfalten kann. Anderswo, z.B. in Bang and Blame, taucht nun gut gesetzte Perkussion auf, die zuvor irgendwo im Mix vergraben war.

Normalerweise finde ich es Quatsch, ein Album, das ich bereits in einer hervorragenden CD-Version besitze, als LP zu kaufen. Allerdings ist das Bonus-Material der (auch zu teuren) 5-Disc-Deluxe-Ausgabe wenig reizvoll – CD3 enthält 15 (vorwiegend instrumentale) Skizzen unterschiedlicher Qualität, die wirklich allenfalls für „Die-Hard-Fans“ interessant sind. Der einzige bekannte, halbwegs fertige Song Revolution zählt ohnehin zu den vernachlässigbaren, schwächsten Stücken der Band; und das Konzert auf CD4 und 5 kann man sich ebenfalls schenken, besonders wenn man das sehr ähnliche Konzert aus dem selben Jahr auf der im letzten Jahr veröffentlichten „R.E.M. at the BBC“-Box kennt. R.E.M. waren eine wirklich intensive Live-Band (ich habe sie selbst in den 1990ern erlebt), doch abgesehen von den „Unplugged“-Konzerten (inklusive einiger ähnlich gelagerter Aufnahmen in der BBC-Box) vermittelt dies kaum der zahlreichen Live-CDs, speziell nicht die der späteren Jahre, eben ab 1994/95.

Die Doppel-LP in nun blauem statt wie früher orangenem Gewand ist für diese Neo-Glamrock-LP also die ideale Form zum Weihnachtsgeschäft, speziell wenn man die Original-CD noch im Regal stehen hat. Die Seiten A und B bieten ein unaufdringlich, aber effektiv verbessertes Remastering des originalen Monster-Albums. Und die Seiten C und D bieten eben die beschriebene Alternativversion, die sowohl Fans als auch Gelegenheitshörern einen Klassiker der mittleren 1990er neu ans Herz legt. So kann man nach Lust und Laune zwischen den beiden Optionen wechseln.

Demnächst werde ich also meine mobile R.E.M.-Playlist überarbeiten müssen. Sie wird wieder dazugewinnen.

Das Leben: Gebrauchsanweisung“

 

„Ein Buch, das man jedes Jahr mindestens einmal lesen sollte.“ Harry Rowohlt hat das über ein Buch gesagt, das bei mir schon jahrelang darauf wartet, gelesen zu werden. Es handelt sich um ein höchst seltsames Werk, das schon von der äußeren Erscheinung Respekt einflößt. Geliefert wird das Ganze in einem Karton, dort finden sich neben dem eigentlichen 850 Seiten starken Buch, ein Beiheft mit Marginalien und ein Tütchen mit einem Puzzle. Der Verlag „Zweitausendeins“ brachte das Werk in deutscher Sprache im Jahre 1982 als erster heraus, der Titel: “Das Leben: Gebrauchsanweisung“, die französische Originalausgabe “La Vie mode d´emploi“ erschien 1978, der Autor war Georges Perec. Der Schweizer Diaphanes-Verlag, Zürich, gab das Buch (und überhaupt das ganze Werk des Autors) 2017 neu heraus, sodass man “Das Leben: Gebrauchsanweisung“ jetzt für bezahlbare 25,00 Euro kaufen kann, während die Bücher früherer Zweitausendeins-Auflagen, die mit Beiheft und Puzzle geliefert wurden, kaum unter 100,00 Euro zu haben sind.

Georges Perec, geboren 1936 in Paris, wuchs als Sohn polnischer Juden in Frankreich auf, musste die deutsche Besetzung Frankreichs miterleben. 1940 starb sein Vater, der als Freiwilliger in der französischen Armee gedient hatte, seine Mutter wurde 1943 nach Auschwitz verschleppt und dort vergast. Ein letztes Mal noch sah Georges Perec seine Mutter am Bahnhof Gare de Lyon, dann musste er als kleines Kind von sieben Jahren von seiner Mutter Abschied nehmen, das Trauma seines Lebens.

Das Kindheitstrauma (der Vater stirbt, die Mutter verschwindet) versuchte er mit Hilfe von Psychoanalysen zu überwinden, aber eben auch durch das Schreiben von Romanen. Wenn Perec, man nennt ihn zurecht gerne den französischen James Joyce, etwa einen Roman schreibt, in dem der Buchstabe “e“ komplett fehlt, dann ist das eben keine bloße Spielerei, sondern verweist auf das “Verschwinden“ als Lebensthema. Überhaupt muss man wissen, dass Perec sich der “Oulipo“ der „l’ouvroir de littérature potentielle“, (Werkstatt für potenzielle Literatur) verbunden fühlte. Autoren dieser Vereinigung gaben sich Regeln auf, nach denen sie schreiben wollten, man verzichtete auf Buchstaben, schrieb auf Grund mathematischer Vorgaben usw. …

“Das Leben: Gebrauchsanweisung“ stellt in dieser, aber auch anderer Hinsicht ein Meisterwerk dar. Perec nimmt von einem Pariser Mehrfamilienhaus die Fassade weg und schaut nun, wie in eine Puppenstube in die verschiedenen Räume des Hauses, von den einzelnen Wohnräumen, Schlaf- und Badezimmern, Fluren, Treppenhäusern, bis hinunter in den Heizungsraum, den Kellerräumen, dann wiederum über den Fahrstuhlschacht bis hinauf in die Dienstmädchenzimmer. Die Beschreibung der einzelnen Räume und deren Gestände, sowie deren Geschichten erfolgt nun höchst regelgeleitet. In 99 Kapiteln werden mindestens 107 Geschichten erzählt, zu Ende erzählte, unvollendete, wahre und erfundene Geschichten, spannende, informative und einfach nur interessante Erzählungen, die manchmal etwas miteinander zu tun haben, meist aber nicht, 1467 Personen kommen in den “Romanen“ (so der Autor) vor.

Aber nun springt der Perec nicht einfach von Raum zu Raum, nein, auch hier folgt er einer Regel: „ Er hat sich das Ganze aufgerastert auf ein zehn mal zehn Felder großes Schachbrett und setzt einen Springer darauf. Und dieser Springer muss auf seinem Parcours jedes Feld einmal – und nur einmal – besetzt haben. Das ist ein mathematisches Problem, das man lösen kann, und das ist jetzt die Regel für die Kapitelfolge in dem Werk.“ (Jürgen Ritte)

Erzählt wird, wie im wahren Leben, von Handwerkern, Arbeitern, Rechtsanwälten, Ärzten, Mördern, Erpressern, Spekulanten und vielen mehr. Im Mittelpunkt steht allerdings doch eine einzige Person, ein Millionär, seine Name Bartlebooth. Wer erinnert sich nun nicht an Melvilles „Bartleby“, dem bei einem Notar beschäftigten Kopisten, der früher einmal in einem Büro der Post gearbeitet hatte, in dem er mit unzustellbaren Briefen beschäftigt war, und nun mit den Worten „I would prefer not to“ mehr und mehr aus der Welt verschwindet und schlussendlich stirbt.

Unser ziemlich seltsame, sehr reiche Bartlebooth nun, hatte die Idee, sich zunächst einmal im Malen von Aquarellen ausbilden zu lassen, um dann eine Weltreise zu unternehmen und 500 Häfen zu besuchen und zu malen. Diese 500 Aquarelle schickte er an Gaspard Winckler, der die Bilder auf Holzplatten aufzuziehen und Puzzles daraus zu fertigen hatte. Auch er wohnte, wie Bartlebooth, in unserem Haus.

 

„Die Kunst des Puzzles beginnt mit den von Hand ausgeschnittenen Holzpuzzles, wenn der, der sie fertigt, sich alle Fragen zu stellen sucht, die der Spieler lösen muß. … Jede Gebärde, die der Puzzlespieler macht, hat der Puzzlehersteller vor ihm bereits gemacht; … jedes Tasten, jede Intuition, jede Hoffnung, jede Entmutigung, sind von dem andern ergründet, auskalkuliert, beschlossen worden.“ (Das Leben: Gebrauchsanweisung S. 15 und Kap 44, S 316f).

 

Von den Weltreisen heimgekehrt, wollte Bartlebooth diese Puzzle-Teile wieder zusammensetzen. Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten.

Für alle, die jetzt eher davor zaudern, das Buch zu lesen, sei noch einmal Jürgen Ritte, Professor an der Sorbonne und Perec-Experte, zitiert: „ … man (kann) das Buch mit einem unglaublichen Spaß lesen, mit einer unglaublichen Freude, mit einem Lustgewinn an den ganzen Geschichten, die er da zusammenerfindet und uns erzählt, ohne dass man diese Regeln kennt. Das sind Regeln, die ihm, dem Autor, helfen, etwas zustande zu bringen. Man kann sich daran erfreuen, dass man sie erkennt, dass man sie identifiziert, aber es funktioniert auch sehr, sehr gut, wenn man diese Sachen gar nicht weiß.“ Zum Schluss eine Kostprobe aus dem Roman:

 

Manchmal stelle er sich vor, das Haus sei so etwas wie ein Eisberg, dessen Stockwerke und Dachgeschosse den sichtbaren Teil gebildet hätten. Jenseits der ersten Ebene der Keller hätten die unter Wasser liegenden Massen begonnen: Treppen mit schallenden Stufen, die sich um sich selbst drehend nach unten führen würden, lange gekachelte Korridore mit von Metallgittern geschützten Kugelleuchten und mit Totenköpfen und gemalten Inschriften gekennzeichnete Eisentüren, Lastenaufzüge mit vernieteten Wänden, mit riesigen, unbeweglichen Propellern ausgestattete Lüftungsschächte, Feuerwehrschläuche aus metallüberzogenem Tuch, dick wie Baumstämme, auf gelbe Schieber von einem Meter Durchmesser gerichtet, zylindrische Schächte, direkt in den Felsen gebohrt, betonierte Stollen, stellenweise von Luken aus Milchglas durchbrochen, Verschläge, Bunker, Kasematten, mit Panzertüren versehene Tresorräume. Weiter unten gäbe es so etwas wie das Keuchen der Maschinen und für Augenblicke mit rötlichen Lichtern ausgestrahlte Vorräte. Enge Verschläge gingen auf riesige Säle, auf unterirdische Hallen hoch wie Kathedralen, mit Gewölben über und über von Ketten, Rollen, Kabeln, Röhren, Kanalisationsleitungen, kleinen Eisenträgern bedeckt ….“ (Vierundsiebzigstes Kapitel: Maschinenraum des Aufzugs 2 , Seite 563)

 

Natürlich spielt auch Musik in diesem Buch eine gewisse Rolle, genannt werden die Komponisten Paul Dukas (1865-1935), französische Komponist; Johann Sigismund (Kusser oder Cousser), deutscher Komponist, ungarischer Abstammung (1626-1695); Franz Liszt (1811-1886) und Frédéric Chopin ( 1810-1849). Zuweilen werden auch besondere Stücke genannt: W.A. Mozart: „Türkischer Marsch“, „Smanie implacabili che m´agitate“ (aus Cosi Fan Tutte); Claude Debussy: „Children’s Corner“, Gerry Mulligan: „Far East Suite“; Hans Neusiedler: „Tänze“.

Übrigens, ein paar Tage vor seinem 46. Geburtstag starb Georges Perec am 3. März 1982 an Krebs.

2019 1 Dez.

Eine endlose Affaire

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags:  | 4 Comments

Das Schöne an Serien ist ja immer das Lesen der Reviews danach: man will jetzt wissen, wie es die Anderen sahen. Bei Amazon, diesem schamlosen Einzelhandelskonkurrenten und wundersamen Steuerdieb mit seinen verführerischen Qualitäten des Productplacements las ich eine Kundenrezension. Dort schrieb jemand, The Affair sei die beste Serie aller Zeiten. Das freute mich, entsprach es doch haargenau meinem Bauchgefühl. Seit Fassbinders Acht Stunden sind kein Tag sah ich selten etwas, das sich so dicht am eigenen Wirklichkeitsempfinden bewegt, ungeschminkt real und doch auch märchenhaft. Wobei „Angst essen Seele auf“ es in Momenten auch trifft. Ähnliches vollbrachten in der Literatur Max Frisch und auch Milan Kundera, dessen Buch Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins philosophisch wesentlich tiefer ging als seine Verfilmung, trotz grandioser Schauspieler. Die guten Darsteller sind es auch hier, dazu die exquisite, klare Bildästhetik, die an sich schon viel erzählt. Sie führt dich an der Hand, permanent am gegenwärtigen Moment entlang, der spannend ist und voller Raffinesse. Bilderpracht, schöne Menschen, tiefe Charaktere – man will nicht davon absehen. Nicht die Drogen sind berauschend, sondern frische Luft – die Cyclisten unter uns werden es wissen. In other words: reality does it. Im Kern aber war es das Grundthema der Serie, das mich persönlich so berührte: die Wirkung von Traumata, teilweise über Generationen hinweg vererbt, wie sie in Menschen wirken, in ihren Beziehungen, in ihrer Destruktivität. Auf einer fluchtartigen, geradezu apokalyptischen Wanderung fragt Helen Solloway ihren Ex-Mann Noah, warum er trotz grosser Empathie und Liebesfähigkeit manchmal so verletzend sein könne zu Menschen. Er habe sich das auch gefragt, es müsse an seiner Kindheit liegen. Seine Mutter sei immer sterbenskrank gewesen und der Vater entweder abwesend oder wütend. Sie habe ihn damals als Tochter der Oberschicht, die an seine kreativen Fähigkeiten glaubte, aus einer „Unterwelt“ ans Licht gezogen. Seinen Schatten aber wollte er ihr verheimlichen. Serienkenner fanden Ähnliches bei Mad Men. Heidegger soll gesagt haben, was der Leib des Menschen sei, wäre noch gar nicht gedanklich erschlossen – von Traumata aber schwieg der Mann ganz. Und als der jüdische Dichter Paul Celan nach einem Schlichtungsversuch gefragt wurde, wie es gewesen sei mit dem urdeutschen Meisterdenker, meinte der: „Es kam nur krudes Zeug.“ Vielleicht die essentielle Crux von The Affair: der Mensch kann sich ändern, aber es ist harte Arbeit an sich selbst. Manche schaffen es, die meisten aber stürzen ab. Die bezaubernde Alison hat es versucht. „I have only one thing to do and that’s: to be the wave that I am and then sink back into the ocean …“. Fiona Apples kongenialer Eröffnungssong gab ihrer Seele Klang.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz