Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2019 23 Dez

Here comes the Dodo Blues – A Reply

von: Hans-Dieter Klinger Filed under: Blog | TB | 3 Comments

Oben rechts steht es: wer sich auf diese Seiten einlässt, findet sich beyond mainstream wieder. Wer aber glaubt, bei den Manafonistas endlich einem mainstream entronnen zu sein, irrt vielleicht.

 


 
 
 

Ein snowflake – passend zum Vorweihnachtsabend. Es zeigt, wie es sich mit Mainstreams verhalten kann. Die Struktur des Großen kommt im Kleinen erneut zum Vorschein. Nach meiner Wahrnehmung hat ECM einen gehörigen Anteil am musical mainstream des manafonistischen Blogs. Die abgebildete Schneeflocke ist ein sog. Koch Snowflake. Es ist also an der Zeit, in Richtung Uli Kochs Beitrag abzubiegen.

Ich empfehle den Lesenden bei Ulis Beiträgen die Augen zu spitzen, denn nicht selten führen sie in Gefilde beyond the manafonistic mainstream, derart, dass ein Leser einst die Frage stellte „lieber Uli, wie kommst du nur zu solchen Platten?“ Ohne Ulis Seitenblicke hätte ich folgende Perlen – um nur einige zu nennen – nicht wahrgenommen:

 

Salyu

Midori Takada

Japanese Jewels

Erik Truffaz

 

Jetzt darf ich Sven Kacirek und Olith Ratego hinzufügen, zwei Namen, die mir erst am 20. Dezember bekannt geworden sind. Zum Album ODD OKODDO hat Uli das Wesentliche gesagt. Kacireks Anteil an diesem Album ist bemerkenswert. Die Sounds sind nicht elektronisch generiert. Es handelt sich um Samples, die oft zu Loops werden. Die rhythmischen Patterns sind von elegant groovender Leichtigkeit, nichts Maschinenhaftes merkt man ihnen an – erstaunlich. Dass Sven Kacirek der Musik Olith Rategos mit hohem Respekt begegnet, spürt man bei jedem Stück des Albums. Die Klanggewänder, die er um die Gesänge Oliths webt, sind voller afrikanischer Muster.

 

Sven Kacirek entwickelt seine Musik immer mit den Trommelstöcken in der Hand. In Kacireks Stücken hören wir jedoch kaum noch das klassische Drumset, stattdessen trommelt, schlägt und reibt er auf kleinen, leisen Dingen wie Papier, Holz und Glas. Sein Sound besteht dabei aus mehr als nur präsenten Beats: Sämtliche Elemente eines Stücks bis hin zur Melodie sind aus kleinen perkussiven Mustern zusammengesetzt, die lässig geschichtet werden. Obwohl er dabei keinerlei Synthesizer verwendet, klingt das bisweilen so elektronisch, dass man für Sven Kacirek den eigentlich widersinnigen Stilbegriff Akustische Elektronika erfinden könnte. Viele seiner Ideen entstehen aus Live Konzerten, in denen er sich selbst mit Samplern multipliziert, voller Ruhe improvisiert und sehr elaborierte Patterns generiert. Bei solch einer Liebe zur Perkussion ist es nur nachvollziehbar, dass er mehrfach nach Kenia reist, um dort mit lokalen Musikern und deren Instrumenten zusammen zu arbeiten.

Quelle: www.pingipung.de

 

Dieses Jahr hatte ich zwei weitere beeindruckende Begegnungen mit Musik aus Afrika. Am 23. Oktober hörte ich Habib Koité live bei den Kulturwelten. Die Besetzung: Gesang, Banjo, Gitarre, African Percussion, Keyboard (vorzugsweise als Balafon-Ersatz). Koité spielte Musik, die sich Einflüssen westlicher Popmusik weitgehend verweigerte.

Just am 19. Dezember, einen Tag bevor Ulis Beitrag erschienen ist, lernte ich den Banjo-Spieler Béla Fleck kennen. Nein, nicht persönlich, sondern auf Grund einer mir zufällig über den Weg laufenden Rezension. Dem Banjo, besser gesagt der Musik, die sein bevorzugter Lebensraum ist, konnte ich nie viel abgewinnen. Vielleicht kann Lajla etwas beitragen, vielleicht ist ihr Béla Fleck kein Unbekannter.

 
 


 

 

I like Bela Fleck’s music, originality and eclecticism very much, but this one stretched me just too far. Whilst I don’t doubt the authenticity of the pieces on this CD, they clash too much with my west European ears.

Quelle: Kundenrezension Amazon

 

So ergeht es sog. Weltmusik, wenn sie sich nicht dem westlichen Geschmack unterwirft. Was diesen einen Hörer abschreckt, zieht mich magisch an. Nach kurzem Anhören bei Spotify habe ich das CD-Album bestellt und einen Tag später bereits erhalten. Obwohl es schon im Jahr 2009 veröffentlicht wurde, ist es mein Album des Jahres 2019. Aber seit Astrid Nischkauers Rehabiltitierung des „Rückblicks“ habe ich meine spärlichen Bedenken vollends abgelegt. Mit der CD – nicht über Streaming Dienste! – erhält man ein umfangreiches Booklet, welches den Wert der Edition erheblich steigert.

 

First, I’d like to welcome you all to this, the most ambitiuos and complex project I have attempted to date.

The idea has been residing in my subconscious for so long. I don’t even know exactly when it started. Perhaps it was when I discovered where the banjo originally came from, and from hearing field recordings throughout the years – of tantalizingly beautiful music from Africa.

I developed the suspicion that some of the greatest acoustic music on earth is hidden in the small villages in Africa. Somehow it didn’t seem to be making it out into my world, and even when amazing field recordings were made, how could I find out about them?

Quelle: Béla Fleck, aus Booklet Album Throw Down Your Heart

 

Man hat inzwischen sicherlich erkannt, was Sven Kacirek und Béla Fleck verbindet. Beide bereisten Afrika, beide zollen der Musik, die sie dort kennenlernten höchste Bewunderung, beiden gelingt es, nicht wenig von der Seele und den Strukturen dieser Musiken zu begreifen. Béla Flecks Banjo klingt, als hätte er nie etwas anderes als afrikanische Musik gemacht.

Flecks Reise nach Ost- und Westafrika ist dokumentiert in einem auf DVD erschienenen Film. Die DVD ist vergriffen und nur noch sündhaft teuer erhältlich. Mag sein, dass die Tonqualität der CD eine bessere ist. Ein besonderes Erlebnis ist es jedoch, den Musikern bei ihrer Arbeit zuzusehen.

„Abbey Road“ wird dieses Jahr bestimmt nicht das letzte Mal in einer „Neuausgabe“ erschienen sein. In 50 Jahren legt uns die Musikindustrie vermutlich eine weitere Jubiläums-Ausgabe auf den Ladentisch. Ob da noch jemand „Throw Down Your Heart“ gedenkt?

 

BEYOND beyond mainstream MAINSTREAM

 
Addenda in comment#1

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3 Comments

  1. Hans-Dieter Klinger:

    ADDENDA
     

    Das Banjo habe ich etwas engstirnig bei Dixie Jazz und Bluegrass verortet. Béla Fleck ändert meine Einstellung zu diesem Instrument. Er ist ein wahrer Virtuose und von überraschender Vielseitigkeit.
     

    Bela Fleck – Throw Down Your Heart (2008) – Full Movie
    verfügbar bei YouTube
    umwerfend: Riesen-Marimbaphon ab 6:55

    die DVD ist gebraucht bei Amazon erhältlich für
    ca. 73€ oder ca. 82€ zuzügl. 23€ Versandkosten aus USA
    Zoll kommt sicher auch noch dazu
     

    THROW DOWN YOUR HEART
    Das komplette Album kann man zur Zeit bei YouTube anhören
    Provided to YouTube by Universal Music Group
     

    MUSIC FOR TWO
    Fantastisches Duo Album
    Béla Fleck, banjo
    Edgar Meyer, double bass/piano
     

    beide Alben kann man bei Streaming Diensten anhören

  2. Michael:

    Wow, wow wow, das ist wirklich erstaunlich mit welchem Elan und welcher Detailfreude du eine Entdeckung nach der anderen machst, Querverbindungen aufspürst, am Material in die Tiefe gehst.

    Es gab, nach und vor dem Sekundenschlaf auf der A4, noch andere Gründe, klar Schiff zu machen und 2020 zu meinem letzten Radiojahr zu erklären. Der bedeutsamste Punkt ist ausgerechnet dem Mann zu verdanken, ohne den ich eher nicht beim Radio gelandet wäre: Steve Tibbetts, und seiner Story zu DIS, dem grandiosen Album von Jan Garbarek.

    Steve hat an die Zeit erinnert, als es eine Art commitment war, wenn uns eine Platte fesselte, sie oft kleine Ewigkeiten auf dem Dreher routieren zu lassen. Das möchte ich nun auch wieder allzugerne, und deshalb mache ich Nägel mit Köpfen:

    – noch sechs Radionächte, auf die ich mich freue
    – noch ca. drei JazzFacts
    – noch ca. (Wenn überhaupt) ein, zwei Themensendungen, eine könnte meinem norwegischen Lieblingspianisten Jon Balke gewidmet sein)

    plus: Verkauf von 1000 Cds, und dann noch mal 500

    Reduce, simplify, intensify: so über kurz oder ziemlich kurz dahin kommen, nicht mehr die besondere Qualität in unendlicher Vielfalt sichten, sondern nurmehr Lieblingsplatten und ihren Unerschöpflichkeiten folgen.

    Und dann „mach ich den Whistler“ und höre vorzugsweise alte Sachen (wobei ich natürlich hoffe, dass Brian Enos Spätwerk noch manch „spätes Leuchten“ produziert. Und anderes Neues muss mich dann schon aus den Schuhen hauen, um eine Chance auf „commitment“ zu haben.

    Wie konnte es kommen, das ich Pharoah Sanders‘ TAUHID erst jetzt entdeckte?!

    In Würzburg habe ich Brian Enos MUSIC FOR FILMS nach Erscheinen sechs Wochen am Stück gehört, nur gelegentlich unterbrochen von Jan Garbareks Klassealbum PLACES.

    Mit 11 Jahren oder so habe ich in den grossen Ferien SGT. PEPPER gehört, kein anderes Album, und immer von vorne bis hinten.

    Ich merke es bei manchen Alben, wenn ich zu ihnen nach Jahrzehnten zurückkehre: sie bleiben „gates of perception“.
    Wie „Birds of Fire“. Wie „Geechee Recollections“. Wie John Coltranes „Live In Japan“. Wie „Abbey Road“. Wie „Nan Madol“.

    Jede der zuletzt genannten Werke hätte, ganz im Ernst, in diesem Jahr jedes Album meiner TOP 40 abgehängt. Hier und da sehr knapp, meistens deutlich.

  3. Uli Koch:

    Hallo Hans-Dieter, ganz lieben Dank für die „Koch Snowflake“ (ich weiß, sie heißt tatsächlich so!) und sie gibt interessanterweise auch eine gute Antwort auf die Frage, wie ich meine Musik „finde“. Das ist oft ein iterativer Prozess, d.h., wenn ich auf etwas Gutes stoße, schaue ich mir an, wer die interessantesten Beiträge zu dem jeweiligen Album spielt und suche dort weiter. Oft Fehlanzeige und banal, aber meist so jedes 5.-10. mal hörenswert bis äußerst hörenswert. So gibt es inzwischen ein großes „Netz“ in meinem Kopf, das mich ermutigt immer wieder bestimmte Knotenpunkte anzulaufen und zu schauen, ob ich hier einen kleinen akustischen Juwelenfang machen kann. Alles Weitere ist nur eine Offenheit für Zufälle, zu denen inzwischen meine Kinder mit teilweise exzellenten Empfehlungen („Papa, das solltest Du Dir unbedingt mal anhören!“) sehr inspirierend beitragen.

    Schön, dass Du auch Belá Fleck einen Absatz widmest. Ein sehr experimentierfreudiger und vielseitiger Musiker, der immer für eine Überraschung gut ist …


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